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Klagen gegen Gäubahn-Kappung

"Widersinnig, einen Plan B zu haben"

Klagen gegen Gäubahn-Kappung: "Widersinnig, einen Plan B zu haben"
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Die Gäubahn darf vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgekoppelt werden, sagt das Stuttgarter Verwaltungsgericht. Nun gehen die Kläger gegen die Kappung, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Landesnaturschutzverband (LNV), in die nächste Instanz – sie sind irritiert.

Es kann so einfach sein: Warum nochmal soll die Gäubahn schon vor der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgekoppelt werden? Patrick Runge, Anwalt des Eisenbahnbundesamts (EBA), erklärt es: "Weil es planfestgestellt ist." Ach so, klar. Der Planfeststellungsbeschluss ist 20 Jahre alt, mittlerweile hat sich einiges bei dem Projekt getan, aber egal – Runges Aussage passt sehr gut zu dem Verfahren, das vergangene Woche vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht verhandelt wurde. Denn die sehr enge Auslegung an Texten entlang war hier ein Charakteristikum.

Die Kappung der Gäubahn, gegen die die Deutsche Umwelthilfe und der Landesnaturschutzverband Klage eingereicht hatten, ist für Außenstehende eine etwas unübersichtliche Gemengelage. Wo anfangen? Vielleicht bei der Problematik eines Plan B.

Wer nicht grundsätzlich mit der Devise "Wird schon klappen" durchs Leben geht, dürfte zustimmen: Bei komplizierten Vorhaben einen Plan B zu haben, ist nicht verkehrt. Sogar die Deutsche Bahn hat einen beim Projekt Stuttgart 21: Sollte der Tiefbahnhof einmal fertig und in Betrieb sein – nach aktuellem Stand ist Ende 2026 avisiert – dann bleibt noch für eine Testphase die alte Infrastruktur des Kopfbahnhofs stehen.

Dieser Plan B umfasst aber eine spezielle Strecke nicht: Die von Zürich kommende Gäubahn, deren Abschnitt von Stuttgart-Vaihingen bis zum Hauptbahnhof auch wegen der Ausblicke auf den Stuttgarter Kessel Panoramabahn genannt wird. Denn ihre Gleise sind, nach Darstellung der DB, der im Zuge von S 21 leicht geänderten S-Bahn-Führung im Weg. Ein Damm, über den die Gäubahnzüge jetzt noch in den Hauptbahnhof kommen, soll deshalb einige Monate vor der S-21-Eröffnung abgerissen werden. Für diese Übergangszeit sollen die Fahrgäste dann am Bahnhof Stuttgart-Vaihingen aus- und in andere Züge, S- oder Stadtbahnen umsteigen. Ursprünglich waren für diese Unterbrechung nur vier bis sechs Monate vorgesehen, ehe die Gäubahn über eine neue Führung via Flughafen wieder direkt in den Hauptbahnhof hätte gelangen sollen. Aber Anfang 2019 wurde eingeräumt, dass wegen Verzögerungen beim sogenannten Planfeststellungsabschnitts 1.3b die Unterbrechung mehrjährig sein wird.

Mittlerweile ist der nie fertig planfestgestellte Abschnitt 1.3b ganz aufgegeben, stattdessen soll die Gäubahn über den neuen, rund elf Kilometer langen Pfaffensteigtunnel zum Flughafen geführt werden. Dessen Bau soll aber frühestens 2026 beginnen und 2032 fertig sein – wenn alles gut geht. Kritiker erwarten eine weit längere Bauzeit und ein Mehrfaches der veranschlagten Kosten von einer Milliarde Euro. Es könnte wegen Kosten und Aufwand auch sein, dass der Tunnel nie kommt. Und dann?

Die Bahn glaubt an den Pfaffensteigtunnel

Es ist diese drohende dauerhafte Abkopplung der Gäubahn, gegen die DUH und LNV vor das Verwaltungsgericht gezogen sind, und ihre Klagen wurden trotz einiger Unterschiede gemeinsam verhandelt. Beklagt ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Eisenbahnbundesamt (EBA), beigeladen die DB-Tochtergesellschaft Infrago.

Um die Frage eines Plan B ging es auch am zweiten Verhandlungstag. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Kerstin Wilke, ob es eine Alternative gäbe für den "theoretischen Fall", dass der Pfaffensteigtunnel nicht komme, antwortet EBA-Anwalt Patrick Runge: "Dann muss man sich Gedanken machen. Wir haben in diesem Sinne keinen Plan B", was das Publikum mit Lachen quittiert. Dann müsse man halt eine andere Verbindung suchen, sagt Runge, und müht sich aber, zu betonen: "Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass der Pfaffensteigtunnel nicht kommt." So sieht es auch DB-Anwalt Peter Schütz – verständlicherweise, er hat ja auch die Planfeststellungsanträge mit ausgearbeitet. Der Tunnel stehe ja im Bedarfsplan des Bundes. Und wenn ein Projekt im Bedarfsplan stehe, dann "wäre es ja geradezu widersinnig, einen Plan B zu haben", argumentiert Schütz.

