KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Kontext vor Gericht

Vorsicht, bissige Linke

Kontext vor Gericht: Vorsicht, bissige Linke
|

Datum:

Seit viereinhalb Jahren befindet sich Kontext im Rechtsstreit mit einem Neonazi. Kurz vor Weihnachten konnten wir dabei einen wichtigen Etappensieg einfahren: Auch das Landgericht Frankfurt sieht unsere Redaktion eindeutig im Recht.

Drei Zeugen waren im Oktober dieses Jahres vor dem Frankfurter Landgericht geladen. Mit allen hatte Marcel Grauf, Kläger gegen unsere Redaktion, Chat-Kontakt. Auszüge seines Nachrichtenverkehrs haben wir 2018 veröffentlicht. Einer der Zeugen, ein szenebekannter Rechtsextremist aus dem völkischen Spektrum, war sich in seiner Aussage sehr sicher, was sein Kumpel Grauf in der Vergangenheit jedenfalls nicht gepostet habe. Nämlich die von uns zitierten Sachverhalte. "Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!", zum Beispiel. Denn hätte Grauf das im Gespräch gepostet, hätte er selbst, sagt der Zeuge, interveniert und ihn zurechtgewiesen. Genau das hat er getan. "Bist du besoffen?", schrieb er zurück, so hat Kontext ihn auch zitiert. "Damit weist der Chatverlauf zwischen dem Kläger und dem Zeugen XX genau das auf, was der Zeuge angekündigt hatte als seine natürliche Reaktion", schreibt das Landgericht Frankfurt in seinem Urteil. "Das führt aber dazu, dass die Kammer nicht zu vernachlässigende Zweifel hat, ob der Zeuge bei den sonstigen Aussagen die Wahrheit gesagt hat." Die Aussagen der beiden anderen Zeugen, ein Rechtsanwalt und ein AfD-Fraktionsvorsitzender, beurteilte das Gericht als "unergiebig", denn "auf Vorhalt von konkreten Äußerungen hatten die Zeugen keine Erinnerungen".

Es war unser drittes Treffen vor Gericht. Im Mai 2018 hatte Kontext Auszüge aus uns zugespielten Facebook-Chats veröffentlicht, um zu zeigen, wie die Partei und ihr Umfeld ticken und agieren, wenn sie nicht unter öffentlicher Beobachtung stehen. Es waren krasse Aussagen, die da zutage kamen (nachzulesen hier), getätigt von einem Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter im Landtag von Baden-Württemberg.

Ausgabe 384, 08.08.2018

Maulkorb für Kontext

Von Josef-Otto Freudenreich

Kontext darf – vorläufig – nicht mehr schreiben, dass der AfD-Mitarbeiter XXX heißt und ein rechter Hetzer ist. Das hat das Mannheimer Landgericht per einstweiliger Verfügung verboten. Der Mann versichert, er sei nicht Urheber der üblen Äußerungen in den ihm zugeschriebenen Facebook-Chatprotokollen. Darauf stellt Kontext noch im Gerichtssaal Strafanzeige wegen falscher Versicherung an Eides statt.

Beitrag lesen

Im August 2018, bei der ersten Verhandlung vor dem Landgericht Mannheim, damals noch im Eilverfahren, waren wir unterlegen. Der vorsitzende Richter wunderte sich über das große öffentliche Interesse angesichts dieser "lahmen Geschichte", bereits vor der mündlichen Verhandlung hatte das Gericht geklagt, dass es die Vorlage von 17.000 Seiten Chatprotokollen in einem Eilverfahren für "nicht verarbeitbar" halte. Schließlich gab das Gericht der einstweiligen Verfügung gegen unsere Redaktion statt, unter anderem da die Authentizität des Materials nicht mit der nötigen Sicherheit belegt sei.

