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In eigener Sache

Kontext gleich zwei Mal vor Gericht

In eigener Sache: Kontext gleich zwei Mal vor Gericht
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Zwei Gerichtsverfahren begleiten Kontext derzeit: Seit sechs Jahren die Unterlassungsklage eines Rechtsextremisten und seit einigen Monaten die von Andreas Renner, dem ehemaligen Polizeiinspekteur. Beide Fälle werden in den kommenden Wochen wieder verhandelt.

Kommende Woche Dienstag steht Kontext in Hamburg vor Gericht. Grund dafür ist unsere Berichterstattung über Andreas Renner, gegen den bis zu seinem rechtskräftigen Freispruch aus Mangel an Beweisen vor wenigen Tagen wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung einer Kommissarin ein Verfahren lief. Unsere Kolumnistin Elena Wolf hatte den ehemaligen Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg mit dem Begriff bedacht, der ein Geschlechtsteil mit seinem Beruf koppelt. Denn unbestritten ließ der ehemals ranghöchste Vollzugspolizist in Baden-Württemberg zu, dass sich die Hand einer Polizistin auf seinem Geschlechtsteil fand – während des Urinierens zu später Stunde und alkoholisiert. Kein Wunder also, dass die "Bild"-Zeitung so titulierte. Wir fanden die knackige Wortschöpfung zwar nicht hübsch, aber passend und zur Weiterverwendung geeignet. Zumal der Strafprozess gegen Renner die Frage thematisierte: Hat die Kommissarin, die Karriere machen wollte, vor der Kneipe The Corner in Stuttgart Bad Cannstatt ihre Hand freiwillig auf das Geschlechtsteil von Andreas Renner gelegt, während der draußen pinkelte, oder wurde sie dazu genötigt?

Das Gericht konnte, so steht es im Urteil, nicht aufklären, was genau vor der Kneipe geschehen war. Auch weil sich Andreas Renner während des Prozesses nicht zur Sache äußern wollte. Dafür saß er Ende 2023 mit seiner Anwältin Ricarda Lang in deren Büro und empfing dort eine freie Journalistin und den Chefredakteur von "Zeit Verbrechen", einem True-Crime-Angebot des "Zeit"-Verlags, und sprach, so meldet das Magazin, "exklusiv" mit den Autor:innen. "Renner ist groß, selbst wenn er sitzt", schrieben die Ende 2023. "Graue Kurzhaarfrisur, grauer Dreitagebart. Den hat er sich neuerdings stehen lassen, obwohl er nie ein Bart-Mensch war, wie er sagt. Aber die Blicke, die ihn auf den Straßen Stuttgarts ständig treffen, diese Ach-ist-das-nicht-der-xxxxx-xxxxxxxx (hier den Begriff einsetzen, den die "Zeit" verwenden darf,Kontext aber nicht)-Blicke." Insgesamt vier Mal kommt der uns verbotene Begriff im "Zeit"-Artikel vor, mehrere Stunden lang stand die Wortschöpfung sogar im Titel auf "Zeit-Online", bis er letztlich geändert wurde.

Hund und Haushalt

Die beiden Autor:innen gehen sehr verständig mit diesem Mann um, der sich nicht nur einmal in seiner herausgehobenen Stellung als Bindeglied zwischen Polizei und Innenministerium Frauen gegenüber ziemlich unwürdig verhalten hat. "Zeit-Verbrechen" schreibt: "Bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr würde er seine Beamtenrechte unwiederbringlich verlieren. Seine gesamten Pensionsansprüche. Seine ohnehin schon zerstörte Karriere würde einfach ausradiert." Oder auch: "Renner ist hilflos, man sieht es ihm an. Über Jahrzehnte hat er zehn Stunden und mehr pro Tag in den Job investiert, jetzt macht seine Frau Karriere. Auch sie ist Polizistin. Und er macht den Haushalt, führt den Hund aus, geht einkaufen." Während die Stadt diskutiert, dass der Mann, von dem man als Spitzenpolizist eigentlich Integrität erwarten dürfte, so integer doch nicht war und trotzdem seit Beginn des Verfahrens mit rund 8.500 Euro monatlich beinahe volle Bezüge erhält. Kein schlechter Sold für Einkaufen und Hund ausführen. "Zeit-Verbrechen" aber fragt: "Wo soll man das Geld schon ausgeben, wenn man nirgends mehr hingehen kann?"

Die Stelle des IdP ist mittlerweile durch den Innenminister gestrichen worden, zudem wird eine Stabsstelle eingesetzt für moderne Werte- und Führungskultur. Denn wie Renner überhaupt in so rasanter Geschwindigkeit auf diesen Posten kam, wird derzeit noch im Untersuchungsausschuss des Landtags überprüft.

Renner ist, wie gesagt, mittlerweile freigesprochen vom Verdacht der sexuellen Nötigung – aus Mangel an Beweisen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage hatten daraufhin Revision eingelegt, in der es um Verfahrensfehler ging. Zuständig war der Bundesgerichtshof, der vergangene Woche nichts zu beanstanden hatte. Der Freispruch vom Verdacht der sexuellen Nötigung ist damit final. Renner dräut allerdings noch ein Disziplinarverfahren, zudem wird wegen Bestechlichkeit gegen ihn ermittelt, weil er in einem Skype-Telefonat in Aussicht gestellt hatte, Gefälligkeiten könnten der Kommissarin beim Aufstieg auf der Karriereleiter helfen.

