Bis zur inhaltlichen Diskussion dieses Aspekts kommt es gar nicht vor dem Verwaltungsgericht, denn schon am ersten Verhandlungstag wird die LNV-Klage abgewiesen, weil sie gar nicht zulässig sei. Die Gründe: Der LNV klagt über das Bundesumweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), ein Umweltbezug bei der Klage ist daher entscheidend, einen anderen Weg gibt es für einen Verband in diesem Falle nicht. Das UmwRG kann sehr weit ausgelegt werden, was aber nicht immer in gleichem Maße geschieht. Der vom LNV geltend gemachte Umweltaspekt: Durch die Gäubahnkappung oder faktische Stilllegung würden viele Pendler:innen aufs Auto umsteigen, was mittelbar zu einem erhöhten CO2-Ausstoß führe.
Das sieht Richterin Juliane Hettche nicht so.Die Thematisierung von Umweltfolgen, etwa eines erhöhten Treibhausgasausstoßes als Folge einer Stilllegung, sei dem Paragrafen "nicht zu entnehmen". Anders gesagt: Steht nicht konkret drin. Die von Hettche zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts: "Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, Umweltbelange im AEG nicht zu berücksichtigen."
Bei Kramer löst diese Interpretation ein "Störgefühl" aus, auch wenn er einräumt: "Es stimmt, bei der zitierten Stelle ist kein Umweltbezug erkennbar." Aber er vertritt die These: "Die Eisenbahn ist beim Kampf gegen den Klimawandel der wichtigste Verkehrsträger – daraus lässt sich meines Erachtens schon ein Umweltbezug herstellen."
Das Gericht bleibt bei seiner Auslegung. Einen Hilfsantrag des LNV verweist es aber immerhin an den Verwaltungsgerichtshof, dort wird also erneut verhandelt werden.
Wie lang die Kappung dauern soll, steht nirgends
Eng am Text hangelt sich das VG auch bei der Klage der DUH entlang: Die wird zwar als zulässig erachtet, aber als unbegründet. Denn explizit finde sich nirgendwo in den Unterlagen der Bahn, wie lange die Unterbrechung der Gäubahn dauern soll: "Die Planfeststellungsbeschlüsse enthalten im Gegensatz zur Auffassung des Klägers keinen Hinweis darauf, dass nur von einer wenige Monate dauernden Abbindung ausgegangen wird", so Richterin Kerstin Wilke bei der Urteilsverkündung. Heißt: Ob mehrere Monate oder mehrere Jahre – das ist juristisch unerheblich.
Diese Sichtweise hatte sich schon im Verlauf der Verhandlung ahnen lassen. Und DUH-Anwalt Remo Klinger hatte seine Deutung der wenige Monate dauernden Unterbrechung aus der unmittelbaren Folge der Planfeststellungsbeschlüsse zu den verschiedenen S-21-Abschnitten begründet. Was nicht unschlüssig ist: Wenn geplant ist, S 21 als Ganzes auf einmal in Betrieb zu nehmen, und die Gäubahn-Kappung vier bis sechs Monate davor erfolgen soll, dann lässt sich dieser Schluss durchaus ziehen – und bei der oben erwähnten Klage der Stuttgarter Netze AG erfolgte ja die Abweisung gerade wegen der Annahme, es handele sich um eine nur mehrere Monate umfassende Unterbrechung.
Klafft auseinander: Juristerei und S-21-Werbung
So steht am Ende der Verhandlung eine recht kuriose Situation: Das Gericht beruft sich auf den Wortlaut eines Planfeststellungsbeschlusses von 2005, auch wenn sich Planungen inzwischen an vielen Stellen geändert haben. Und zugleich eine politisch zumindest problematische: Denn in dem Urteil offenbart sich ein weites Auseinanderklaffen, was nach Auffassung des Gerichts rechtlich verbindlich fixiert (und damit einklagbar) ist – und was in der Vergangenheit Inhalt des politischen Werbens, der Propaganda für das Projekt Stuttgart 21 war. Denn zu der gehörte stets, von einer nur kurzen Unterbrechung der Gäubahn zu sprechen. Anders wäre womöglich die hohe Zustimmung der Gäubahn-Anrainerkommunen zu S 21 nicht zustande gekommen. Ebenjener Kommunen, die jetzt, häufig mit CDU-Oberbürgermeistern, heftig gegen die Gäubahn-Kappung protestieren.
2 Kommentare verfügbar
Popeye
am 20.02.2025Was ich bei den Diskussionen nicht verstehe: Es geht doch "nur" um die Panoramabahn. Bleibt die vom Abzweig Nordbahnhof nach Vaihingen offen? Also sind Fahrten von Feuerbach nach Vaihingen über die Panoramabahn weiter möglich? Dann könnte man doch im Bereich der Brücke über die…