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Ausstellung zur Geschichte der "Filder-Zeitung"

Museumsreife Lokalzeitung

Ausstellung zur Geschichte der "Filder-Zeitung": Museumsreife Lokalzeitung
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Eine reiche Fundgrube können Lokalzeitungen für Historiker sein, sagt Nikolaus Back, Stadtarchivar von Filderstadt, und illustriert dies mit einer Ausstellung. Doch wo früher vier Zeitungen berichteten, gibt es heute nur noch eine Handvoll Artikel in "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten".

Das Thema Lokalzeitung ist für Nikolaus Back, Stadtarchivar und Leiter des Filderstadt-Museums, deshalb interessant, weil Lokalzeitungen wie die "Filder-Zeitung" und ihre Vorläufer "eine sehr wichtige historische Quelle zum lokalen Geschehen" sein können, sagt er. Back weiß, wovon er spricht. Er hat ein gut 700 Seiten dickes Buch zur Ortsgeschichte von Bonlanden geschrieben, wo sich das Filderstadt-Museum im früheren Rathaus, einem schmucken Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert, befindet.

Die dortige Ausstellung stellt die Geschichte der "Filder-Zeitung" in den größeren Zusammenhang der allgemeinen Entwicklung des Zeitungswesens. Und sie arbeitet heraus, was die Zeitung für den lange Zeit ländlich geprägten Raum der Filderebene bedeutet hat. Deutlich wird damit auch, was angesichts der Verarmung der Presselandschaft heute verloren geht. Denn seit 1999 ist die "Filder-Zeitung" nur noch eine Beilage der "Stuttgarter Nachrichten" und seit 2022 nicht einmal mehr das.

Lokalzeitungen entstanden in Württemberg erst im 19. Jahrhundert als sogenannte Amts- und Intelligenzblätter. Damit ist nicht gemeint, dass die Autor:innen oder ihre Leser:innen besonders intelligent gewesen wären, sondern dass sie Anzeigen zur Einsicht, lateinisch intellegentia, veröffentlichten. Für die Filder gab es ein Amtsblatt seit 1836, das aber in Leonberg erschien. Dies war der Hintergrund, warum Friedrich Find, ein Drucker aus Plieningen, 1872 die "Neue Filder-Zeitung" ins Leben rief. Neu, weil das kurz zuvor schon ein anderer versucht hatte, der aber gescheitert war.

Der "Filder-Bote" als wichtiger Zeitzeuge

Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hält Back fest: Ohne den "Filder-Boten", der nun auch als Amtsblatt fungierte und deshalb archiviert wurde, wären viele Dinge schlicht nicht mehr feststellbar. Dazu gehören die örtlichen Wahlergebnisse, Informationen zu Parteien und Kandidaten oder Vereinsgeschichten – und damit nicht nur Kleintierzüchter und Sportvereine, sondern auch die lokale Arbeiterbewegung. Die Geschichte der Gastwirtschaften ist ebenfalls von Interesse wegen der Veranstaltungen, die dort stattfanden.

Auch die Filderbahn war damals schon ein Thema. Denn die Filderebene war vom öffentlichen Verkehr abgehängt. Erst von 1884 an erschloss die erste württembergische Privatbahn sukzessive den Filderraum: angefangen mit der Zahnradbahn von Stuttgart nach Degerloch, dann per Straßenbahn nach Möhringen, Hohenheim und schließlich Vaihingen. Doch in den 1920er-Jahren war, wie aus dem "Filder-Boten" hervorgeht, die Unzufriedenheit groß: lange Fahrtzeiten, häufige Verspätungen, ungünstige Fahrpläne. Die Filderbahn war "das beherrschende lokalpolitische Thema der südlichen Filder", heißt es in der Ausstellung.

Am 1. Dezember 1923, als ein Pfund Brot 260 Milliarden Mark kostete, schloss sich der "Filder-Bote" mit der seit 1898 von Karl Scharr herausgegebenen "Allgemeinen Filder-Zeitung" zusammen. Vaihingen – noch selbstständig – war ein aufstrebender Ort mit einem wachsenden Bürgertum. Die Auflagen waren höher, daher erschien der "Filder-Bote" nun in Vaihingen unter Scharrs Regie und war mehr oder weniger ein Ein-Mann-Unternehmen. Nachrichten aus dem Land, dem Reich und der Welt wurden zugekauft. Die Kommentare schrieb in der Regel Scharr selbst.

Unter den Nazis zum Propagandablatt

In den 1920er-Jahren gab es in Deutschland über 3.770 Zeitungen, mehr als zehnmal so viele wie heute. Und der "Filder-Bote" sei für das lokale Geschehen auf den Fildern "eine ungeheuer reiche Fundgrube" gewesen, hebt Back hervor. Das gesellschaftliche Leben in den Dörfern spielte sich in den Vereinen ab. Das bedeutet mehr als Mitgliederversammlungen und Spielergebnisse. "Jeder Sportverein hatte damals seine Theatergruppe", so Back. Auch dass es in Bernhausen jüdische Pferdehändler gab, ist nur dem "Filder-Boten" zu entnehmen. Oder dass 1928 eine Straßenbahnlinie durch das Siebenmühlental nach Waldenbuch eingerichtet wurde.

Über politische Kontroversen berichtet die Zeitung vor allem aus Vaihingen. Während die Modernisierung voranschreitet, entdeckt auch der "Filder-Bote" die Heimatliebe: Ab 1924 erscheint als monatliche Beilage die "Filder-Scholle". Viel lässt sich einer 88 Seiten starken Beilage entnehmen, die der Scharr-Verlag zum 60-jährigen Bestehen 1932 herausgibt.

