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Wertekultur der Polizei BW

Offenbarungseid

Wertekultur der Polizei BW: Offenbarungseid
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Seit seinem Amtsantritt 2016 sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl gern: "Die CDU ist und bleibt die Partei der Inneren Sicherheit und der Polizei." Ergo muss sie sich auch die Versäumnisse zurechnen lassen, die die für Wertekultur geschaffene Stabsstelle zutage gefördert hat.

Nur mal angenommen, in einem grün-geführten Ressort, zuständig etwa für Verkehr oder für Klima und Umwelt, soll ein aus der Pension geholter Spitzenbeamter herausfinden, was in der gesamten Verwaltung und bei einem zentralen Teil des verantwortlichen Personals schief läuft. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie der schwarze Koalitionspartner bei der Einsetzung gelästert und gedrängt hätte, um Ergebnisse zu sehen. Wie aus Ungeduld nach und nach scharfe und schärfere Kritik geworden wäre, festgemacht natürlich an der Hausspitze.

Fürs baden-württembergische Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) gelten da andere Maßstäbe. Vor einem Jahr hatte Strobl Jörg Krauss (Grüne), den früheren Amtschef im Finanzministerium und zuvor Polizist, überraschend für den Posten des Leiters der Stabsstelle für moderne Führungs- und Wertekultur aus dem Hut gezaubert (Kontext berichtete). Es war eine Reaktion auf die Affäre um den früheren Inspekteur der Polizei (IdP) Andreas Renner, der auch nach seinem Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Nötigung vom Dienst freigestellt blieb. Strobl schaffte die IdP-Stelle gleich ganz ab und präsentierte Krauss als jemanden, mit dessen Hilfe die durch Renner ausgelöste Krise überwunden werden könnte. So formulierte er bei der Vorstellung des neuen Stabsstellen-Leiters, dass "die Polizei nach der Krise besser aufgestellt ist als vor der Krise".

Krauss konnte seither unbehelligt von Strobls grünem Koalitionspartner und sogar von der Opposition vor sich hin arbeiten. Umso schwerer wiegen seine unerwartet am vergangenem Freitag präsentierten Ergebnisse. Eigentlich hatte sich Strobl am Dienstag nach der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause noch "ganz ehrlich" gefreut, die Medienvertreter:innen "jetzt mal sechs Wochen nicht zu sehen". Drei Tage später saß er aber schon wieder auf einer Pressekonferenz und musste Rede und Antwort stehen zur "ehrlichen Bestandsanalyse". Strobl umriss nochmals den Auftrag: Krauss habe herausarbeiten sollen, "was gut läuft, vor allem aber ans Licht bringen, wo der Schuh drückt".

Kein persönlicher Kontakt zu Vorgesetzten

Und der Schuh drückt nicht nur, er passt vielfach so wenig wie die High Heels von Cinderella ihrer bösen Stiefschwester. "Die Kolleginnen und Kollegen der Innenverwaltung und der Polizei wünschen sich generell mehr Vertrauen seitens der Bevölkerung und der Politik", schreibt Krauss schnörkellos. Aber auch, sie wünschten sich mehr Vertrauen seitens "der übergeordneten Dienststellen und in Teilen der eigenen Vorgesetzten". Fast durchweg sei der Wunsch nach mehr persönlicher Kommunikation zwischen Basis und Führung geäußert worden, ebenso nach "einer vertrauensvollen sowie wertschätzenden Kommunikation" und das Verlangen "nach mehr Rückendeckung durch Vorgesetzte".

Besondere Kritik gab es nach den Worten des Stabsstellenleiters daran, dass Vorgesetzte häufig nur im Rahmen des förmlichen Beurteilungsverfahrens und auch dann nur schriftlich in Kontakt mit den Mitarbeiter:Innen treten. Eine objektive und nachvollziehbare Beurteilung sei unter solchen Bedingungen nicht möglich. Mindestens genauso schmerzlich für die Führung im für Digitalisierung zuständigen Innenministerium ist der Befund, dass "die Einführung digitaler Anwendungen nach Auffassung vieler Kolleginnen und Kollegen nicht zu der erhofften Entlastung geführt" habe. Mehr noch: Abläufe würden sogar verlangsamt. Allerspätestens da stellt sich die Frage, wieso es eine Stabsstelle braucht, um derartige Mängel zu identifizieren. Wieso ein personell und in der Spitze gut ausgestattetes Ressort mit Minister, Staatsekretär, Leitungsstab, einer Landespolizeipräsidentin sowie sieben Abteilungen, zwei davon befasst mit IT und Digitalisierung, nicht selber längst Abhilfe geschaffen hat.

