KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

"Keine militärische Truppe"

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: "Keine militärische Truppe"
|

Datum:

Der Polizei-Untersuchungsausschuss im baden-württembergischen Landtag konnte keine rechtsradikalen Tendenzen bei dem in Göppingen stationierten Spezialeinsatzkommando (SEK) feststellen. Der Korpsgeist allerdings ist stark ausgeprägt, ebenso die Macho-Skepsis gegenüber Frauen.

Petra Häffner müht sich redlich. Die Polizeifachfrau der grünen Landtagsfraktion will herausarbeiten, wieso das SEK bis heute ein derartiger Männerzirkel ist. Gerd Plankenhorn, der die Leitung der Truppe nolens volens Anfang 2021 für einige Monate übernommen hatte, berichtet von Diskussionen nicht nur in Baden-Württemberg, ob Frauen körperlich überhaupt in der Lage seien, den hohen Anforderungen in gefährlichen Spezialeinsätzen gerecht zu werden. Er spricht aber ebenso darüber, wie prägend das Männlichkeitsgehabe weiterhin sei.

Auch Alexander Fuchs, der pensionierte Direktor Spezialeinheiten beim Polizeipräsidium Einsatz, ist grundsätzlich skeptisch ("Sie können kein ganzes SEK aus Frauen bilden"). Immerhin anerkennt er die wichtige Rolle von Kolleginnen bei Einsätzen in Familien: "Wenn ich morgens um sechs in ein Haus reingehe und den Ehemann aus dem Bett rausziehe, dann bin ich froh, wenn eine Frau dabei ist, die die Sturmhaube abnimmt und sich erkennbar macht." Es sei davon auszugehen, Waffenträgerinnen anzutreffen, "da ist es hilfreich, wenn eine Frau in der ersten Reihe mit dabei ist". Zur Zeit ist das aber nicht der Fall. Fuchs weiß zu berichten, wie Polizistinnen gefördert wurden, sogar mit persönlichen Trainern, um das für Frauen abgesenkte Level zu erfüllen. Gelungen sei das aber nicht.

Fuchs war selber zunächst Gruppen- und dann Kommandoführer in Göppingen. Einblicke in den Alltag und das Innenleben des SEK sind selten. Die Eliteeinheit umfasst rund 90 Männer, die rund 250 Mal im Jahr bei Geiselnahmen, Amokläufen oder Sprengstoffdrohungen ausrücken oder um Promis zu schützen, wie Papst Benedikt 2011 in Freiburg. Alle zwölf Monate finden Bewerbungsrunden statt. Von 15 bis 25 Anwärtern werden acht bis zehn aufgenommen. Die Aufsteiger kommen immer aus den eigenen Reihen. Die Arbeit beschrieb Fuchs als eigentlich weniger belastend im Vergleich zum Dienst von Streifenbeamten. "Ich weiß nach 20 bis 30 Sekunden, ob wir erfolgreich waren oder nicht", zitierte ihn die "Schwäbische Zeitung". Erfolg heiße: Der Täter liege gefesselt am Boden.

"Das SEK ist keine militärische Einheit", erläutert der 65-Jährige am Montag in der 28. Sitzung des Untersuchungsausschusses, der sich mit dem früheren Inspekteur der Polizei (IdP) Andreas Renner befasst sowie generell mit der Besetzungs- und Beförderungspraxis bei der Polizei im Land. Thema sind nicht zuletzt Rituale und Strukturen, die sich entwickeln, wenn Männer unter sich sind. Ein neuer stellvertretender Kommandoführer ließ sich zur Verwunderung vieler Kollegen sogleich eine Glatze scheren. Verlangt wird Stallgeruch, üblich ist, Probleme untereinander zu lösen.

"Klare Freund-Feind-Kennung"

Anhaltspunkte für rechtsradikale Tendenzen ergaben die bisherigen Aussagen nicht. Devotionalien, Merchandising-Produkte oder ein Plakat zum Film "300" lieferten keine einschlägigen Indizien, sagt der Zeuge Anton Saile, Präsident im Polizeipräsidium Einsatz. Der fiktionale Comic erzählt die Geschichte der Schlacht bei den Thermopylen im antiken Griechenland, die Verfilmung wurde 2007 auf der Berlinale gezeigt und fand Anklang bei jenen Beamten, die auf den Funkrufnamen "300" hörten, lautet die offizielle Erklärung. Tatsächlich hatte die "Identitäre Bewegung" erst deutlich später auf den griechischen Buchstaben Lambda zugegriffen, den die Spartaner in "300" auf ihren Schilden tragen.

Der FDP-Abgeordnete Nico Weinmann will von Fuchs wissen, wo denn dann die Einschätzung hergekommen sei, die Einheit könnte sich zum KSK 2.0 entwickelt haben. Im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr in Calw sind zahlreiche Missstände dokumentiert, die auch die Gerichte beschäftigen. Der Zeuge kann jedoch nichts Näheres zu den Gerüchten im SEK berichten. Plankenhorn, der 2021 einige Monate Kommandoführer war, berichtet lediglich von einem anonymen Schreiben mit dem Hinweis auf einen externen Dienstleister, in dem es rechtsextreme Tendenzen gegeben haben sollte. Daran sei aber nichts gewesen.