Scharr war liberal, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Er gab allen eine Stimme, auch den Kommunisten, zuletzt sogar der NSDAP. Die dankten es ihm nicht, sondern übergaben die Mehrheit des Verlags im August 1933 einer neu gegründeten "NS-Presse Württemberg GmbH". Der "Filder-Bote" wurde zum Propagandablatt. Scharrs Lebenswerk war zerstört. Er starb noch im selben Jahr. Relevante Informationen zur Lokalgeschichte sind der Zeitung nun kaum noch zu entnehmen – bis auf Aufmärsche und Parteiversammlungen.

Neue Heimatzeitung für die Filder

"Unsere Filder erhält ihre Heimatzeitung", titelt 1949 die erste Ausgabe der neu gegründeten "Filder-Zeitung" zum Bild eines Bauern in Tracht, der auch gut in ein NS-Blatt gepasst hätte.  Das Blatt professionalisiert sich. Neben der Redaktion gibt es nun auch einen Stamm freier Mitarbeiter:innen. Der Mantel stammt von der Südwestpresse, die kommunalpolitische Berichterstattung liefern die Verwaltungen selbst. Erst die Gemeindereform der 1970er-Jahre habe dazu geführt, dass die Redakteur:innen zunehmend Gemeinderatsversammlungen besuchten und auch kritisch berichteten, stellt Back fest.

Doch es gab von Anfang an immer wieder auch kontroverse Themen, über die niemand so gut informiert wie die Lokalpresse. Zwischen Harthausen und Sielmingen tobte in der Nachkriegszeit ein Streit um ein Wohngebiet für Flüchtlinge, also Heimatvertriebene. "Gemeinde probt den Aufstand", heißt es einmal: "In Filderstadt schlagen die kommunalpolitischen Wellen hoch."

Ein Thema, bei dem die kommunalpolitischen Wellen besonders hochschlugen und bei dem die "Filder-Zeitung" sich durchaus als kritische Stimme erwies, war der Flughafenausbau. Insbesondere Willy Helmut Stengel, leitender Redakteur von 1972 bis 1992, nahm in seinen samstäglichen Kommentaren kein Blatt vor den Mund. Er sei "Journalist mit Leib und Seele" gewesen, schreiben die Freien Wähler, für die er nach seiner Pensionierung im Gemeinderat saß, in ihrem Nachruf: "Ob Freund oder Kritiker – er schonte keinen."

Über die Filder berichteten neben der "Filder-Zeitung" drei weitere: die beiden Stuttgarter Blätter und die "Eßlinger Zeitung". Doch der "Filder-Zeitung" gelang es, sich als Stimme der Region zu profilieren. Dass verschiedene Standpunkte vertreten waren, ist aber nicht nur für den Historiker von Interesse. Es trug maßgeblich zur politischen Willensbildung bei. Bis der Scharr-Verlag die "Filder-Zeitung" 1998 an die "Stuttgarter Nachrichten" verkaufte.

Von einer ganzen Zeitung auf wenige Seiten

Heute gibt es nur noch ein bis zwei Seiten "Filder-Zeitung" in der Lokalausgabe der "Stuttgarter Zeitung/ Nachrichten". Und verstreute Nachrichten aus dem wesentlich größeren Landkreis Esslingen sowie zu den Stuttgarter Fildervororten im Lokalteil der Einheitszeitung mit den zwei Gesichtern. Mit der Pressevielfalt ist es vorbei. Woher wird der Historiker künftig seine Informationen beziehen?

Zunehmend spielen auch die sozialen Medien eine Rolle, sagt Nikolaus Back. Für den Jahresrückblick, den der Oberbürgermeister immer zum Neujahrsempfang vorstellt, wertet er auch dessen Facebook-Seite aus. Freilich kontrolliert der OB den Inhalt. Und auch von den Amtsblättern, die es immer noch gibt, sind kritische Stimmen zur Kommunalpolitik nicht zu erwarten. Für den Historiker schaffen die Informationen im Netz generell eine unübersichtliche Situation. Das ist auch kommunalpolitisch bedenklich, da eine verlässliche Instanz fehlt, die zwischen Amtsberichterstattung und Fake News im Idealfall den richtigen Ton findet.

Die Ausstellung will nicht den Anschein erwecken, früher sei alles besser gewesen. Dazu ist Back viel zu sehr Historiker, bemüht um Balance und kritische Distanz. Aber es wird doch erkennbar, dass es zwischen Zeiten von Zensur oder Diktatur insbesondere zwei Perioden gab, in denen der Lokaljournalismus floriert und eine wichtige Rolle gespielt hat: die Weimarer Republik und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende.

Das ist heute Geschichte. Eine Zensur gibt es nicht, ganz im Gegenteil: Jede:r kann prinzipiell alles behaupten und verbreiten. Eine neue Situation, auf die die richtigen Antworten noch nicht gefunden sind.
 

Die Ausstellung im Filderstadt-Museum, Klingenstraße 19, Filderstadt-Bonlanden, läuft bis 19. November und ist sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dani
    am 11.10.2023
    Antworten
    Sorry, das ist in diesem Zusammenhang (Presselandschaft) nur ein unwichtiges Detail, aber vielleicht, eventuell, womöglich, könnte ja sein... ist es ein Zeichen mangelnder Recherche was dann doch wieder zum Thema passen würde:
    Weder die Bahnlinie von Leinfelden nach Waldenbuch noch die Bahnlinien…
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