Anders sahen das die Richterinnen und Richter in Karlsruhe. Nach der Auswertung von elf Aktenordnern voller Beweismaterial gab das Oberlandesgericht unserer Redaktion in höherer Instanz in allen Punkten Recht. Im 32 Seiten umfassenden Urteil vom 4. März 2019 heißt es: "Die beanstandeten Presseartikel leisten einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage." Und weiter: "Unter diesen Umständen kommt den Äußerungen des Klägers hoher 'Öffentlichkeitswert' zu." Auch an der Nennung des Klarnamens fand das Gericht nichts zu beanstanden. "Sein Recht auf Vertraulichkeit und am Schutz seiner Persönlichkeit haben hinter dem Recht des Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit zurückzutreten."

Das Urteil aus Karlsruhe ist unanfechtbar und damit war das Eilverfahren erledigt. Allerdings hatte Grauf noch die Option, ein (deutlich zeitaufwändigeres) Hauptsacheverfahren zu eröffnen, und machte auch davon Gebrauch.

Bestritten wurde vom Kläger und seinem Vertreter Rechtsanwalt Christian Conrad von der Kanzlei Höcker zunächst die Echtheit der gesamten, 17.000 Seiten umfassenden Protokolle. Das änderte sich im Lauf der Auseinandersetzung, letztlich wurde nur die Echtheit der in unserem Artikel zitierten Passagen geleugnet: Die seien gefälscht und in den Chat-Verlauf hineinmanipuliert worden, behauptete die Gegenseite – allerdings kann sie keine Gegenbeweise liefern, weil Grauf die Chatprotokolle mit den inkriminierten Passagen gelöscht hat und die als Zeugen geladenen Chat-Partner ebenso verfahren sind. "Beweisvereitelung" nennt dies das Landgericht Frankfurt.

Sowohl das OLG Karlsruhe als auch das Landgericht in Frankfurt am Main halten die von unserer Redaktion zitierten Passagen für authentisch. Das Gericht in Karlsruhe urteilte, es spreche eine "deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Echtheit der Chat-Protokolle". Auch das Landgericht in Frankfurt "geht von der Authentizität der vorgelegten Facebook-Protokolle aus", heißt es in der Urteilsschrift.

Außerdem ist die Kammer "überzeugt, dass die Beklagte zu 2. (Kontext-Autorin Anna Hunger) ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachgekommen ist und die Authentizität der Chat-Protokolle mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft hat. Die Beklagte zu 2. war nachvollziehbar in der Lage darzulegen, dass die so gewonnenen Informationen zuverlässig sind. Die Beklagten handelten auch in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als Presseorgan im Sinne eines 'Wachhunds der Öffentlichkeit' wahr."

Ausgabe 523, 07.04.2021

Ruf und Existenz gerettet

Von Kontext-Anwalt Markus Köhler

Gut zu wissen, dass es immer jemanden gibt, der einen raushaut. Unser Autor, einer der besten deutschen Presserechtler, gehört dazu.

Beitrag lesen

So kann sich der Spieß umdrehen: Im Juli 2018 warnte unsere Redaktion noch vor einem bissigen Rechten und Karikaturist Kostas Koufogiorgos steuerte einen gezeichneten Kommentar bei: Ein "Grauf! Grauf! Grauf!"-kläffender Köter setzte einem Postboten nach, der gerade Kontext-Ausgaben auslieferte.

Graufs ehemalige Chefin Christina Baum sitzt mittlerweile im Bundestag, Graufs zweiter Chef Heiner Merz hat im Sommer 2020 Partei und Landtagsfraktion verlassen. Grauf selbst arbeitet seit 2021 nicht mehr für die Partei oder ihre Abgeordneten. Und dennoch wurde dieses Verfahren gegen Kontext bis jetzt in die Länge gezogen. Und wird immer teurer.

Das Kostenrisiko für unsere Redaktion lag bei etwa 100.000 Euro, falls wir das Verfahren in Frankfurt verloren hätten. Dass wir uns diese Auseinandersetzung leisten konnten, verdanken wir unseren großartigen Unterstützer:innen, die die nötige Summe nach einem Spendenaufruf 2019 zur Verfügung stellte – in einer Geschwindigkeit, von der wir nie zu träumen gewagt hätten. Nur dank dieser Hilfe konnten wir überhaupt weitermachen und klare Kante zeigen gegen die, die uns den Mund verbieten wollen.

