Die von der "Identitären Bewegung" (IB) angestrebte Strategie der Selbstverharmlosung stößt schon bei dem Gruppennamen "Reconquista 21" an erste Grenzen. Der baden-württembergische Ableger der IB hat mehrere Namenswechsel vollzogen. Diese waren unter anderem notwendig geworden, nachdem die Identitären mit Ausnahme von Telegram von fast allen Social-Media-Plattformen verbannt wurden. Bald kehrten sie aber aus dem digitalen Exil zurück. Der Stuttgarter Ableger als "Kessel Revolte", die Ulmer nennen sich "Festung Ulm" und der allgemeine Südwest-Ableger firmierte zunächst als "Schwabenbande". Vielleicht nicht der beste Name, um Baden und Württemberg anzusprechen, jedenfalls trat man ab Herbst 2023 als "Reconquista 21" auf.
Der nicht sonderlich deutsche, sondern kastilische und portugiesische Begriff "Reconquista" bedeutet "Rückeroberung" und bezeichnet die christliche Verdrängung der arabisch-islamischen Herrschaft auf der spanischen Halbinsel im Zeitraum 722 bis 1492. Mit der Reconquista verbunden waren Zwangskonvertierungen und Massenvertreibungen sowohl von Muslim:innen als auch von Jüdinnen und Juden.
Mit der Eroberung von Granada 1492 durch katholische Könige erließen diese das sogenannte Alhambra-Edikt, in welchem die Vertreibung aller jüdischen Menschen aus allen Gebieten der Kronen von Kastilien und Aragonien bis zum 31. Juli angeordnet wurde, sofern sie nicht zum Christentum konvertierten. Die zunächst noch geduldeten muslimischen Maur:innen im christlichen Herrschaftsgebiet wurden im 15. und 16. Jahrhundert vor dieselbe Wahl gestellt. Doch selbst diejenigen, die konvertierten, wurden von der Spanischen Inquisition verfolgt. Insgesamt sollen zwischen 1492 und 1610 etwa drei Millionen Muslim:innen Spanien verlassen haben. Die Reconquista war also quasi die historische Version einer Remigration samt Mord- und Totschlag.
Der Bezug der IB auf bestimmte, meist kriegerische Aspekte der europäischen Geschichte findet sich immer wieder. Dabei geht es weniger um historische Genauigkeit, sondern mehr um eine Projektionsfläche. So wird bereits der antike Kampf von Sparta und seinen Verbündeten gegen Persien zum Kampf von Abendland gegen Orient umgedeutet.
Allein die Gruppenbezeichnung veranschaulicht für Eingeweihte also recht offen das mehr als rechtsoffene Programm. Das sagen sie auch unverblümt im Interview mit dem extrem rechten "HeimatKurier" aus Österreich: "Der neue Name spiegelt ganz konkret unser Ziel wider: Die Reconquista im 21. Jahrhundert." Hier handelt es sich also keinesfalls um irgendwie heimatverliebte junge Leute, sondern um knallharte Neofaschist:innen, auch wenn sie in der Tendenz lieber in Sneakern als in Springerstiefeln auftreten.
Dazu passt ein Abschnitt aus einem "Spiegel"-Artikel vom Oktober 2024 über Erik Ahrens, ehemaliger Mitarbeiter des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah. In diesem brüstet sich Ahrens mit seinen Kontakten zu den Südwest-Identitären: "Persönlich vernetzt sei er mit den 'Swabians', sagt Ahrens auf Englisch, 'das sind meine Freunde'. Er meint offenbar die 'Wackren Schwaben', eine Absplitterung der 'Identitären Bewegung'. Als [sein britischer Mitstreiter Matthew] Frost scherzhaft von 'einer Art identitären Antifa' spricht, korrigiert Ahrens: 'Nicht Antifa, nur Fa', also Faschisten. Sie hätten mit ihren Aktionen ein Flüchtlingsheim verhindert, erklärt er stolz."
