Freudige Gesichter an diesem 5. November 2018, es ist ein bisschen, als hätten ein paar Jungs den Stein der Weisen gefunden. Nach der Sitzung des Stuttgart-21-Lenkungskreises verkündet Bahn-Vorstand Ronald Pofalla beinahe euphorisch die Schaffung des "Digitalen Bahnknotens Stuttgart". Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wirkt zwar nüchtern, aber doch zuversichtlich, und Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) scheint sich fast am meisten zu freuen. Er erklärt, dass erst der verspätete S-21-Eröffnungstermin (offiziell geplant damals wie heute: Ende 2025) die Chance gebracht habe, den gesamte Bahnknoten zu einem "Leuchtturmprojekt" zu machen, und nun müsse man "die Chance nutzen, die wir ohne die Verzögerung nicht gehabt hätten".
Worum es bei der bemühten Digitalisierung geht: die Ausstattung mit ETCS, was "European Train Control System" bedeutet. Ein digitales Zugbeeinflussungssystem, das bisherige Signal- und Zugleitsysteme überflüssig und den Verkehr sicherer und effizienter machen soll. Dieses System war schon lange für die neu zu bauenden Stuttgart-21-Streckenabschnitte geplant gewesen und sollte ursprünglich dem Fernverkehr vorbehalten bleiben. Nun aber soll sich das ändern und auch der komplette Nahverkehr im Großraum Stuttgart mit ETCS ausgestattet werden, inklusive des gesamten Stuttgarter S-Bahn-Netzes – das erst einmal nichts mit Stuttgart 21 zu tun hat, aber nun kurzerhand dem "Digitalen Knoten Stuttgart" einverleibt wird.
Anfang 2020 werden die Pläne dann endgültig eingetütet, der Bund verspricht eine Finanzierung von zunächst 570 Millionen Euro bis 2023. Und hier liegt wohl auch ein Gutteil von Pofallas Freude begründet: Weil "der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 von 2009 diesen Teil der Digitalisierung nicht umfasst", wie der Bahn-Vorstand 2018 in Stuttgart betont, freut man sich über den finanziellen Segen aus einer neuen Quelle, dem Programm "Digitale Schiene Deutschland". Denn das Projekt wird ständig teurer, und die Finanzierungsanteile der Projektpartner Land und Stadt sind gedeckelt, also muss die Bahn die Mehrkosten alleine tragen – es sei denn, bestimmte Posten lassen sich in Extratöpfe auslagern, wovon es neben der Digitalisierung noch einige andere gibt (Kontext berichtete).
Böses Erwachen, "völlig überraschend"
Dass die Umsetzung des "innovativen Schaufensters der Republik" (Thomas Bopp) doch nicht so leicht ist, räumt die Bahn am 10. März 2023 ein: Um die Ausstattung mit ETCS vorzunehmen, müssten zentrale Strecken im Großraum Stuttgart reihum für Wochen gesperrt werden, und zwar schon ab kommenden April. Und es werde auch nicht alles gleich digital. Auf Bestandsstrecken und Teilen des S-Bahn-Netzes, wird ein Bahnsprecher in der FAZ zitiert, sei eine Ausstattung sowohl mit analoger als auch mit digitaler Technik erforderlich, weil der Güterzugverkehr noch nicht hinreichend mit digitaler Technik ausgestattet sei. Minister Hermann reagiert noch am gleichen Tag mit einer wütenden Pressemitteilung. "Völlig überrascht" sei man von der Ankündigung der Bahn, dies sei ein "herber Schlag" für die Fahrgäste.
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