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Bürgerinitiative Tamm-Asperg

Die schrecklich rechte Mitte

Bürgerinitiative Tamm-Asperg: Die schrecklich rechte Mitte
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In Asperg soll eine neue Landeserstaufnahme für Geflüchtete auf der grünen Wiese entstehen. Dagegen protestiert eine Bürgerinitiative, die sich für die Mitte der Gesellschaft hält. Eine Antifa-Gruppe dokumentiert allerdings Menschen mit Hakenkreuz- und Blood-and-Honour-Tattoos.

"Sieht brutal aus, oder?", fragt ein Anwohner, der so viel Polizeipräsenz in seinem Ort nicht gewohnt ist. Acht blau-weiße Fahrzeuge stehen am Asperger Bahnhof, davor macht sich ungefähr ein Dutzend Polizist:innen, ausgestattet mit Helmen und Schlagstöcken, bereit für den Einsatz. Es ist ein wolkenloser Sonntag, doch die Stimmung am Fuße des Hohenaspergs ist angespannt.

13.000 Menschen leben in der Stadt, welche im Norden an Tamm und im Südosten an Ludwigsburg grenzt und in der politisch gerade einiges los ist. Denn auf dem Schanzenacker, der zwar auf Ludwigsburger Gemarkung liegt, sich geografisch aber näher an Tamm und Asperg befindet, soll eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für 1.200 Geflüchtete gebaut werden. Schon zweimal gab es Pläne, den Acker zu bebauen, einmal sollte ein Justizkrankenhaus, ein andermal ein Gewerbegebiet hin. Bereits bei dem Gewerbegebiet, das 2009 gebaut werden sollte, gab es Proteste von mehreren hundert Anwohner:innen, die den Bau verhindern konnten. Auch diesmal bleibt die Bebauung nicht unwidersprochen: Eine Bürgerinitiative mit dem Namen "Gemeinsam gegen LEA Tamm-Asperg", kurz GGLTA, mobilisiert gegen die Pläne.

Das Polizeiaufgebot ist an diesem Tag ungewohnt groß, da diesmal nicht nur die Bürgerinitiative eine Kundgebung gegen die Bebauung des Schanzackers angemeldet hat. Auch das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region hat zum Protest aufgerufen. Dieses hält angebliche Sorgen um Naturschutz überwiegend für vorgeschoben und benennt Rassismus als eigentlichen Beweggrund für den Widerstand gegen die geplante LEA.

Die BI sagt "wehret den Anfängen"

Von solchen Vorwürfen distanziert sich Andreas Weißer, Moderator der BI, entschieden. Auf keinen Fall rassistisch sei ihr Protest, nein, er stamme "aus der Mitte der Gesellschaft". Der Redner beteuert, das Motto "wehret den Anfängen" wäre auch der BI wichtig. Im nächsten Satz gratuliert er den Teilnehmer:innen der Kundgebung jedoch auch zu dem Mut, sich an diesem Tag trotz Antifa-Präsenz auf die Straße zu trauen.

Die BI hat angesichts der Gegenkundgebung ihre Security aufgestockt und will sich klar von jedem Radikalismus abgrenzen, laut Rede auch von der AfD und anderen rechten Kräften. Dass Männer im Publikum mit Germania-T-Shirt herumlaufen oder ihr Blood-and-Honour-Tattoo zur Schau stellen, scheint sie jedoch nicht zu stören. Beides sind rechtsextreme Gruppierungen, die in Deutschland verboten sind.

Genau das ist einer der Kritikpunkte der Antifa. Bereits bei früheren Kundgebungen seien Menschen mit rechten Symbolen wie Wolfsangeln und Hakenkreuzen gesichtet worden, sagen Aktive. Sie beobachten und dokumentieren den Protest der BI von Anfang an. Und sie räumen ein, dass es genug gute Gründe gäbe, den Schanzacker nicht zu bebauen: Er fungiert als Frischlutschneiße und wird behaust von verschiedenen Tieren, außerdem sind dort mehrere Streuobstwiesen. Darauf verweist auch die BI. Doch wo am Beginn noch die Umweltaspekte und Probleme bei der Infrastruktur im Vordergrund standen, nimmt die als Migration bezeichnete Flucht immer mehr Raum ein in der Argumentation der besorgten Bürgerinnen und Bürger.

