KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Klar wie Kloßbrühe

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Klar wie Kloßbrühe
|

Datum:

Ehemalige Polizeipräsidenten haben im Untersuchungsausschuss zur Beförderungspraxis bei der Polizei durchblicken lassen, dass es mit der Fürsorge hapert im Apparat. Und dass die eigene Karriere offenbar per Bierrunden organisiert werden konnte.

"Wir sitzen im Untersuchungsausschuss nicht über Herrn Renner zu Gericht", erinnert Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand. Ein Aufreger wird der jetzt terminierte Auftritt des früheren Inspekteurs der Polizei (IdP) am 7. April dennoch sein. Dabei steht noch gar nicht fest, ob der tatsächlich Rede und Antwort steht.

Klaus Trautmann war schon einmal Zeuge in einem Untersuchungsausschuss, damals zum "Schwarzen Donnerstag" im Stuttgarter Schlossgarten und in seiner Eigenschaft als stellvertretender Referatsleiter in der Landespolizeidirektion. In einer zähen Vernehmung im Mai 2014 kam er irgendwann doch zu dem Schluss, dass der Einsatz aus polizeifachlichen Gründen anders hätte geplant werden müssen. Er sprach vom "Primat der Politik", konnte sich bei wichtigen Einzelheiten aber immer wieder nicht mehr erinnern.

Auch beim Auftritt am vergangenen Montag im Ausschuss "IdP & Beförderungspraxis" war es nicht wirklich gut bestellt um das Gedächtnis des inzwischen pensionierten Leitenden Polizeidirektors. Es ging um jene etwas eigenartigen Feierabend-Bierrunden, in denen Renner oder der heutige Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) zu netzwerken pflegten. Hildenbrand und sein SPD-Kollege Sascha Binder wollen wissen, wer da so mit von der Partie war. An Namen jedoch kann sich Trautmann leider nicht mehr erinnern.

Als der sozialdemokratische Jurist nicht locker lässt, verheddert sich der Zeuge. Dann werden ihm einzelne Namen vorgehalten. Ja, bestätigt er, Christian Gehring, inzwischen CDU-Landtagsabgeordneter, war dabei. Als er nach Manuel Hagel gefragt wird, der mittlerweile Partei und Landtagsfraktion der baden-württembergischen CDU anführt und im nächsten Frühjahr Ministerpräsident werden möchte, lautet die Auskunft, von dem wisse er nichts. Über die Natur dieser und anderer Treffen weiß er umso mehr: Renner habe sich "bei Ministern, Staatssekretären und Mandatsträgern einen guten Ruf erarbeitet". Es sei "klar wie Kloßbrühe gewesen, dass er weit kommen will". Die vielen Kontakte hätten mit dazu geführt, dass er "an anderen vorbei zum Inspekteur ernannt wurde".

Auf seine Weise aufschlussreich war jeder der bisher 34 Sitzungstage im Untersuchungsausschuss mit dem langen Namen "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg". Es werde "das Bild immer weiter mit Details angereichert", sagt die Vorsitzende Daniela Evers (Grüne). An diesem Montag auch dazu, warum es nicht so richtig funktionieren will mit der praktizierten Führungs- und Wertekultur in der hiesigen Polizei. Trotz Leitbildern und Kampagnen, trotz Appellen und Versprechungen, trotz diverser Ermahnungen von Innenminister Thomas Strobl (CDU).

"Aus heutiger Sicht ein schlechter Text"

Reinhard Renter war Polizeipräsident in Offenburg und ist, selbst als Pensionär, vielgefragter Referent zum Thema Achtsamkeit in den eigenen Reihen. Sogar ein Buch hat er geschrieben über die "Wege zu mehr Resilienz und Effektivität" und überdies klare Ansichten vom richtigen Verhalten von Vorgesetzten. Wenn beispielsweise innerhalb einer Streifenbesatzung Spannungen entstünden ("Dienstgruppen sind sehr eng zusammen im Streifenwagen"), dann müsse der Dienstgruppenführer dies bei der Rückkehr wahrnehmen und intervenieren. "Nicht nur die faktische Arbeit kontrollieren", verlangt Renter, "sondern beobachten und erkennen was los ist – so sehe ich das."

Selbst Renter entspricht den Renterschen Ansprüchen aber nicht immer. An der Hochschule für Polizei (HfP), sagt er, sei er von Studierenden auf den Fall Renner angesprochen worden. Er wollte in seiner Eigenschaft als Dozent den Blick der künftigen Führungskräfte auf ihre Pflichten in Disziplinarverfahren richten mit dem Tenor: Was wäre gewesen, wenn der IdP und seine Begleitung eigentlich einen schönen Abend verbracht haben. Und ganz grundsätzlich darauf, dass es "eng wird", wenn jede Anmache mit einem Entfernen aus dem Dienst beantwortet werde. Beides sei "aus heutiger Sicht ein schlechter Text gewesen", bekennt er vor dem Ausschuss einen Fehler, den er nicht wiederholen werde. Und seine HfP-Tätigkeit ist ohnehin beendet.

