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Jugendheim Hohenlohe

Antisemitismus in Tracht und Lederhose

Jugendheim Hohenlohe: Antisemitismus in Tracht und Lederhose
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Seit 50 Jahren besitzt der völkische Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V. ein altes Bauernhaus im Nordosten Württembergs. Das "Jugendheim Hohenlohe" ist ein Knotenpunkt der extremen Rechten in Süddeutschland. Nun gab es Protest.

Samstag, 18. Juni 2022. Es ist ein heißer Sommertag, das Thermometer misst über 35 Grad in Herboldshausen, einem beschaulichen Weiler in Hohenlohe, Landkreis Schwäbisch Hall, Baden-Württemberg. Mehr als 200 Menschen sind gekommen, um gegen das "Jugendheim Hohenlohe" des völkischen Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V. (BfG) zu protestieren. Veranstaltet wurde der Protest vom lokalen Verein "Ohne Rechtsaußen". Ein Liedermacher spielte jiddische Songs, der Bürgermeister und politische Organisationen aus der Region hielten Reden. Es gab Wassereis, Dosenwerfen und Torwandschießen.

Der BfG ist Teil des extrem rechten Ludendorff-Netzwerks. Es pflegt die antisemitische "Deutsche Gotterkenntnis" aus den 1920er-Jahren. Mathilde Ludendorff (1877–1966) unterschied in der "Gotterkenntnis" zwischen "Lichtrassen" und "Schattenrassen". Sie behauptete, die jüdische "Schattenrasse" wolle die nordische "Lichtrasse" durch "Rassemischung" vernichten. Noch 1939, wenige Monate nach den Novemberpogromen, forderte Ludendorff einen "volkrettenden Antisemitismus". Der Judenhass sei, so Ludendorff, "ethisch in der Seele jedes Deutschen tief zu untermauern". Die Antisemitin war die Ehefrau von Erich Ludendorff – General im Ersten Weltkrieg und Mitinitiator des "Hitler-Ludendorff-Putsches" (1923).

Völkische "Sippen" im Bauernhaus

Der BfG besitzt das "Jugendheim Hohenlohe" – ein altes, mehrstöckiges Bauernhaus – seit 50 Jahren. Verwaltet wird das Domizil von Gudrun und Dr. Hartmut Klink aus Ingelfingen-Lipfersberg (Hohenlohekreis). Gudrun Klink ist seit 2010 die BfG-Vorsitzende. Die gemeinsame Tochter Sonnhild Sawallisch aus Widdern-Volkshausen (Landkreis Heilbronn) ist Teil der jungen Ludendorff-Generation. Sie war 2015/16 in der extrem rechten Gruppierung "Hohenlohe wacht auf" aktiv. Die Gruppierung protestierte in Öhringen (Hohenlohekreis) gegen die deutsche Asyl- und Migrationspolitik. Heute ist Sawallisch die Geschäftsführerin der BfG-nahen Lühe-Verlag GmbH. Der Verlag hat antisemitische und geschichtsrevisionistische Literatur im Angebot.

Der BfG führt im Laufe eines Jahres zahlreiche Veranstaltungen im "Jugendheim Hohenlohe" durch. Das sind sowohl große als auch kleine Veranstaltungen. Eine davon war vom 26. bis 29. Mai 2022 zu beobachten. Mehr als 70 Menschen nahmen an einem internen Ludendorff-Treffen teil. Die Teilnehmenden trugen Lederhosen und Seitenscheitel, Trachten und geflochtene Zöpfe. Unter den Teilnehmenden waren zwei Dutzend Kinder und Jugendliche. Derartige Ludendorff-Treffen sind eine Art Heiratsmarkt. Die Jugendlichen der völkischen "Sippen" sollen verkuppelt werden. Die meisten Teilnehmenden kamen aus Baden-Württemberg, einzelne aus Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen.