Dabei könnte die Bahn seit einiger Zeit einen Plan B haben. Denn der bauliche Grund für den Abriss des Gäubahndamms sei ja entfallen, sagen die Kläger: Die provisorischen S-Bahn-Gleise, denen der Damm im Weg war, seien seit 2015 aus den Planunterlagen verschwunden. Also sei eine Kappung der Gäubahn auch nicht nötig. Stimmt so nicht, sagen zwar EBA und DB, baulich sei der Abriss weiter nötig, doch so richtig überzeugend ist das nicht – zumal die Bahn selbst 2018 in einer Studie festgestellt hatte, dass mit einer kleinen Umplanung, die der S-Bahn nicht im Weg wäre, eine Weiterführung der Gäubahn für nur 1,5 Millionen Euro (eingleisig) oder 2,8 Millionen Euro (zweigleisig) zu haben wäre.

Warum soll der Damm dann trotzdem weg, fragt DUH-Anwalt Remo Klinger irgendwann fast schon verzweifelt, "wo ist die Schwierigkeit für die Bahn, dass sie die Verbindung weiter erhält?". Worauf sein Kollege Patrick Runge das eingangs erwähnte Argument mit dem Planfeststellungsbeschluss bringt. Es steht so geschrieben.

Unterschiedliche Ansätze der Kläger

DUH und LNV gehen in ihren Klagen unterschiedlich vor: Die DUH bezieht sich auf die Planfeststellungsbeschlüsse zum Projekt: Weil dort immer nur von einem Interimszeitraum und von einer nur wenige Monate dauernden Abkopplung ausgegangen worden sei, nun aber eine zeitlich unbefristete, möglicherweise dauerhafte Abkopplung drohe, bestehe keine rechtliche Sicherheit mehr, das EBA müsse daher die Abkopplung stoppen. Geklagt wird im Grunde für die Einhaltung der Planfeststellung.

LNV-Anwalt Urs Kramer, der 2022 auch ein Gutachten zur Gäubahn verfasst hat (Kontext berichtete) beruft sich auf das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG): Nach dem dürfte die Stilllegung einer Strecke nicht ohne ein Stilllegungsverfahren erfolgen. Ein solches sei aber momentan nicht geplant.

Das erinnert auf den ersten Blick an ein Verfahren, das 2018 erfolglos vor dem Bundesverwaltungsgericht endete: Die Stuttgarter Netz AG, die mehrere private Eisenbahnunternehmen vertrat, hatte gegen die Stilllegung der oberirdischen Gleisabschnitte nach Inbetriebnahme von S 21 geklagt. Sie unterlag aber schon 2016 (Kontext berichtete) und auch in der Revision. Das Gericht hatte damals geurteilt, es bedürfe keines Stilllegungsverfahrens, da die abgebaute Infrastruktur quasi eins zu eins und in einer nahezu lückenlosen Übergangsphase ersetzt werde. Aber dieses Urteil, so Kramers Argumentation in seinem Gutachten, sei inzwischen obsolet, weil sich die Rechtslage geändert habe. Die neue Situation beinhalte eben keinen lückenlosen Übergang, sondern eine mehrjährige Abbindung und eine möglicherweise größere Kapazitätsreduktion auf der gesamten Gäubahnstrecke.

Bis zur inhaltlichen Diskussion dieses Aspekts kommt es gar nicht vor dem Verwaltungsgericht, denn schon am ersten Verhandlungstag wird die LNV-Klage abgewiesen, weil sie gar nicht zulässig sei. Die Gründe: Der LNV klagt über das Bundesumweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), ein Umweltbezug bei der Klage ist daher entscheidend, einen anderen Weg gibt es für einen Verband in diesem Falle nicht. Das UmwRG kann sehr weit ausgelegt werden, was aber nicht immer in gleichem Maße geschieht. Der vom LNV geltend gemachte Umweltaspekt: Durch die Gäubahnkappung oder faktische Stilllegung würden viele Pendler:innen aufs Auto umsteigen, was mittelbar zu einem erhöhten CO2-Ausstoß führe.

Das sieht Richterin Juliane Hettche nicht so.Die Thematisierung von Umweltfolgen, etwa eines erhöhten Treibhausgasausstoßes als Folge einer Stilllegung, sei dem Paragrafen "nicht zu entnehmen". Anders gesagt: Steht nicht konkret drin. Die von Hettche zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts: "Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, Umweltbelange im AEG nicht zu berücksichtigen."

