Am 23. Januar 2012 hielt die Republik für einen Moment den Atem an: Anton Schlecker, Ehinger Metzgermeister und Chef eines internationalen Handelskonzerns, musste aufs Ulmer Amtsgericht, um Insolvenz anzumelden. In mehreren Entlassungswellen verloren danach über 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Die meisten stürzten geradezu ins Bodenlose. Denn mangels Masse konnte kein Sozialplan verhandelt und daher keine Abfindung ausbezahlt werden. Manche Frauen hatten sich aufgrund geringfügiger Beschäftigung in Mini-Jobs nicht einmal eine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erwerben können und zappelten von heute auf morgen in der Grundsicherung, vulgo "Hartz IV". Damit nicht genug: Die Politik – allen voran der damalige FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler – verhinderte im letzten Moment eine Bürgschaft für eine Transfergesellschaft, ein bewährtes Instrument, um Beschäftige aufzufangen, zu qualifizieren und vielleicht neu zu vermitteln. Potentielle Käufer des bankrotten Unternehmens hätten dann nicht tausende Kündigungsschutzklagen befürchten müssen, und lukrative Schlecker-Filialen wären einfach weitergeführt worden.
Es war Leni Breymaier, die damalige Landesbezirks-Vorsitzende von Verdi, die mich auf die Idee brachte, unter dem Dach "meiner" Caritasstiftung "Arbeit und Solidarität" einen Schlecker-Hilfsfonds zu etablieren und so ein wenig "erste Hilfe" zu leisten. Schön, was wir da erleben durften: Belegschaften sammelten Spenden, ebenso Vereine und Kirchengemeinden. Auch Einzelpersonen griffen tief in die eigene Tasche. Am meisten berührte mich der Kleinbetrag eines Hartz-IV-Empfängers.
Viele blieben jahrelang arbeitslos, teils bis zur Rente
Die Hilferufe an die Krisen-Gewinnler, die anderen Einzelhandelskonzerne in Deutschland, verhallten ungehört, geschweige, dass auch nur ein einziger müder Euro geflossen wäre. Dankend aber hatte man die Schlecker-Marktanteile eingesackt. So buchstabiert sich "Solidarität" in Konzernzentralen! Alles in allem konnten wir aber doch circa 70.000 Euro in kleinen Tranchen und unter strengsten Prüfkriterien an etwa 200 hilfsbedürftige "Schlecker-Frauen" überweisen. Wir haben damit zum Beispiel Räumungsklagen verhindern, Heizkostenzuschüsse geben und bittere Notlagen abwenden können – niemals ohne die Betroffenen aus ganz Deutschland an soziale Beratungsstellen zu vermitteln. Ein Mini-Erfolgsmodell, dem sogar die Arbeitsagentur ihren Segen erteilt hatte. Unsere Zuwendungen wurden nämlich nicht als "Einkommen" verbucht und daher auch nicht – wie sonst üblich – gleich wieder in Abzug gebracht.
Viele der Schlecker-Frauen blieben jahrelang arbeitslos, die älteren meist bis zur Rente. Jüngere nahmen teilweise Angebote aus anderen Handelshäusern an, durch die Bank zu schlechteren Konditionen und oft weiten Anfahrtswegen. Wenige nur packten eine berufliche Weiterbildung. Die Kontakte wurden im Lauf der Jahre natürlich dünner – auch die zu den Betriebsseelsorge-Stellen in Deutschland, die sich intensiv um die Betroffenen gekümmert hatten. Unbeschreiblich, was da an Arbeitsleid und Existenznot zutage getreten war. Den wenigen, denen wir nun noch nach Jahren begegnen, steht immer noch Verbitterung ins Gesicht geschrieben.
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Andrea K.
am 20.01.2022