Als der 52-Jährige gedrängt wurde, die Leitung des SEK zu übernehmen, sollte er einer aufgeheizten Stimmung Herr werden, deren Entstehung viel über den Geist aussagt, der die Arbeit der Spezialisten für besonders gefährliche Aufträge prägt. Er erzählt von den Unwuchten, von den Zirkeln und den Zuständen, die er nicht in den Griff bekommen habe, und davon, wie die Führung von Untergebenen nicht mehr gegrüßt worden sei.

In Personalgesprächen kam die Rede noch einmal auf Vorfälle, deren Untersuchung eigentlich abgeschlossen ist. An den Pranger gestellt wurden aber nicht der Missetäter, die Mitwisser und jene, die die Aufklärung unter der Decke hielten, sondern der Beamte, der nicht schweigen wollte. Plankenhorn spricht von einer "klaren Freund-Feind-Kennung" in der Einheit, von informellen Strukturen und dem "dritten Mann", der aufgrund der Stellvertreter-Regelungen immer wieder eingebunden ist, ohne der Führung anzugehören. Der Beamte R., eben jener dritte Mann in Göppingen, sei hauptverantwortlich für die Zerwürfnisse gewesen, habe Entscheidungen getroffen und sie dann anderen vorenthalten, so etwa den Bau eines Fitnessraums in einer Fahrzeughalle, der gegen alle Bestimmungen gebaut wurde. Wer nicht auf der Seite dieser Gruppe im SEK gewesen sei, habe mit Ausgrenzung und Diskreditierung rechnen müssen.

Ein fauler Ast kehrt zurück

Wie schon öfter tauchten unter den Landtagsabgeordneten Zweifel auf, ob der Ausschuss sich nicht verirrt und zu weit von den eigentlichen Untersuchungsgegenständen wegbewegt hat. Plankenhorn gibt jedoch auch zu Protokoll, dass er sich vom Innenministerium und dem Landespolizeipräsidium nicht unterstützt gefühlt hat, obwohl er diese Mission mit gemischten Gefühlen angetreten habe: "Nachdem mir die Polizei schon viel gegeben hatte, ging es halt darum, was Schwieriges zu übernehmen." Nach einigen Monaten bat er um Versetzung, die dann erfolgte: "Im Nachgang fühle ich mich von vielen Teilen im Regen stehen gelassen." R. musste gehen, ist inzwischen aber zurückgekehrt zum SEK. Dabei hatte er unstrittig zu jenen gehört, die von Zeugen als "faule Äste" bezeichnet wurden.

Reinhard Löffler, einer der CDU-Abgeordneten im Ausschuss, die vor allem damit auffallen, dass sie kaum Frage- und Nachfragebedarf entwickeln, will wissen, ob die Einsatzfähigkeit des SEK zu jedem Zeitpunkt gewahrt war. Alle Zeugen bejahen die Frage ohne Einschränkung. "Aus allen Ecken und Enden kam immer wieder die Antwort: Egal, welchen Konflikt wir haben – wenn der Alarm kommt, dann funktionieren wir", bestätigt auch Plankenhorn. Löffler bewertete das nach der Sitzung als "gute Nachricht".

Viele schlechtere müssen noch aufgearbeitet werden. Die FDP will weiter Zeugen zum SEK hören und vor allem eine Zeugin. Andreas Renner, der frühere Inspekteur der Polizei hatte – angesichts der Missstimmungen in der Eliteeinheit – die Führung ohne Ausschreibung ausgewechselt und die Beamtin K. zur Stellvertreterin des Kommandoführers ernannt. Dies übrigens mit dem von einem Zeugen zitierten Hinweis: Nein, er habe nichts mit ihr. Fuchs nannte die Besetzung "eine mutige Entscheidung". Plankenhorn lässt durchblicken, dass K. als Frau und Seiteneinsteigerin von Anfang an nicht akzeptiert gewesen sei. Inzwischen arbeitet in Göppingen ohnehin ein anderes Führungsduo, diesmal nach Ausschreibung. Die FDP will nach der Sommerpause einen Beweisantrag stellen, weil die Beamtin nach Ansicht Weinmanns zwingend anzuhören ist. Einerseits warnt er davor, "dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen", andererseits will er wichtige Details zu Besetzungen und Beförderungen herausarbeiten, und dazu gehörten die Vorgängen im SEK.

Mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls noch einmal gehört wird irgendwann im Laufe der Ausschussarbeit die Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz zu den Vorgängen insgesamt und zur Zusammenarbeit mit Beamten in Leitungsfunktionen, die Unterstützung erbitten. Fast nebenher fiel dieser Schlüsselsatz von Fuchs: Auf die Einheit dürfe "kein Deckel gelegt werden, denn dann hat jeder Angst, dass er gehen muss, wenn er sagt, was schiefläuft". Terminiert sind Sitzungen gegenwärtig bis Dezember, jedoch wird der Ausschuss ohne Zweifel bis weit ins Jahr 2025 tagen.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!