Und noch einmal länger würde es dauern, bis sich auf den frei werdenden Flächen die "städtebaulichen Chancen" entwickeln könnten, auf die sich Nopper auch so sehr freut. Womöglich könne, selbst wenn der Tiefbahnhof 2025 fertig würde, erst 2035 bis 2037 mit dem Bauen begonnen werden, wenn es gut läuft, vielleicht schon 2032, wie im Juni von Seiten der Stadt bekannt wurde (Kontext berichtete). Allein für den ersten Spatenstich bräuchte Nopper also schon eine zweite Amtszeit.
Drei konkrete Schritte legen die Tiefbahnhof-Gegner in ihrem Brief dem neuen OB nahe: Nopper solle sich erstens um die Klärung der Frage kümmern, welcher der Projektpartner welchen Anteil der noch ungedeckten Projektkosten zu tragen habe. Zweitens solle er sich für eine Denkpause bei der Fildertrasse (Gäubahnanschluss) einsetzen, bis eine bahntechnisch sinnvolle Lösung gefunden sei. Und drittens solle er für die noch ungeklärte Frage des Brandschutzes in Tunneln und Tiefbahnhöfen (Haupt- und Flughafenbahnhof) eine unabhängige Begutachtung beauftragen. Denn hier könnte, warnen Kritiker immer wieder, ein Szenario wie beim BER drohen, dessen Eröffnung durch Brandschutz-Mängel immer wieder verzögert worden war.
Mehrkosten-Klage läuft seit 2016 – und zieht sich
Schon der erste Punkt gliedert sich genau genommen in mehrere Unterpunkte. Da steht an erster Stelle die seit 2016 laufende Klage der Bahn AG gegen die Projektpartner, also das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, den Regionalverband Stuttgart und den Flughafen Stuttgart, um die Übernahme von Mehrkosten. Gedeckt sind bislang nur 4,5 Milliarden Euro Projektkosten. Da der offizielle Finanzierungsrahmen aber bereits bei 8,2 Milliarden liegt, ist bei mindestens 3,7 Milliarden noch offen, wer sie trägt. Und nach neuesten Kontext-Recherchen rechnet die Bahn sogar intern schon mit bis zu 1,4 Milliarden Euro mehr, was sie allerdings bislang nicht öffentlich zugegeben hat. Das würde folglich 5,1 Milliarden ungedeckter Mehrkosten bedeuten.
Die Klage der Bahn zieht sich, die Projektpartner beharren auf dem Kostendeckel und ihrer Weigerung, Mehrkosten zu übernehmen. Diverse Schriftsätze von mehreren hundert Seiten gingen schon hin und her, zuletzt erfolgte im August 2020 die zweite Stellungnahme von Land, Stadt, Regionalverband und Flughafen, nun hat wieder die Bahn Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Frist "läuft bis Ende Januar 2021", so Richterin Diana Tanriver vom Verwaltungsgericht Stuttgart. Auf Nachfrage konnte das Verwaltungsgericht nach wie vor keinen Termin für eine mündliche Verhandlung nennen, ein solcher sei "derzeit noch nicht absehbar". Von dem Referat der Stadt Stuttgart, das für die rechtliche Koordination rund um Stuttgart 21 zuständig ist, heißt es, dies läge an dem "äußerst umfangreichen und hochkomplexen Problemstoff (…), der von den Parteien und dem Gericht aufwändig erarbeitet werden muss."
Wie die Aussichten hier sind, wird sehr unterschiedlich bewertet. Der Stuttgarter Rechtsanwalt Roland Kugler bezweifelte 2018, dass das Land und die Stadt ihre Position vor Gericht werden durchhalten können, und hielt eine Kostenaufteilung durchaus für möglich. Würde eine solche sich, rein hypothetisch, eng an den Anteilen des Finanzierungsvertrags von 2009 orientieren, kämen bei insgesamt 5,1 Milliarden Euro Mehrkosten für jeden noch einmal mehr als das Doppelte des bisherigen Finanzierungsanteils hinzu – der beim Land aktuell 930 Millionen Euro beträgt, bei der Stadt Stuttgart 292 Millionen, beim Flughafen 339 Millionen und bei der Region 100 Millionen. Da auch der Flughafen zu einem Drittel von der Stadt getragen wird, kämen auf die Stadt bei dieser – sehr schematischen – Rechnung also rund 450 Millionen Euro mehr dazu.
Der Bundesrechnungshof dagegen scheint es laut seinem letzten Bericht zu S 21 für wahrscheinlich zu halten, dass die Bahn auf den Mehrkosten sitzen bleiben wird: "Die DB AG wird ggf. mehr als 5.000 Millionen Euro finanzieren müssen", heißt es da auf Seite 4.
Extratöpfe! Immer mehr!
Daneben gibt es Mehrkosten, deren Übernahme schon konkreter ist. Denn ein Teil von mit Stuttgart 21 zusammenhängenden Kosten wurde in den vergangenen Jahren in Extra-Töpfe ausgelagert, wie Kontext mehrmals berichtete (unter anderem hier und hier). Dass auch die es in sich haben können, zeigt etwa das Beispiel der Großen Wendlinger Kurve. Deren zweigleisiger Ausbau wurde Anfang Juni 2019 beschlossen, die damals veranschlagten Kosten von 100 Millionen Euro wurden in einem Finanzierungsvertrag auf das Land (22,5 Millionen), den Verband Region Stuttgart sowie die Region Neckar-Alb (jeweils 11,25 Millionen) und den Bund (55 Millionen) verteilt. Nach einem Jahr waren die schon wieder Geschichte: Im Juni 2020 wurden 23 Millionen Euro Mehrkosten bekannt, zu deren Übernahme sich das Land bereit erklärte.
Andere Extratöpfe, etwa für ein sogenanntes "Masse-Feder-System", das auf der zu verlegenden S-Bahnstrecke nahe des Hauptbahnhofs vor Erschütterungen schützen soll, trägt hingegen allein die Stadt. Ob es hier bei den veranschlagten 5,2 Millionen Euro bleibt?
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Thomas A
am 24.12.2020