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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Heißer Waffenlauf im Gesäß

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Heißer Waffenlauf im Gesäß
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Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) lobt Baden-Württembergs Spezialeinsatzkommando (SEK) als "unsere Speerspitze bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität". Das Innenleben allerdings kennt Merkwürdigkeiten.

Am Ende eines langen Tages im Untersuchungsausschuss haben sich wieder einmal reihenweise neue Fragen aufgetan: Seit 27. Sitzungen prüft das Gremium im Landtag Baden-Württembergs die Beförderungspraxis bei der Landespolizei, mit einem besonderen Blick auf den früheren Inspekteur der Polizei (IdP) Andreas Renner, der laut Jobbeschreibung des Innenministeriums für das "strategische Controlling, Qualitätsmanagement und die Interne Revision" zuständig war. Für SPD-Obmann Sascha Binder ist nach einer fast zehn Stunden langen Ausschusssitzung am vergangenen Montag klar, dass auch das in Göppingen stationierte Spezialeinsatzkommando (SEK) noch genauer untersucht werden muss: "Der Teil SEK wird in unserer Arbeit ausgeweitet", kündigt er an.

Mit den Umtrieben in der Eliteeinheit befasst sich das Gremium, weil der damalige IdP ein monatelanges Führungschaos zwischen 2019 und 2021 mitverantwortet. Das Kommando verteidige in der heutigen Zeit auch die Demokratie, sagt Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand, "und sie verdienen große Anerkennung für ihre unglaublich wichtige und lebensgefährliche Arbeit voller Leib und Seele und für den Rechtsstaat". Genau deshalb sei aber wichtig, Hinweisen nachzugehen, selbst wenn diese diffus seien.

Und den offenkundigen erst recht. So offenbaren Zeugenaussagen Einblicke in ein teils ominöses Innenleben des SEK. Einmal etwa stößt ein Beamter einem anderen einen heißen Waffenlauf ins Gesäß. Ein anderermal wird spaßeshalber mit Platzpatronen herumgeschossen. Die Vorfälle liegen mehrere Jahre zurück. Doch die internen Aufklärungen bleiben lange so intern, dass sich drei Beamte in Beurteilungsgesprächen mit Vorgesetzten aufgerufen sahen, noch einmal darauf hinzuweisen. Neue Untersuchungen kommen ins Rollen, es geht auch um Strafvereitelung, Lager bilden sich oder sind ohnehin schon vorhanden. Die drei Hinweisgeber verlassen später Göppingen.

"Faule Äste” bei der Elitetruppe

Werner Knubben, der erste Zeuge am Montag, langjähriger Polizist und Landespolizeidekan i. R., spricht von "faulen Ästen", die es gegeben habe. Er stellt sich an die Seite jener, die Vorgänge noch einmal aufgerollt wissen wollten. Er berichtet von Gehorsamsverweigerung, weil die Beamt:innen unter dem Kommando der vom IdP überraschend berufenen Beamt:innen nicht arbeiten wollten.

Der Zeitablauf ist einigermaßen klar: Seit August 2019 und weil der bisherige Kommandoführer einem Ruf ans Innenministerium folgte, war das SEK nur kommissarisch geleitet. Eine neue Führung sollte bestellt werden, wurde es im letzten Moment aber doch nicht. Der IdP schickte ein neues Duo, das keine Akzeptanz fand und in der Folge ebenfalls ersetzt werden musste. Die Einsatzbereitschaft des SEK habe aber nie in Frage gestanden, sagt der Zeuge Knubben tapfer.

Unstrittig ist die Bedeutung der Einheit. Ein Blick auf Einsätze in den vergangenen Monaten umreißt die Bandbreite: Ein Ex-Soldat in Unterkirnach im Schwarzwald widersetzt sich zwölf Stunden lang einer Zwangsräumung mit der Drohung, sein Haus in Brand zu setzen; eine Geiselnahme in Ulm wurde beendet; ein Mann mit Beil in Weinstadt überwältigt und in eine psychiatrische Klinik gebracht; auf dem Gebiet der Uni in Stuttgart-Vaihingen werden vier Robin-Wood-Aktivist:innen von einer Eiche geholt; im März ein gesuchter Mann auf einer Bodensee-Fähre festgenommen und ein Brandstifter in Bad Boll überwältigt; in Schönthal bei einem Drogendealer 10.000 Schuss Munition sichergestellt; Anfang Juni finden im Landkreis Calw Durchsuchungen in der "Reichsbürger"-Szene statt.

