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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Kartenspielertricks

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Kartenspielertricks
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Zwei Gewerkschafter, eine Botschaft: Für Beförderungen zuständige Führungskräfte innerhalb der baden-württembergischen Polizei haben nahezu freie Hand, ihre Wunschkandidat:innen die Karriereleiter hochzuschieben. Das ist skandalös.

Das Handtuch zwischen Ralf Kusterer und der CDU ist längst zerschnitten. Im Zuge der Koalitionsverhandlungen 2021 und der vielen Zugeständnisse der Christdemokrat:innen an die Grünen hatte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) laute Klagen angestimmt: wie "Werte auf dem Schmuddeltisch preisgegeben und verraten werden", wie "Spitzenkandidat(inn)en noch am Wahlabend kaltgestellt" würden, dass man "nur Ekel empfinden" könne und dass auf eine Art und Weise um die Gunst der Regierungsbeteiligung gebuhlt werde, "wie Prostituierte auf dem Straßenstrich". Auslöser waren unter anderem die Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen und das Antidiskriminierungsgesetz. In der Verbandszeitung schrieb sich Kusterer den Frust von der Seele: "Diese Eindrücke bleiben, sie bleiben wie der abgestandene Geruch im durchlebten Prostitutionswohnmobil, an dessen Durchsuchung man sich noch Jahrzehnte erinnert."

Zum Wochenbeginn war der Erste Polizeihauptkommissar Zeuge im Untersuchungsausschuss "IdP & Beförderungspraxis". Im Plenarsaal des Stuttgarter Landtags ging es bei der 25. Sitzung allerdings vergleichsweise weichgespült zu. Jede Menge Eindrücke hatten die Zeugen dennoch im Gepäck. Etwa dazu, dass es bei Baden-Württembergs Polizei zwar eine Dienstvereinbarung zum Thema Alkohol gibt, dass die "aber nicht gelebt werde in Teilen der Führung" – unter anderem ausweislich der diversen Vorfälle, die rund um Andreas Renner, den früheren Inspekteur der Polizei (IdP), publik geworden waren. Oder zu den Reaktionen auf das Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Renner – den Verdacht auf sexuelle Nötigung, von dem er mittlerweile freigesprochen wurde: "Jedes mittelständische Unternehmen hätte sofort Untersuchungen mit externen Beratern und Compliance-Anwälten aufgenommen", meinte Kusterer. Nicht so die Spitze im Innenministerium Baden-Württemberg, "und das schadet unserer Polizei".

Die Renner-Affäre interessiert beim Grillfest

Der 61-Jährige zerstreut die immerwährende Hoffnung der CDU, die Affären um den Innenminister des Landes und seinen Oberpolizisten interessiere niemand. Ganz im Gegenteil: "Wenn Sie bei jeder Grillparty gefragt werden, was ist denn bei euch los, da ist Sodom und Gomorra, dann ist das eine Belastung." Der langjährige Gewerkschafter Kusterer ist Interessenvertreter nicht ohne Fehl und Tadel, siehe die reichlich derbe Wortwahl im Umgang mit der hiesigen CDU, aber er ist einer der wenigen Zeugen bisher, die, wie SPD-Obmann Sascha Binder sagt, in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Innenministerium stehen. Auskunft gibt er dementsprechend offen, auch über Justizstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU), der selbst bereits geladen war, vielfach als versierter Strippenzieher beschrieben worden ist und von Kusterer als "Fürsprecher für Herrn Renner" eingeordnet wird.

Vor allem aber äußert sich der meinungsfreudige Zeuge zu einem der Kernpunkte des Untersuchungsauftrags, der zweifelhaften Beförderungspraxis bei der Polizei: "Wer weiß, wie es geht und die Kompetenz hat, es zu tun, der kann alles machen." Das ist wie gewohnt pointiert und trotzdem nicht der Satz der Sätze an diesem Montag. Denn ausgerechnet Steffen Mayer, der deutlich zurückhaltendere Landeschef des Bund Deutscher Kriminalbeamter, spitzt rund um die Karrieren, die möglich sind bei der Polizei, noch mehr zu: "Wer weiß, wie er die Karten spielen muss, der kann sie spielen und was erreichen." Kein Wunder, dass Sascha Binder Machtmissbrauch und Kartenspielertricks scharf kritisiert.