Das große Potenzial der Identitären besteht in ihrer Medien-Strategie. Eine kleine eingespielte Gruppe schafft es, große Bilder zu produzieren. Diese lassen die Gruppe größer erscheinen, als sie ist – was so auch beabsichtigt ist. Schon allein das Wort "Bewegung" in "Identitäre Bewegung" kann getrost hinterfragt werden. Eigene Demonstrationen wie zum Beispiel in Wien blieben immer weit unter der Marke von 1.000 Beteiligten.
Der aktivistische Kern in Baden-Württemberg besteht aus vielleicht 30 Personen. Das legen jedenfalls Auswertungen ihrer Aktionen nahe, die über Jahre beständig dasselbe Personal zeigen.
Referenten: Klemm, Kaupert und ein Unbekannter
Für den 30. November ist nun ein Vernetzungstreffen in Ludwigsburg geplant. Als Referenten sind bisher zwei Personen angekündigt: Paul Klemm und Simon Kaupert.
Paul Klemm, Jahrgang 2000, ist Moderator und Reporter für das extrem rechte "Compact"-Magazin. In dieser Funktion war er rund um die Trump-Wahl am 5. November in den Vereinigten Staaten als rasender Reporter unterwegs. Hier traf er unter anderem Gavin McInnes. Der Kanadier ist nicht nur Co-Gründer des bekannten "Vice Magazine", das er 2007 verließ, sondern auch Gründer der "Proud Boys", die 2021 am Sturm auf das Kapitol beteiligt waren.
Klemm ist Mitglied im Vorstand des 2021 gegründeten "Filmkunstkollektiv e.V." mit Sitz in Chemnitz beziehungsweise genauer gesagt mit Postadresse im Zentrum der Identitären. Das "Filmkunstkollektiv" begleitete Corona- oder Bauernproteste und produzierte aus den Aufnahmen ästhetische Clips und Kurzfilme.
Ebenfalls Mitgründer und Vorsitzender dieses Vereins ist Simon Kaupert, Jahrgang 1987. Er soll "über die mediale Dämonisierung durch unsere Gegner sprechen und wie wir sie durchbrechen können". Kaupert soll inzwischen in Leipzig ansässig sein, hat aber längere Zeit in Stuttgart gelebt. Damals war er wohl Mitarbeiter der rechten Pseudo-Gewerkschaft "Zentrum" (früher "Zentrum Automobil"), jedenfalls war bei Anrufen im Büro Kaupert die Person am anderen Ende der Leitung.
Erste politische Gehversuche machte er als Mitbegründer von "Würzburger gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz Wügida. Der schnell wieder eingestellte Pegida-Ableger wurde damals auch von Christina Baum aus Lauda (Main-Tauber-Kreis) unterstützt, die später für die AfD zuerst in den baden-württembergischen Landtag und dann in den Bundestag gewählt wurde.
Kaupert nahm auch, wie Bilder belegen, 2015 an einem Pfingstlager der damaligen NPD-Jugend in Hessen teil. Später leitete er die Werbeagentur "Mosaik Kommunikation" mit Sitz in Halle/Saale und war ab Anfang 2016 Mitarbeiter von "Ein Prozent", einer extrem rechten Vernetzungs- und Fundraising-Plattform. Für "Ein Prozent" war er unter anderem aktiv gegen den Bau einer Moschee in Erfurt-Marbach. Auf der Karriere-Plattform Linkedin tritt Kaupert aktuell als Chief Executive Director von "Unstille Medien" auf. Die Firma war ebenso wie das "Filmkunstkollektiv" an der Produktion des Höcke-Filmporträts "Der lange Anlauf" dieses Jahr beteiligt. Der Film versucht Höcke als vielseitigen und selbstlosen Menschen einerseits und auserwählten Anführer andererseits darzustellen. Er ist harte Fankost, denn allen anderen wird dieser Propaganda-Kitsch auf die Nerven gehen, da Höcke wie ein Messias präsentiert wird.