Einschüchterung mit juristischen Mitteln ist eine Strategie, die mittlerweile sogar einen Namen hat: Slapps – Strategic Lawsuits Against Public Participation. Sie zielen darauf, Redaktionen oder Organisationen so lange zu beschäftigen, bis keine Zeit mehr bleibt, die eigentliche Arbeit zu machen. Auch Kosten sind eine Waffe: Denn je länger ein juristischer Streit dauert, desto teurer wird er. Ziel solcher rechtsmissbräuchlicher Klagen ist es, die Betreffenden unter Druck zu setzen, finanziell auszubluten und zum Aufgeben zu bewegen.

Karl Bär, Deutschlands bekanntester Slapp-Fall, kennt das. Er ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitarbeiter des Umweltinstituts in München. Weil er auf den überhöhten Pestizideinsatz beim Apfelanbau in Südtirol aufmerksam gemacht hat, zeigten ihn 2017 der Südtiroler Landwirtschaftsminister und 1.370 Landwirte an. "Seitdem komme ich zu fast nichts anderem mehr", sagt er in einem Video auf Youtube. "Wir können unsere eigentliche Arbeit als Umweltschutzorganisation eigentlich nicht mehr machen."

Ausgabe 412, 20.02.2019

Keine Macht dem Ungeist

Von Gastautorin Herta Däubler-Gmelin

Was macht der clevere Rechtsextremist? Er leugnet seine widerwärtigen Aussagen und stellt sich als Opfer der „Lügenpresse“ dar. Vor dem Mannheimer Landgericht hatte Marcel Grauf damit Erfolg – zum Entsetzen der Bundesjustizministerin a.D. Herta Däubler-Gmelin. Das Urteil des OLG in Karlsruhe hat sie wieder versöhnt. Warum die Mannheimer Richter sorgfältig darüber nachdenken sollten, begründet sie in ihrem Exklusivbeitrag.

Beitrag lesen

Das Video hat er im Rahmen einer Initiative der beiden EU-Abgeordneten Tiemo Wölken (S&D, Deutschland) und Roberta Metsola (EVP, Malta) aufgenommen. "Einschüchterungsklagen sind gängige Praxis in einigen EU-Staaten und eine Bedrohung der Pressefreiheit", schreiben die beiden. Die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia hatte, so berichten es "Reporter ohne Grenzen", rund 40 Klagen wegen Verleumdung anhängig, als sie ermordet wurde. "Die Kläger erzeugen dadurch ein Klima der Angst, um Berichterstattung über Korruption und andere Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu unterbinden."

Um das einzudämmen, ist ein neues EU-Gesetz auf dem Weg. Einfach aber ist das Verfahren nicht, denn selbstverständlich gibt es bei Verstößen gegen das Persönlichkeitsrecht durchaus gerechtfertigte Klagen, auch gegen Medienvertreter:innen.

Dass auch das Landgericht Frankfurt unsere Redaktion in der Auseinandersetzung gegen Marcel Grauf im Recht sieht, ist ein toller Etappensieg. Entwarnung können wir aber leider noch nicht geben. Der Gegenseite bleibt die Option, erneut Einspruch einzulegen. Der Fall kann noch vor das Oberlandesgericht Frankfurt gehen, womöglich sogar vor den Bundesgerichtshof. Dass Richterinnen und Richter die Causa nach sorgfältiger Prüfung noch grundlegend anders beurteilen werden, halten wir in der Redaktion zwar für sehr unwahrscheinlich. Aber spannend bleibt es natürlich trotzdem, 2023 und vielleicht noch lange darüber hinaus. In jedem Fall werden wir Sie auf dem Laufenden halten.