Fragwürdige Aufnahmerituale

Gegründet wurde das SEK im Mai 1976 mit einer Stärke von damals 36 Beamt:innen. Baden-Württemberg sieht sich Vorreiter, weil – wie es in einem historischen Abriss heißt – die Siebzigerjahre und Ereignisse um die RAF oder Münchner Olympia-Attentat 1972 gezeigt hätten, "dass es Einsätze gibt, die mit dem herkömmlichen Ausbildungs- und Ausrüstungsstand nicht zu bewältigen waren". 46 Jahre später meint Knubben – gemeinsam mit dem bereits im Mai als Zeugen vom Ausschuss gehörten früheren SEK-Experten Peter Hönle – eines gesichert herausgearbeitet zu haben: dass es im von ihnen überblickten Zeitraum keine rechtsextremen Umtriebe gegeben hat. "Wir waren keine naiven alten Männer, die null Ahnung haben von faschistischen Symbolen, wir waren sehr, sehr aufmerksam, haben ein scharfes Auge darauf gerichtet", berichtet Knubben von der Arbeit in Göppingen und verweist auf seine Erfahrung nach 15 Jahren Mordkommission: Er wolle "selbst in diesem Hohen Haus behaupten, dass ich eine Sensibilität für Wahrheit habe und merke, wenn mich wer anlügt".

Erst noch geklärt werden muss, wo die Gerüchte überhaupt herkamen, ebenso wie sich eine genauere Überprüfung des facettenreichen Stimmungsbildes aus dem Alltag abseits von Einsätzen aufdrängt. Knubben kann sich vorstellen, dass in der Eliteeinheit Aufnahmerituale stattgefunden haben. Der 75-Jährige kommt in Fahrt, erzählt von alten Zeiten, von jungen Polizeibeamt:innen, die Leichen auf Geruch untersuchen oder Selbstmörder, als der Strick abgeschnitten wurde, auffangen mussten. Auch Abiturienten, die ihr Abitur feierten, sagt er, oder schlagende Verbindungen machten "alles Mögliche bei der Feier im Bierkeller". Das gebe es überall. Mit einem Mal erinnert die Szenerie im Plenarsaal an die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum "Nationalsozialistischen Untergrund", als Polizeibeamte den zum Gruß erhobenen rechten Arm bei zu überprüfenden jungen Männern oder einschlägige Devotionalien "Dumme-Jungen-Streiche" nannten.

Korpsgeist im Strampelanzug

Neben Knubben ist am vergangenen Montag Ralph Papcke, der frühere Präsident im Polizeipräsidium Einsatz, in das Landtagsgremium geladen. Den Berichten der Zeugen in der wieder fast zehnstündigen Sitzung zu folgen, fällt auch den Abgeordneten nicht immer leicht. Die Namen einfacher SEK-Beamter werden abgekürzt. Manche keineswegs unbedeutenden Einzelheiten sind dennoch schnell zu dechiffrieren. Etwa wenn Knubben berichtet, wie der IdP ihm nach einem kurzen Gespräch in Göppingen erklärte, nichts mit Frau K, der neuen Kommandoführerin, zu haben. Die Mitteilung hat beim früheren Landespolizeidekan erst nur Verwunderung ausgelöst. "Fünf Wochen später konnte ich das besser verstehen", sagt Knubben, weil da – im November 2021 – die Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen Renner öffentlich wurden.

Die FDP-Obfrau Julia Goll sieht dazu noch weiteren Aufklärungsbedarf, weil K. "wohl aus dem privaten Umfeld von Andreas R. stammt: Hier steht erneut ein Verdacht der Klüngelei im Raum". Ebenso müsse die Rolle von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz und von Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) beleuchtet werden, "denn unter deren Augen könnte ein solches Postengeschacher stattgefunden haben". In geradezu dramatischer Art und Weise habe dieses vom Innenministerium kurzfristig bestimmte Führungsduo nicht funktioniert. Erst danach seien die Stellen ausgeschrieben worden. Für die frühere Staatsanwältin Goll schließt sich ein Kreis, weil sich der Ausschuss mit der Besetzungs- und Beförderungspraxis ebenfalls intensiv zu befassen habe.

Und damit, wie das Innenministerium auf die Vorgänge in Göppingen reagiert hat, wie viel überhaupt bekannt war und ist. Erst im vergangenen Herbst war Strobl, der das Kommando als "unsere Speerspitze bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität" bezeichnet, wieder einmal beim SEK. Diesmal, um die speziell ausgebildeten Einsatz-Ärzte vorzustellen, die "unser SEK bei besonders gefährlichen Einsätzen” begleiten – "das ist bundesweit einmalig!". Vielleicht hat er sich am Rande erkundigt, ob die Stimmung unter den Beamt:innen inzwischen wieder eine andere ist, ob Korps- oder Teamgeist herrsche. Und ob der Ärger über seinen Protegé Andreas Renner überwunden werden konnte. Hatte der die Eliteeinheit doch einmal in einem Anfall überbordender Wertschätzung als "in ihren Strampelanzügen nett anzusehende Jungs" bezeichnet. Fortsetzung folgt.

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1 Kommentar verfügbar

  • Nico
    am 25.06.2024
    Antworten
    Grusselig.
    Da, wo Autorität, Knarren und uneinsichtiges Testosteron herrschen.

    I have no hope. Null.
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