Auf die Frage, ob es auch Überlegungen zu einer solchen Doppellösung gegeben habe, antwortet Bahn-Vorstand Huber, dies sei gar nicht möglich: "Dann funktioniert es nicht." Das ist allerdings nur zur Hälfte richtig. So, wie die digitale Ausrüstung jetzt geplant und im S-Bahn-Netz teilweise schon montiert wird, ginge ein einfaches Umschalten tatsächlich nicht, wenn einmal mit ETCS gestartet sein sollte. Doch hätte es durchaus die Möglichkeit einer Ausrüstung mit sowohl "alter" als auch neuer digitaler Zugleittechnik gegeben – was aber teurer gewesen wäre und länger gedauert hätte. In der Schweiz etwa, die als erstes Land Europas auf eine flächendeckende ETCS-Ausrüstung setzte, war dies anfangs der Fall. Und bei Stuttgart 21 war bis 2018 ohnehin nur geplant gewesen, die Hochgeschwindigkeitsstrecken mit ETCS auszustatten – ehe der Plan des "Digitalen Knotens Stuttgart" als deutsches Pilotprojekt aus dem Hut gezaubert wurde.
Probephase muss sein – aber wie lange?
Die Risiken dieser Lösung scheinen Hermann durchaus bewusst. "Einen Holperstart können wir uns nicht leisten", sagt er, und deswegen müsse es dringend eine Probe- beziehungsweise Einführungszeit bei Stuttgart 21 geben, ehe die Eröffnung erfolge. Eine solche Phase "brauchen wir auf jeden Fall", betont Hermann mehrmals mit besonderem Nachdruck. Bei der Frage, wie lange diese Phase dauern müsse und wie sie ausgestaltet sein solle, wird es schon schwieriger.
Um 2010, kurz vor dem Baustart des Projekts, war immer wieder von einer einjährigen Probezeit die Rede. Im Februar 2020 wiederum war in einer Antwort der Stadt auf eine Anfrage der Gemeinderatsfraktion "Die FrAktion" zu lesen: "Nach der Fertigstellung der neuen (S-21-) Infrastruktur wird der kommerziellen Inbetriebnahme (…) ein monatelanger Probebetrieb vorausgehen, während parallel der alte Hauptbahnhof in Betrieb bleibt." Bei der Lenkungskreis-Pressekonferenz nun danach gefragt, bleibt Hermann ähnlich vage: Das könne man nicht generell sagen, es werde sich "in der Summe schon um Monate" handeln. Jedenfalls könne man nicht erst im November 2025 anfangen zu testen.
Huber wiederum schwurbelt etwas von zwei unterschiedlichen Testszenarien, die nicht gleichzeitig laufen müssten, und auf die erneute Nachfrage, ob es also keinen kompletten Testbetrieb im gesamten Netz gebe, antwortet er: Nein, das müsse nicht sein. Und das sei auch keine Besonderheit in Stuttgart, das sei "vollkommen übliche Praxis im Fahrplanbetrieb". Wobei Huber wiederum nicht sagt, dass eine Umstellung in einem so komplexen Bahnknoten eben nichts Übliches, sondern ein, genau, Pilotprojekt ist. Es könnte also überraschend werden.
Von Frank Nopper ist bekannt, dass er sich bei Stuttgart 21 vor allem über die frei werdenden Flächen freut, wenn der Bahnhof mitsamt Gleisvorfeld tiefergelegt wird. Entsprechend ist es keine Überraschung, wie er auf die Frage antwortet, wann denn mit dem Abriss der alten Eisenbahnstruktur begonnen werden soll: "Unmittelbar nach Inbetriebnahme Ende 2025." Also schon im Dezember 2025? Naja, vielleicht auch erst im Januar 2026, sagt Nopper.
Noch teurer: fröhliche Bescherung am 18. Dezember
Bietet in all diesen Fällen die Zukunft noch viel Überraschungspotenzial, ist eine Ankündigung nicht zwangsläufig unerwartet: dass Stuttgart 21 mal wieder mehr kosten wird. Auch wenn alle Beteiligten bemüht sind, nicht von Anfang an schlechte Kostenprognosen dafür verantwortlich zu machen, sondern neuere Krisen. Bei einzelnen Ausschreibungen habe es "100 bis 200 Prozent Kostensteigerungen gegeben", sagt Hermann etwa, und: "Wir reißen den Gesamtkostenrahmen auf jeden Fall."
6 Kommentare verfügbar
Bernd Letta
am 07.12.2023Die Drohung steht im Raum, dass die DB AG mit einem schlecht getesteten und nur halbwegs funktionstüchtigen Tiefhalt in Betrieb gehen wird.
Die Absicht ist nicht so…