Am Wochenende des Protests gegen das BfG-Domizil sollte die alljährliche Sommersonnwendfeier stattfinden. Die Feier wurde verschoben und eine Woche später, am 25. Juni, in kleiner Runde nachgeholt. Das traditionelle Sonnwendfeuer, das abseits des "Jugendheims" auf einer großen Wiese stattfindet, blieb aus. Offenbar wirkte der Protest. Stattdessen wurde ein meterhoher Sichtschutz um die Wiese des "Jugendheims" errichtet. Teilweise wurden die Autokennzeichen abmontiert. Die Sorge, beobachtet zu werden, war groß. Man wollte im Verborgenen bleiben. Die Teilnehmenden reisten aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an.

Junge Nationalisten schwören im Fackelschein

Im "Jugendheim Hohenlohe" finden nicht nur Veranstaltungen des BfG, sondern auch Veranstaltungen anderer Organisationen der extremen Rechten statt. Am 29. und 30. August 2020 veranstaltete die extrem rechte NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten dort einen "Gemeinschaftstag Süd". Fotos zeigen junge Frauen und Männer. Sie sangen im Halbkreis, machten Liegestütze und eine Wanderung mit Fahnen. Neue Mitglieder wurden im nächtlichen Fackelkreis aufgenommen. Ein Teilnehmer schrieb in einem "Erlebnisbericht", der auf der Website der Jungen Nationalisten beworben wurde, über die Neumitglieder: "Im Fackelschein schworen sie den Eid auf die Bewegung." Unter der "Bewegung" wird die nationalsozialistische Bewegung verstanden. An der Veranstaltung nahmen "Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet" teil.

Vom 8. bis 10. Oktober 2021 führte die extrem rechte Gruppierung WIR Heilbronn im Haus einen "Thing der Titanen" durch. Der "Thing" war ein geheimes Vernetzungstreffen. Für das Treffen wurden prominente Akteure und Akteurinnen der deutschen Neonazi-Szene angekündigt – wie die Rechtsanwältin Nicole Schneiders aus Baden-Württemberg, die einst Ralf Wohlleben im Münchener NSU-Prozess verteidigte, und der Unternehmer Malte Redeker aus Rheinland-Pfalz, der eine Schlüsselfigur der europäischen "Hammerskins" ist und den extrem rechten Kampfsport geprägt hat. Am Treffen nahmen mehrere Dutzend Neonazis aus Deutschland (Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen) und Frankreich teil.

Identitäre Bewegung übt Kampfsport

Am 9. und 10. April 2022 veranstaltete die extrem rechte Identitäre Bewegung Schwaben in Herboldshausen ein "Aktivistenwochenende". Das Programm der Veranstaltung war ein Mix aus Ideologie, Musik sowie Ausdauer- und Kampfsport. An der Veranstaltung nahmen rund 30 Männer teil. Die meisten waren muskulös, trugen einen Undercut mit Seitenscheitel und Schuhe der Marke "New Balance". Die Marke ist unter Neonazis beliebt. Das große "N", das an die Seiten der Schuhe gestickt ist, soll mal "Nationalist", mal "Nationalsozialist" heißen. Die Männer kamen größtenteils aus Baden-Württemberg und Bayern. Drei Autos trugen Kennzeichen aus der Schweiz, einzelne aus Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Die Beispiele machen deutlich: Das "Jugendheim Hohenlohe" steht dem gesamten Spektrum der extremen Rechten zur Verfügung. Von der Identitären Bewegung bis zur militanten Neonazi-Szene. Insofern ist das alte Bauernhaus im beschaulichen Herboldshausen zu einem Knotenpunkt der extremen Rechten in Süddeutschland geworden.


Autor Timo Büchner (Recherche Nordwürttemberg) gibt die Broschüre "Nur nette Nachbarn? Der Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V. in Hohenlohe" heraus, die über Aktivitäten und Positionen des BfG informiert und erklärt, welche Rolle der Verein und sein "Jugendheim Hohenlohe" in der extremen Rechten spielen. Die Broschüre kann für drei Euro bei recherche-nordwuerttemberg--nospam@posteo.de bestellt werden.


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