Natürlich ist alles nett gemeint

Redner Andreas Weißer meint: "Themen in die rechte Ecke schieben oder aus dem öffentlichen Diskurs verbannen, funktioniert nicht mehr." Damit spielt er auf das viel beackerte Thema der Sicherheit an. In der BI hat sich ein "Arbeitskreis der Frauen" zu dieser Problematik gegründet, der ebenfalls mit einer Rede vertreten war. Dramaturgisch geschickt stellt eine der Frauen Fragen an das Publikum: "Ist es die Lösung, wenn Security in Freibädern Wache stehen muss? Ist es die Lösung, mit gesenktem Blick auf der Straße zu gehen, da dieser falsch verstanden werden könnte? Ist es die Lösung, unseren Kindern kurze Hosen zu verbieten?" Viel mehr Inhalt kam in der Rede nicht, außer die Betonung, dass das natürlich nicht rassistisch gemeint sei. Wie es gemeint ist, lässt sich mit einem Blick auf die Website der BI erkennen: "Es ist kein Geheimnis, dass Männer anderer Kulturen das Bild der Frau für sich entsprechend definieren. Dieses Bild ist durch kulturelle Normen, Werte und Traditionen ihrer Herkunftsgesellschaften beeinflusst." Aha.

Die Menge jubelt und klatscht, anscheinend kommt diese Rhetorik gut an. Doch nicht allen passt dieser Ton gegenüber Geflüchteten. Eine Frau geht aufgebracht auf die Sprecherin zu, fragt: "Wurden Sie denn noch nie von einem Deutschen belästigt? Ich bin ja frauenbewegt, doch das, was sie da tun, ist pure Hetze!"

Auch der ausführliche Bericht der Antifa sieht das so. Darin sprechen sie von einer "Instrumentalisierung von Gewalt an Frauen". Geflüchteten würden kollektive Eigenschaften zugeschrieben und pauschal vorgeworfen, ein rückständiges Frauenbild zu vertreten. Kurios an der Gemengelage ist: Auch der Gegenprotest ist gegen eine Bebauung des Schanzackers und das Konzept der LEA. Aber wegen der rechten Einflüsse wollen sie keine gemeinsame Sache mit der BI machen.

Auch andere Gruppen wie Refugees 4 Refugees oder der Arbeitskreis Asyl Ludwigsburg sind an diesem Sonntag vor Ort bei der Gegenkundgebung. Martha Albinger vom Arbeitskreis Asyl Ludwigsburg verstand das hohe Polizeiaufgebot und das sogenannte Sicherheitsrisiko nicht. "Es wird so dargestellt, als würde hier nur die junge Antifa demonstrieren, dabei waren auch Organisationen wie die Seenotrettung, Verdi und weitere vertreten." Auch Albinger erkennt in der BI eine rassistische Grundstimmung. Bereits bei einem Bürgerdialog im September versuchte sie, ihre Punkte darzulegen, wurde jedoch ausgebuht und sogar von dem Moderator der BI unterbrochen, sie solle "hier keinen Vortrag halten".

Hetze ist nicht mehr randständig

Anders als die BI hat der ökumenische Arbeitskreis Asyl von Ludwigsburg mehrere Forderungen ausformuliert, wie die Situation verbessert werden könnte. Darin fordern sie die Zahl der Geflüchteten, die in der LEA untergebracht werden sollen, auf 600 bis 800 Personen zu reduzieren, eigene Infrastruktur für die LEA und mehr Transparenz im weiteren Genehmigungsverfahren. Von dem GGLTA-Team hört man auf die Frage nach alternativen Lösungsvorschlägen unterschiedliche Antworten. Thomas Walker, der Pressesprecher der BI, sagt etwas von dezentraler Unterbringung. Der AK Frauen teilt hingegen mit: "Da sehen wir eigentlich keine Lösungen, schwierig." Andererseits gibt es die sehr konkrete Forderung nach einer Ergänzung um das Thema Migration beim Beteiligungsportal Baden-Württemberg. Da kann schon mal die Frage aufkommen, was denn nun wirklich der Fokus dieser BI ist.

Nun docken zahlenmäßig die meisten Anwohner:innen bei der Bürgerinitiative an, auch wenn mehrere Organisationen bei der Gegenkundgebung vertreten sind, ist diese um ein Vielfaches kleiner. Womöglich ist bei der BI wirklich die Mitte der Gesellschaft versammelt – die massiv nach rechts gerückt ist. Wo die konservative Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2015 noch mit "Wir schaffen das" für einen humanen Umgang mit Schutzsuchenden warb, hetzt der heutige CDU-Chef Friedrich Merz ganz aktuell: "Sollte es Flüchtlinge aus Gaza geben, dann sind diese zunächst einmal ein Thema für die Nachbarstaaten. Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land." Solche Aussagen sind längst nicht mehr randständig, sondern quer durch alle Schichten zu hören, sogar von einer Mitte, die sich gar nicht für rassistisch hält. Und da steht nun mal die Bürgerinitiative.


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8 Kommentare verfügbar

  • Dietmar Schott
    am 31.10.2023
    Antworten
    Zur schrecklich netten Mitte gehört für Sie - falls ich das richtig verstanden habe - die Bürgerinitiative in Asperg.

    In welche (rechte oder linke) schreckliche Mitte würden Sie jetzt zum Beispiel den Mörder von Tabitha (17 Jahre alt) aus Asperg einordnen?

    Und in welche (rechte oder linke)…
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