Das Kafka-Zitat "Wege entstehen dadurch, dass man sie geht", mit dem die Stabsstelle ihre Ergebnisse überschrieben hat, passt da trefflich. Angesichts der Bedeutung des Themas Führungs- und Wertekultur für den eigenen Markenkern richtet sich gerade an die CDU die Frage nach der Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten – in der Digitalisierung und der Personalführung. Etwa an Siegfried Lorek, heute Staatssekretär im Justizministerium, der seit 2016 im Landtag sitzt und 1993 seine Polizeilaufbahn aufgenommen hatte. Oder an Christian Gehring, einst ein Personenschützer von Ministerpräsident Stefan Mappus, der ebenfalls viel praktische Polizeierfahrung mit in die Landtagsfraktion brachte. Oder an Thomas Blenke, heute Strobls Staatssekretär, der seit 2001 dem Parlament angehört und jahrelang innenpolitischer Sprecher der CDU war. Nicht zu vergessen Stefanie Hinz, die erste Frau an der Spitze der Landespolizei, die jede Möglichkeit gehabt hätte, nach Amtsantritt besonders genau hinzusehen, was zu tun ist.

Und was war bisher?

Die Genannten und natürlich der Minister selbst hätten wissen und darauf dringen müssen, dass "die persönliche Kontaktaufnahme" bei der ministeriumsinternen Erteilung von Aufgaben "Fehlinterpretationen verringert und ein zielgerichtetes Arbeiten fördert", wie Krauss in Handlungsempfehlung vier formuliert. Also anrufen statt Email, oder besser: sich auch mal persönlich treffen. In Nummer fünf heißt es, auch dies eher eine Binse, dass Führungskräfte dafür sorgen müssen, einmal gemachte Fehler vom Thema Schuld zu entkoppeln und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Fehler offen angesprochen werden können. In Nummer sechs wird von Innenverwaltung und Polizei verlangt, "als neuen Führungsstil die werteorientierte Führung einzuführen".

Da drängt sich die Frage auf: Und was war bisher? Die CDU hat mit zwei Unterbrechungen zwischen 1992 bis 1996 sowie 2011 bis 2016 immer Baden-Württembergs Innenminister gestellt. Der derzeitige Amtsinhaber ist ja besonders stolz auf die "schwarze Handschrift" in der grün-schwarzen Landesregierung und muss sich jetzt, schwarz auf weiß, erhebliche Defizite anlasten lassen. Dazu fordert Krauss, dass "die volle und systemische Wirkung der Handlungsempfehlungen über eine schnelle und zeitlich abgestimmte Umsetzung angestrebt werden soll". Durch wen, ist klar: "Führung ist Chefsache", schreibt der Grüne ungeniert. Und meint damit Thomas Strobl.

Strobl behauptete bei der gemeinsamen Präsentation von Krauss Ergebnissen, "moderne Führungs- und Wertekultur bei der Polizei" schon lange auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. "Nicht zuletzt, weil unsere Polizei einen der größten Transformationsprozesse ihrer Geschichte durchläuft." Dennoch waren offenbar eine neue Stabsstelle und in den vergangenen Monaten Gespräche mit rund 2.000 Beamt:innen in der gesamten Innenverwaltung nötig, um zu der Einsicht vorzustoßen, dass "ein standardisierter Onboarding-Prozess einzuführen ist, der neuen Kolleginnen und Kollegen den Einstieg in die neue Dienststelle sowie in die neue Aufgabe erleichtert". Unter anderem sollten sie "ca. drei Wochen vor ihrem ersten Arbeitstag ein Willkommensschreiben mit allgemeinen Informationen zur Dienststelle, zum Team und den Vorgesetzten sowie einen Ablaufplan für den ersten Tag erhalten".

Eine geradezu simple Empfehlung zielt einerseits ziemlich genau auf das Gebaren des noch immer bei vollen Bezügen vom Dienst suspendierten früheren IdP Andreas Renner und andererseits ganz offensichtlich auf ein Grundbedürfnis bei vielen Beschäftigten: "Es werden für alle Dienststellen und Einrichtungen des Innenressorts Bewirtungsbudgets eingeführt und zur eigenständigen Bewirtschaftung zugewiesen", heißt es auf Seite neun des insgesamt 15 Seiten starken Berichts. Diese Budgets würden für Besprechungen mit externen Teilnehmenden herangezogen, "um eine angemessene Bewirtung mit Kaffee, Mineralwasser etc. zu gewährleisten". Denn bisher "übernehmen viele Kolleginnen und Kollegen aus Anstandsgefühl die Bewirtungskosten selbst". Renner übernahm die bekanntlich sogar nachts im Landeskriminalamt oder bei Mitarbeiterinnen-Besuch im Innenministerium. Sekt ist nach Bekanntwerden von Renners feucht-fröhlichen Umtrünken mittlerweile verboten.