Bei Kramer löst diese Interpretation ein "Störgefühl" aus, auch wenn er einräumt: "Es stimmt, bei der zitierten Stelle ist kein Umweltbezug erkennbar." Aber er vertritt die These: "Die Eisenbahn ist beim Kampf gegen den Klimawandel der wichtigste Verkehrsträger – daraus lässt sich meines Erachtens schon ein Umweltbezug herstellen."

Das Gericht bleibt bei seiner Auslegung. Einen Hilfsantrag des LNV verweist es aber immerhin an den Verwaltungsgerichtshof, dort wird also erneut verhandelt werden.

Wie lang die Kappung dauern soll, steht nirgends

Eng am Text hangelt sich das VG auch bei der Klage der DUH entlang: Die wird zwar als zulässig erachtet, aber als unbegründet. Denn explizit finde sich nirgendwo in den Unterlagen der Bahn, wie lange die Unterbrechung der Gäubahn dauern soll: "Die Planfeststellungsbeschlüsse enthalten im Gegensatz zur Auffassung des Klägers keinen Hinweis darauf, dass nur von einer wenige Monate dauernden Abbindung ausgegangen wird", so Richterin Kerstin Wilke bei der Urteilsverkündung. Heißt: Ob mehrere Monate oder mehrere Jahre – das ist juristisch unerheblich.

Diese Sichtweise hatte sich schon im Verlauf der Verhandlung ahnen lassen. Und DUH-Anwalt Remo Klinger hatte seine Deutung der wenige Monate dauernden Unterbrechung aus der unmittelbaren Folge der Planfeststellungsbeschlüsse zu den verschiedenen S-21-Abschnitten begründet. Was nicht unschlüssig ist: Wenn geplant ist, S 21 als Ganzes auf einmal in Betrieb zu nehmen, und die Gäubahn-Kappung vier bis sechs Monate davor erfolgen soll, dann lässt sich dieser Schluss durchaus ziehen – und bei der oben erwähnten Klage der Stuttgarter Netze AG erfolgte ja die Abweisung gerade wegen der Annahme, es handele sich um eine nur mehrere Monate umfassende Unterbrechung.

Klafft auseinander: Juristerei und S-21-Werbung

So steht am Ende der Verhandlung eine recht kuriose Situation: Das Gericht beruft sich auf den Wortlaut eines Planfeststellungsbeschlusses von 2005, auch wenn sich Planungen inzwischen an vielen Stellen geändert haben. Und zugleich eine politisch zumindest problematische: Denn in dem Urteil offenbart sich ein weites Auseinanderklaffen, was nach Auffassung des Gerichts rechtlich verbindlich fixiert (und damit einklagbar) ist – und was in der Vergangenheit Inhalt des politischen Werbens, der Propaganda für das Projekt Stuttgart 21 war. Denn zu der gehörte stets, von einer nur kurzen Unterbrechung der Gäubahn zu sprechen. Anders wäre womöglich die hohe Zustimmung der Gäubahn-Anrainerkommunen zu S 21 nicht zustande gekommen. Ebenjener Kommunen, die jetzt, häufig mit CDU-Oberbürgermeistern, heftig gegen die Gäubahn-Kappung protestieren.

Nun wird es vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim weitergehen. Für den LNV auf jeden Fall, dessen Hilfsantrag wurde ja dorthin verwiesen, und für die DUH mit hoher Wahrscheinlichkeit. Zwar hat das Gericht in seinem Urteil keine Berufung zugelassen, doch die DUH kann Antrag auf Zulassung einer Berufung stellen, was häufig gelingt. DUH-Chef Jürgen Resch ist jedenfalls weiterhin zuversichtlich. "Wir müssen einen langen Atem haben", sagt er nach der Urteilsverkündung, "wir sind ein bisschen verwöhnt, dass wir viele Verfahren zu Klimaschutz und Verkehr schon in erster Instanz gewonnen haben."

Der ehemalige Richter Dieter Reicherter, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttghart 21, sieht es jedenfalls als Vorteil, dass die Klagen jetzt vor den Verwaltungsgerichtshof kommen. Denn dort, sagt Reicherter, "muss auch der Umweltaspekt mitverhandelt werden", der jetzt beim LNV nicht zum Tragen kam.


Rede von DUH-Chef Jürgen Resch auf der Montagsdemo gegen Stuttgart 21 vom 17. 2. 2025 (ab min 21:17).

Der Regisseur Klaus Gietinger hat zur Verhandlung der Gäubahn-Klage einen Kurzfilm gemacht.

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2 Kommentare verfügbar

  • Popeye
    am 20.02.2025
    Antworten
    Alternativen?

    Was ich bei den Diskussionen nicht verstehe: Es geht doch "nur" um die Panoramabahn. Bleibt die vom Abzweig Nordbahnhof nach Vaihingen offen? Also sind Fahrten von Feuerbach nach Vaihingen über die Panoramabahn weiter möglich? Dann könnte man doch im Bereich der Brücke über die…
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