Wie so oft seit dem Start vor zwei Jahren kommt der Untersuchungsausschuss an einen Punkt, an dem konkrete Konsequenzen unausweichlich scheinen. Wie so oft tut sich aber wenig bis nichts. Es ist, als schwebte mit der schützenden Hand, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seit Anbeginn über seinen Innenminister Thomas Strobl hält, ein beschönigender Schleier über den bereits herausgearbeiteten Vorgängen: dass beispielsweise im Innenministerium versucht wurde, einen der schärfsten Kritiker Renners, den früheren Präsidenten des Landeskriminalamts Ralf Michelfelder, in schlechtes Licht zu rücken. Dass auch die Beurteilungsrunde 2023 und damit die Besetzung weiterer Spitzenposten nach den vielfach inkriminierten bisherigen Maßstäben abgelaufen ist. Dass der oberste Dienstherr Strobl nicht nur keinen Kontakt zum Hauptpersonalrat der Polizei pflegt – Kusterer ist Vorsitzender, Mayer Mitglied –, der Personalrat auch in weitreichende Entscheidungen – wie die Abschaffung des Amts des Inspekteurs – überhaupt nicht eingebunden war. Das alles müsste eigentlich Gegenstand größerer Empörung sein, ist es aber nicht.

Weniger Polizei-, vielmehr Minister-Affäre

Tradition geworden ist eine Medienrunde am Ende jedes Sitzungstages, selbst wenn Mitternacht bereits vorbei ist. Die Ausschussvorsitzende, die Freiburger Grünen-Abgeordnete Daniela Evers, und die Obleute der Fraktionen ziehen Resümee und stellen sich den Fragen der Medien. Die Opposition, vor allem SPD und FDP, arbeiten mal feinziseliert und mal gröber die wichtigsten Erkenntnisse heraus. Es gebe keine "Polizei-Affäre", sagt FDP-Obfrau Julia Goll wieder einmal und in Anlehnung an die Aussagen der beiden Gewerkschafter, sondern eine Affäre der Polizeiführung und eine Ministeraffäre. Und es sei ein Unding, dass Strobl – zum Beispiel in der Landtagsdebatte zum Untersuchungsausschuss – immer wieder versuche, die Kritik an ihm umzudeuten in eine Kritik an der ganzen Polizei.

Ein Unding, aber nicht die bitterste Erkenntnis diesmal. Die haben die beiden Zeugen mitgebracht, sie sind sich sogar ganz und gar einig in der Einschätzung. Besetzungs- und Beurteilungsverfahren werden nie objektiv funktionieren können, davon sei er überzeugt, sagt Mayer. Und Kusterer berichtet, sich lange Zeit mit möglichen Varianten befasst zu haben, ohne zufriedenstellende Antworten gefunden zu haben. Die Obleute der Regierungsfraktionen, Oliver Hildenbrand (Grüne) und Christiane Staab (CDU), bleiben dennoch hoffnungsfroh, wollen weiter die richtigen Stellschrauben suchen.

Auf einen kenntnisreichen Berater muss Staab indes verzichten. Kusterer ist nach der Auseinandersetzung während der Koalitionsverhandlungen 2021 nach zwei Jahrzehnten Mitgliedschaft aus dem Polizeiarbeitskreis der Schwarzen ausgetreten. Da hatte ihm der CDU-Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel – angesichts des Prostitutionswohnmobil-Vergleichs – schon nachgerufen, er wolle "dieses Land" spalten: "Vorwürfe, die in der Sache falsch sind und sich einer sexualisierten Sprache bedienen, die Hate Speech Vorschub leisten, disqualifizieren sich selbst." Die Replik ließ nicht lange auf sich warten. Er könne "den Ausverkauf konservativer Werte nicht länger mittragen", antwortete der dieser Art Kritisierte. Hinter den verschlossenen Türen der nicht-öffentlichen Ausschusssitzung zu Wochenbeginn sollen übrigens, so wird im Landtag erzählt, noch einige weitere Beförderungen bekannt gemacht worden sein, die zumindest ungewöhnlich verlaufen sind – neben der von Renner. Details bleiben geheim. Jedenfalls bis auf Weiteres.

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2 Kommentare verfügbar

  • Kurt Mailänder
    am 01.05.2024
    Antworten
    Als ständiger Besucher des Untersuchungsausschusses kann ich der Berichterstattung von Frau Henkel-Waidhofer nur höchste Anerkennung zollen. Gerade auch weil die Sache in dem Maße öffentliches Interesse verliert wie die baden-württembergische CDU ihre Umfragewerte steigert. Man muss an diesem Thema…
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