Nicht mehr interviewen konnten die Studierenden Enrico Pieri, der 2021 gestorben ist. Und doch ist er an mehreren Stellen der Ausstellung präsent, weil er sich für die Erinnerung und Aufarbeitung des Massakers stark gemacht hatte wie wenige andere. Pieri hatte es als Zehnjähriger überlebt, hatte Furchtbares gesehen, Familienmitglieder waren getötet worden, er traumatisiert – und er wurde doch, trotz alledem, ein sehr dem Leben zugewandter Mensch. Eine Einstellung, die er offenbar an seinen Sohn Massimo Pieri weitergegeben hat, der auf einem der vielen Monitore in der Ausstellung zu sehen und zu hören ist. Er spricht über die Schatten der Vergangenheit, und dass sie nicht die Gegenwart verfinstern sollten. Sant'Anna sei ein "Ort des Todes", sagt Massimo Pieri, "es sollte aber auch ein Ort des Lebens werden", ein Ort, an dem man feiert, fröhlich ist.
Dies umzusetzen und mit Erinnerungsarbeit zu verbinden, war auch ein Vermächtnis seines Vaters: Enrico Pieri schenkte sein Elternhaus der Gemeinde Stazzema, um dort eine Herberge und ein Begegnungszentrum für junge Menschen zu schaffen. Massimo engagiert sich heute weiterhin für die Verwirklichung dieses Wunsches, kommt regelmäßig nach Sant'Anna, obwohl er in der Schweiz lebt und arbeitet – seine Eltern waren in den 1960er-Jahren als Gastarbeiter dorthin gezogen.
Massimo Pieri ist bei der Ausstellungseröffnung am 20. November im Stadtpalais dabei. Und betont auch dort in seinem kurzen Grußwort: "Bei aller Schwere des Themas möchte ich die Lebensfreude nicht vergessen."
Das Massaker quält Adele Pardini bis heute
Die Lebensfreude nicht vergessen – das fällt nicht allen leicht. Adele Pardini etwa, die das Massaker als Vierjährige überlebt hat. Die 84-Jährige ist als Zeitzeugin bei der Ausstellungseröffnung zu Gast. Eine kleine, alte Dame mit ernstem Blick und großen, wachen Augen. Sie erzählt von jenem Tag im August 1944, als die deutschen Soldaten kamen, da war sie gerade mit ihrer Familie beim Frühstück, daran erinnert sie sich noch. Sie erzählt lange, muss mehrmals schlucken und stocken, und als Petra Quintini übersetzt, verstehen auch die nicht des Italienischen Mächtigen, warum. Es ist eine Erzählung des Grauens. Pardini schildert, wie alle anwesenden Bewohner:innen, die meisten davon Frauen, Kinder und Alte, auf dem Dorfplatz zusammengetrieben wurden, wie ihre Mutter mit der neugeborenen Anna auf dem Arm auf einen Soldaten zuging mit der Bitte um Gnade, wie der Soldat darauf wortlos seine Pistole zückte und sie sofort erschoss, wie dann die Maschinengewehre anfingen zu schießen, wie sie mit ihrer Schwester Siria nur überlebte, weil hinter ihnen an einem Gebäude eine Türe aufging und sie nach hinten hineinfielen. Wie sie sich danach in einer Grotte versteckt hatten, wie sie sich erinnert, dass der Vater, als er zurück ins Dorf kam, die Mutter aufbahrte. Neben ihr und der kleinen Anna wurde auch Adeles Schwester Maria getötet.
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