Auch der zweite Zeuge des Tages, der ehemalige Ulmer Polizeipräsident Bernhard Weber, macht deutlich, dass Achtsamkeit im Amtsalltag keinen Stammplatz hat. Selbst ein Kollege mit Weinkrampf in einem Telefongespräch über seine "weitere Verwendung" löst keine empathischen Reflexe bei Weber aus und weckt nicht dessen Interesse, mehr über die Hintergründe zu erfahren. Das sei auch nicht notwendig gewesen, beharrt er auf Nachfrage. Vom "schwachen Bild von Führung und Fürsorge" spricht Hildenbrand in der inzwischen obligatorischen Pressekonferenz nach den Vernehmungen.

Renners Kumpel lenkt den Verdacht auf die Chefin

Es ist aber nicht nur ein Sitzungstag der Selbstbespiegelung und des Rückblicks – vor allem Trautmann liefert auch Steilvorlagen für die weitere Arbeit. Renners langjähriger Kollege, der bis heute Kontakt zu ihm hält, spricht heikle Fragen an, die nach seiner Ansicht an Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz gestellt werden müssten, wenn sie demnächst erneut in den Zeugenstand muss: Beschlagnahmt worden seien nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe wegen sexueller Belästigung Renners dienstliches Handy und sein Computer, nicht aber das private Handy. Letzteres ebenfalls einzuziehen sei "zwingend gewesen, da muss man kein großer Kriminalist sein". Nochmals bemühte er die klare Kloßbrühe. Das Vorgehen sei entweder "absolut amateurmäßig" oder es stecke Absicht dahinter.

Im Plenarsaal hängt mit einem Mal der Vorwurf in der Luft, Hinz habe Absicht walten lassen, um ihre eigene Kommunikation mit dem IdP zu verschleiern. Genauer will Trautmann nicht werden. Binder reagiert in seinem Resümee verärgert, vermutet den Ex-IdP höchstpersönlich hinter der Trautmannschen Aussage. "Wenn uns Renner was mitteilen will, dann soll er den Mumm haben und das selber machen", so der SPD-Fraktionsvize. Sie wolle nicht unterstellen, sagt FDP-Obfrau Julia Goll, dass Trautmann etwas habe ausrichten wollen, "aber wenn, dann ist das grundsätzlich schiefgegangen". Und auf der Besuchertribüne unter der Handvoll bei jeder Sitzung anwesender Zuschauer:innen mit Polizeivergangenheit wird sogar gemutmaßt, dass das ominöse Privathandy vielleicht gar nicht zerstört sein könnte und dementsprechend noch auszuwerten ist.

Es geht um die politische Dimension

Auf jeden Fall strebt der Ausschuss gerade nach den Auftritten vom Montag weiteren Höhepunkten zu. Renner wird im April konfrontiert werden mit den Erkenntnissen und Mutmaßungen. Und in der Folge werden, wie ohnehin geplant, auch Strobl und Hinz Stellung nehmen müssen. "Wir sind kein Untersuchungsausschuss zentral um Renner", steckt Goll, die frühere Staatsanwältin, den Rahmen ab, "wir halten kein Strafverfahren ab." Vielmehr stehe im Zentrum, neben der Beförderungs- und Besetzungspraxis: "die politische Dimension", der Umgang des Innenministeriums mit der Causa und wie es um Führung und Führungsstärke in Baden-Württemberg tatsächlich bestellt sei.

Trautmann hat, wie schon im zweiten Schlossgarten-Ausschuss, jedenfalls mehr als nur ein Detail zur Aufklärung beigetragen. Damals stützte er die These, dass Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) ein hartes Durchgreifen rund um die Baumfällarbeiten zur Einrichtung der Stuttgart-21-Baustelle gefordert hat. Mitten in den noch laufenden Diskussionen über den richtigen Einsatzzeitpunkt habe er sich "aktiv eingemischt und eigenhändig sichergestellt", heißt es 2016 im Abschlussbericht, dass "trotz der von der Polizei angemeldeten großen Bedenken der Einsatz am 30.9.2010 durchgeführt wurde". Diesmal wird es wieder um Verantwortung gehen. Nur zur Erinnerung: Der Innenminister will die Verantwortung, wie er gerne wiederholt, für das übernehmen, was in seinem Haus passiert.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Kohler, Frieder
    am 26.02.2025
    Antworten
    Bei Bier- oder Sektgelagen geht es nicht um das moralische Verhalten des Menschen, das ihn von anderen Lebewesen unterscheidet, die Ode "Das Göttliche" von J.W.Goethe könnte jedoch Einleitung zu den Führungsgrundsätzen der PDV 100 sein.
    Der Herr Innenminister müßte nicht seine Worthülsen bei…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!