Selbstverständliches ist im Innenministerium Neuland

Überhaupt werden manche Passagen dieses kritischen Befunds den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Beförderungspraxis bei der Polizei und Strobls Brief-Affäre (Kontext berichtete) nach der Sommerpause mit Sicherheit noch intensiv beschäftigen. Konkrete Missstände im Umgang mit Mitarbeiter:Innen sind zusammengetragen und ebenso viele Vorschläge zur Optimierung von Bewertungen und Beförderungen. Wer den Untersuchungsausschuss oder die Presseberichterstattung dazu "halbwegs aktiv mitverfolgt", sagt Julia Goll, die FDP-Obfrau im U-Ausschuss und frühere Staatsanwältin, "der weiß von den Missständen, gerade die Polizeispitze im Innenministerium betreffend, schon lange, und dass unsere Polizistinnen und Polizisten unter von ganz oben vorgegebenen Beurteilungsergebnissen, zwielichtigen Stellenvergaben, massiver Arbeitsbelastung und einem Klima der Angst leiden". Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) wird noch deutlicher. Das Papier lese sich, so Landeschef Ralf Kusterer, "in weiten Teilen wie eine Aneinanderreihung der gewerkschaftspolitischen Forderungen und Analysen der DPolG. Wichtig für die Arbeit der Stabsstelle scheine die Erkenntnis gewesen zu sein, dass in dieser Polizei der Begriff "Werte" als Unwort gilt und dass Beschäftigte gerade nicht erleben, wie Vorgesetzte als Vorbild vorangehen. Insgesamt seien die Erkenntnisse ein "Offenbarungseid" für das Innenministerium und im Bericht vieles vorgeschlagen, "was eigentlich selbstverständlich und schon längst implementiert sein sollte".

Mindestens jedenfalls das Finanzrelevante. Nach Angaben des Innenministeriums etwa die Forderung nach einer besseren Ausrüstung und persönlichen IT-Ausstattung, nach mehr Stellen und höherer Entlohnung. So lautet die Handlungsempfehlung Nummer 20: "Die Möglichkeiten des Tarifvertrags der Länder im Hinblick auf die Gewährung von Zulagen sind zu prüfen und auszuschöpfen. Zum Halten von hochqualifiziertem Fachpersonal sind die Möglichkeiten der Verbeamtung nach dem Vorbild anderer Bundesländer besser zu nutzen und das Höchstalter dafür anzuheben." Der Innenminister hatte öffentlich am vergangenen Dienstag deutlich gemacht, dass er sich am Sparkurs der Landesregierung im Haushalt für die kommenden beiden Jahre nicht beteiligen werden. Er werde weder 100 noch 50 Millionen kürzen. Im Gegenteil brauche er für sein Ressort mehr Geld, infolge großer Herausforderungen und geopolitischer Veränderungen. Auch deshalb stecken die Etatverhandlungen der Landesregierung gegenwärtig fest.

Nur einmal so angenommen, aus einem grüngeführten Haus kämen ähnliche Töne. Winfried Hermann oder Thekla Walter würden mit Verweis auf den Kampf gegen die Erderwärmung als "Menschheitsaufgabe" (O-Ton Winfried Kretschmann) auf mehr Geld pochen und sich jeder Einsparung verweigern. Die CDU wäre auf den Barrikaden und bis auf weiteres nicht bereit, dieselben wieder zu verlassen. Gewerkschafter Kusterer gibt Strobl selbst jedenfalls einen ganz anderen Rat: "Die Handlungsempfehlungen bieten ihm in außerordentlicher Art und Weise die Möglichkeit, vermutlich in einer der letzten Phasen seiner politischen Karriere, noch einmal das Ruder herumzureißen und die negativen Entwicklungen zu stoppen."

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2 Kommentare verfügbar

  • W. B.
    am 01.08.2024
    Antworten
    Es loht sich doch nicht, immer wieder über diese Pfeife von Innenminister zu berichten. Es wird sich auch nach weiteren 100 Berichten über seine Unfähigkeiten nichts ändern. Und wie es bei seinen von ihm protegierten "Führungskräften" aussieht, kann in dem trotz dessen Länge hoch interessanten…
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