Erste Glückwünsche zum jüngsten Urteil

"Herzlichen Glückwunsch zu diesem Urteil, Kontext-KollegInnen! Vollkommen rechtmäßig und sowieso legitim habt ihr aufgedeckt, dass oft genug Nazis drin sind, wo AfD draufsteht. Die freie Presse darf sich weiterhin nicht von juristischen Klagen und Klagedrohungen davon abhalten lassen, solche Leute dann auch mal beim Namen zu nennen. Weitermachen!"
Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der taz

"Erleichterung und Freude – beides hat das Frankfurter Urteil bei mir ausgelöst. Erleichterung deshalb, weil ich weiß, wie viel Kraft, Zeit und auch Sorgen dieser Rechtsstreit die Redaktion gekostet hat. Dass sie ihn bis heute durchgestanden hat, dafür gebührt ihr mein Respekt. Nicht zu vergessen die Leserinnen und Leser, ohne deren Unterstützung diese Beharrlichkeit wohl nur schwer hätte erhalten werden können. Sie eint die Überzeugung, dass die Feinde der Demokratie aus dem Dunkel hervorgeholt und mit Namen genannt werden müssen. Kontext hat das unbeirrt getan – und das hat mir Freude gemacht. Danke dafür."
Edzard Reuter, Kontext-Beirat, ehemaliger Daimler-Benz-Chef

"Die Berichterstattung über die Umtriebe (ehemaliger) AfD-Landtagsmitarbeiter offenbart eine Verachtung von Demokratie, Anstand und sozialem Miteinander, wie sie in solchen Kreisen leider nicht nur vereinzelt anzutreffen ist. Deshalb ist die Offenlegung solch menschenverachtender Äußerungen ein Dienst an der Gesellschaft. Die Berichterstattung zeugt aber auch von gutem journalistischem Handwerk. Erfreulicherweise hat das Gericht dies jetzt in den meisten Punkten bestätigt. Vorbildlich, wie Kontext sich nicht durch Klagen einschüchtern lässt. Es geht hier um politisch motivierte juristische Auseinandersetzungen mit den immer gleichen Anwälten, die oft nach ähnlichen Mustern verlaufen und nur ein Ziel haben: Freien Journalismus einzuschränken. Das dürfen wir als Medienleute nicht zulassen, und erfreulicherweise sehen die Gerichte das meistens ähnlich."
Markus Pfalzgraf, Deutscher Journalistenverband

"Die Gefahr für die Demokratie kommt von rechts. Es ist Zeitungen wie Kontext zu verdanken, öffentlich zu machen, dass rechtsradikales, rassistisches und menschenfeindliches Gedankengut nicht nur bei neonazistischen und offen faschistischen Gruppen und Organisationen zu Hause ist, sondern auch im direkten Umfeld der AfD. Die Veröffentlichungen von Chatprotokollen von Marcel Grauf, damals Mitarbeiter der AfD-Abgeordneten Heiner Merz und Christine Baum, brachten die ganzen Abgründe rechtsradikalen Denkens ans Licht der Öffentlichkeit. Auch bei der Razzia gegen gewaltbereite und bewaffnete Reichsbürger, die einen Putsch vorbereiteten, wurden die Verbindungen aus diesem Milieu zu einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten öffentlich bekannt. Es überrascht daher nicht, dass Journalist*innen, die unersetzliche und wichtige Aufklärungsarbeit leisten, den rechten Demagogen ein Dorn im Auge sind. Besonders fies ist der Versuch, Kontext mit einer Klagewelle bei einem exorbitant hohen Streitwert zu überziehen, um sie zu ruinieren. Es ist eine gute Nachricht, dass dieser Versuch gescheitert ist und die Klage von Marcel Grauf vom Landgericht Frankfurt im Hauptsacheverfahren zurückgewiesen wurde. Gratulation an die Redakteure und Macher*innen von Kontext für ihren Mut und ihre Standfestigkeit. Kontext wird dringend gebraucht. Macht weiter so. Die Gefahr für die Demokratie kommt von rechts und nimmt zu. Wir sollten deshalb äußerst wachsam sein."
Bernd Riexinger, Bundestagsabgeordneter für die Linke und Gewerkschafter


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


4 Kommentare verfügbar

  • Franz Ruetz
    am 27.09.2023
    Antworten
    Woher das Geld kommt?
    Von der Internationale der Nationalen. Alle Nationalisten Europas waren doch immer gerne in Moskau bei Putin zu Gast, auch wenn sie sich gerade ziemlich zurückhalten.
    Destabilisieren der Demokratien ist ein erklärtes Ziel.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!