Die Welt der Justiz ist eine, die von der Welt der meisten Menschen recht weit entfernt ist. Deswegen braucht es Leute, die sie erklären, und das macht am vorvergangenen Dienstag, dem 7. Mai, besonders geduldig und ausdauernd Matthias Modrzejewski. Der Sprecher des Stuttgarter Verwaltungsgerichts ist in dessen Foyer im ersten Stock umringt von einer Journalist:innen-Traube, diverse Mikrofone hängen vor seinem Gesicht. Nein, dass das Gericht zu seinem eben verkündeten Urteil, die Klagen der Bahn gegen ihre S-21-Projektpartner in vollem Umfang abzuweisen, keine Berufung zugelassen habe, bedeute nicht, dass jetzt alles schon vorbei ist. "Die Bahn kann einen Antrag stellen gegen die Nichtzulassung einer Berufung", erklärt Modrzejewski. Und es sei nicht gesagt, dass der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, die nächsthöhere Instanz, die Sachlage genauso sehe wie das Verwaltungsgericht. Dass dieses nicht die letzte Instanz sein dürfte, hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern schon am ersten Verhandlungstag gesagt.
Darum geht's bei der Bahn-Klage
Im April 2009 schloss die Deutsche Bahn mit den sogenannten Projektpartnern – Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart und Flughafen Stuttgart – den Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21. In dem ist die Aufteilung der Kosten haarklein geregelt, aber nur bis zu Projektkosten von 4,526 Milliarden Euro. Als der Vertrag unterzeichnet wurde, kalkulierte man noch mit 3,076 Milliarden Euro Kosten, plus einem Risikotopf von 1,45 Milliarden. Wer von den Beteiligten wie viel genau in diesen Topf zahlen sollte, war in Paragraf 8, Absatz 3 des Vertrags genau festgehalten. Zusammengerechnet: Das Land beteiligt sich inklusive Risikopuffer mit maximal 930 Millionen Euro am Projekt, die Stadt mit 292, die Region mit 100 und der Flughafen mit 227 Millionen. Was passiert, wenn der Risikotopf nicht reicht, ist in Paragraf 8, Absatz 4 des Vertrags geregelt: "Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die EIU (Eisenbahnunternehmen, also DB AG und Töchter, d. Red.) und das Land Gespräche auf." Was genau aus dieser sogenannten "Sprechklausel" folgt und wie sie zu verstehen ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während die Bahn die Meinung vertritt, dass sie eine Fortschreibung der gemeinsamen Finanzierung bei Mehrkosten impliziere, weisen die Projektpartner dies zurück und beharren auf einer Deckelung ihrer Kosten im Finanzierungsvertrag.
Mittlerweile liegen die Projektkosten nach vier Steigerungsrunden, die letzte erst Ende 2023, bei 11,45 Milliarden Euro. Weil sich die Projektpartner weigern, sich daran zu beteiligen, reichte die DB im Dezember 2016 Klage auf Übernahme der Mehrkosten gegen sie ein – damals lagen die prognostizierten Gesamtkosten noch bei 6,5 Milliarden. Nach vier Verhandlungsterminen seit Mai 2023 wies das Verwaltungsgericht Stuttgart am 7. Mai 2024 die Klage der Bahn in vollem Umfang ab. Richter Wolfgang Kern geht aber davon aus, dass das Verfahren durch weitere Instanzen gehen und mehrere Jahre dauern wird. (os)
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Bernd Letta
am 21.05.2024