Renner gegen Medien

Nach dem erstinstanzlichen Freispruch vor dem Landgericht Stuttgart im Dezember vergangenen Jahres hat Renner eilig begonnen, die Spuren des Verfahrens zu tilgen und ist gegen Presseorgane vorgegangen, die aus dem öffentlichen Verfahren berichtet hatten. Gegen Kontext, gegen "Bild", gegen die taz, auch beim "Spiegel" hat Renner es versucht. Gegen Kontext gehen er und seine Frau derzeit juristisch vor wegen der Verwendung des erwähnten Begriffs, den das Ehepaar uns per einstweiliger Verfügung hat verbieten lassen. Wir haben gegen die Verfügung des Landgerichts Hamburg Einspruch eingelegt. Allerdings mochte das Gericht unserer Argumentation nicht folgen. Der Begriff transportiere nicht die Kritik daran, dass Renner seine berufliche Stellung eventuell mit Sexuellem vermischt habe, heißt es. Wir haben dem vehement widersprochen. Das Gericht hat die einstweilige Verfügung nach einer Online-Verhandlung im Dezember 2023 allerdings aufrechterhalten. "Dies beruht darauf, dass die Bezeichnung des Antragstellers als [der uns verbotene Begriff] nicht in wertender Weise an den fraglos diskussionswürdigen Bestand der Beziehung als solcher anknüpft, sondern in grob abwertender Weise Bezug nimmt auf die Einzelheiten des intimen Austausches des Antragstellers mit den beiden Polizistinnen." Gemeint ist damit auch eine Polizistin, die explizite Bilder von Renner zugeschickt bekommen hat.

Intimer Austausch, auch wenn der "fraglos diskussionswürdig" ist und bei "Zeit Verbrechen" auch dargestellt wird, unterliegt bei Einvernehmen der Intimsphäre, die so geschützt ist, dass nicht darüber geschrieben werden darf. Weiter formuliert das Gericht: "Ein anerkennenswertes öffentliches Interesse an den intimen Einzelheiten einer Beziehung besteht allerdings nicht, und zwar auch dann nicht, wenn das Bestehen der Beziehung als solcher durchaus diskussionswürdig ist."

Wir finden, ein solches Verhalten des höchsten Polizisten eines Landes ist nicht nur diskussionswürdig, es ist sogar zwingend zu diskutieren.

Seit 2018 gegen einen Neonazi

Auch unser zweiter juristischer Fall, mittlerweile redaktionsintern liebevoll "Evergreen" genannt, wird uns in den kommenden Wochen erneut beschäftigen. Am 8. Mai, passenderweise dem "Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus" oder auch dem "Tag der Niederlage" für die nazistische Gegenseite, sind wir am Oberlandesgericht Frankfurt.

Es geht um die Veröffentlichung von Facebook-Chats, die unserer Redaktion zugespielt wurden. Im Frühjahr 2018 haben wir Auszüge daraus veröffentlicht. Damals entflammte gerade die Diskussion, wie rechtsradikal die AfD eigentlich ist. Wir haben Teile der Chats veröffentlicht, weil wir zeigen wollten, wie Mitarbeitende dieser Partei ticken, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit stehen: menschenfeindlich, rassistisch, hasserfüllt.

Es wird unser vierter Besuch bei Gericht sein, seit der ehemalige Mitarbeiter von zwei ehemaligen baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten eine Unterlassungsklage gegen uns anstrengte. Landgericht Mannheim, Oberlandesgericht Karlsruhe, Landgericht Frankfurt – einmal mochte das Gericht uns nicht folgen, bei den anderen beiden Gerichtsterminen haben uns die jeweiligen Pressekammern auf seitenlangen Urteilen vollumfänglich Recht gegeben.

Mittlerweile, sechs Jahre später, sind große Teile der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Und wir stehen immer noch vor Gericht. Vor allem, weil die Gegenseite steif und fest behauptet, die von uns zitierten Chat-Aussagen seien manipuliert worden. Sind sie nicht. Der ehemalige Mitarbeiter hat auch keinen Gegenbeweis, denn er kann seine Version der vermeintlich echten Chats nicht mehr gegen unsere legen: Die hat er gelöscht. Auch die Chatpartner und vom Landgericht Frankfurt geladenen Zeugen Philipp Stein vom rechtsextremen Kampagnen-Verein "Ein Prozent", Torben Braga, AfD-Landessprecher in Thüringen, und der rechte Anwalt Matthias Brauer konnten nicht weiterhelfen: Die meisten relevanten Begebenheiten waren ihnen vor Gericht entfallen, ihre Facebook-Profile und -Chats sind ebenfalls gelöscht oder sonst wie verloren gegangen.

Wir sind gespannt, wie der Termin in Frankfurt am Main ausgeht, und halten Sie auf dem Laufenden.

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