Der dritte Redner ist bisher unbenannt und wird nur durch einen Schattenriss mit hochgerissener Faust angedeutet. Es dürfte sich um Martin Sellner handeln, rechtsextremer Influencer und Chef der "Identitären Bewegung Österreich". Kaupert und Sellner kennen sich. So nannte Sellner Kaupert im Juli 2023 einen "alten Freund und Kampfgefährten" und lobte: "Kaum einer hat mehr für die ästhetische Mobilmachung des neurechten Lagers getan."
Sellner inszeniert sich als Schwiegersohn-Liebling und betätigt sich als Handlungsreisender in Sachen Rettung des weißen Europas. Dieses Europa geht für ihn seit 1945 unter. So schreibt Sellner am Anfang seines 2023 erschienenen Buchs "Regime Change von rechts": "Blickt man kulturkritisch auf die europäische Nachkriegsgeschichte, zeigt sich ein Bild des Niedergangs. Der Verfall der Sprache, der Bildung und des Glaubens geht Hand in Hand mit der Überalterung."
Im Gegensatz zu anderen Rechtsextremen tritt Sellner freundlich und nur wenig martialisch auf. Inhaltlich ist er aber ganz auf Linie und einer der Stichwortgeber des faschistischen AfD-Flügels. Er war Referent beim berüchtigten Potsdam-Treffen und versucht durch Abschwächungen oder Konjunktiv-Einsatz seinen völkischen Nationalismus zu verharmlosen. Doch Sellner treibt die Angst vor dem "großen Austausch" um, also einer Verschwörungsideologie, derzufolge die weiße Bevölkerung Europas vermischt beziehungsweise "ausgetauscht" würde. Das kommt gut an, selbst bei Rechtsterroristen wie Brenton Tarrant, der am 15. März 2019 einen Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) beging und 51 Menschen ermordete. Am 5. Januar 2018 hatte er Sellner 1.500 Euro gespendet. Sellner gab sich nach dem Massaker entsetzt und distanzierte sich. Doch die Ideologie ist die gleiche, auch wenn die abgeleiteten Handlungen unterschiedlich sind.
Sellner empfiehlt als Aktionsform den zivilen Widerstand und klaut dabei schamlos bei linken Protestformen. Tarrant dagegen entschloss sich zum Massenmord. Sellner predigt zwar nicht den Rechtsterrorismus, aber diese Konsequenz ist in seinem Untergangs-Weltbild und dem Ideal von kriegerischer Männlichkeit mit Vorbildern von den Spartanern über die Reconquistadoren bis zu den Freikorps durchaus naheliegend.
Publikum, Resonanzboden und Gegenprotest
Die Veranstaltung in Ludwigsburg wird eher klein ausfallen, weswegen sie von den Organisator:innen auf 100 Plätze limitiert wurde. Als Publikum zu erwarten sind eine Mischung von Identitären und Mitgliedern der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA). Schon seit Langem existieren Verbindungen und Überschneidungen zwischen IB und JA, auch in Baden-Württemberg. Gab es früher zumindest Versuche, das zu kaschieren, so macht man sich inzwischen nicht mal mehr die Mühe. Ein Beispiel dafür ist Jannis George, der sich als Kameramann beim "Filmkunstkollektiv" versucht. Er ist Teil von "Reconquista 21" und seit Oktober 2024 Beisitzer im Vorstand der JA Baden-Württemberg.
Mit zwei anderen Männern wurde George im September vom Amtsgericht Bad Cannstatt vorläufig unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt für zwei Jahre auf Bewährung, verurteilt. Die drei hatten zu einer Gruppe gehört, die auf dem Dach des Eingangs zu einem Freibad ein Banner mit der Aufschrift "Remigration für sichere Freibäder!" gezeigt, Flyer verteilt und Parolen skandiert hatten (Kontext berichtete). Inzwischen haben die Verurteilten Berufung eingelegt. Dummerweise hatte einer der Aktivisten die Kamera am Tatort hinterlassen.
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