Wohin mit der Magistrale? Die Gäubahn-Chaos-Chronologie
1873–1879: Als letzte der drei Bahnstrecken vom Stuttgarter Hauptbahnhof wird die Gäubahn nach Freudenstadt gebaut, im Talkessel als Panoramabahn eine der schönsten in Deutschland. Mit Horb verbunden, reicht sie bald bis Tuttlingen und verbindet dann Stuttgart mit dem Schwarzwald, dem Bodensee und der Schweiz, zeitweise sogar Berlin mit Mailand und Rom.
1946: Als Reparationsleistung für die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht herausgerissenen Gleise zwischen Belfort und Besançon baut Frankreich 1946 die Hälfte der Gleise zwischen Horb und Tuttlingen ab.
1996: Im Vertrag von Lugano vereinbaren Deutschland und die Schweiz, die Reisezeit zwischen Stuttgart und Zürich auf 2,5 Stunden zu verkürzen. Dafür wäre unter anderem ein zweigleisiger Ausbau zwischen Horb und Tuttlingen nötig.
2001: Stuttgart kauft die Gleisflächen, die durch S 21 freiwerden sollen, und will die Panoramabahn stilllegen. Die Gäubahn soll über die "Rohrer Kurve" auf der bestehenden S-Bahn-Strecke zum geplanten Flughafenbahnhof geführt werden. Eine wegen des Mischverkehrs von S-Bahnen und Fernzügen hochproblematische Planung, die nie planfestgestellt wird.
2016: Die Panoramabahn wird bei Sperrungen der S-Bahn-Stammstrecke an rund 100 Tagen im Jahr als Ausweichstrecke gebraucht. OB Fritz Kuhn spricht sich für den Erhalt aus.
2018: Der Gemeinderat stimmt dem Erhalt zu, aber nur bis zum Nordbahnhof. Dort sollen die Reisenden in die S-Bahn umsteigen. Eine Machbarkeitsstudie von Stadt, Land und Region untersucht dazu zwei Varianten.
2019: Weil die für S 21 geplante neue Gäubahnführung frühestens 2028 fertig werden soll, wird klar, dass die Strecke statt nur weniger Monate mehrere Jahre vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgekoppelt sein wird.
Es entsteht die Idee eines unterirdischen Ergänzungs-Kopfbahnhofs quer zum S-21-Tiefbahnhof, in dem auch die Panoramabahn enden soll.
2020: Als Alternative zur bisherigen, nicht planfeststellbaren S-21-Planung schlägt der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Steffen Bilger (CDU) für die Gäubahn einen Tunnel von Böblingen zum Flughafen vor, in der Folge Bilgertunnel, heute Pfaffensteigtunnel genannt.
2021: Eine "Nahverkehrs-Ergänzungsstation" steht im Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregierung. Niemand hat die Absicht, diese zu realisieren. 2023 wird die Idee ad acta gelegt.
2022: Drei Rechtsgutachten kommen zu dem Ergebnis: Die Panoramabahn darf nicht einfach stillgelegt werden.
Ein "Faktencheck" des Interessenverbands Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn untersucht alternative Routen über Renningen und Tübingen. Ergebnis: alle ungeeignet. Die Gäubahn müsse im Bahnhof Stuttgart-Vaihingen enden.
2023: Das Landesverkehrsministerium präsentiert im März die Idee, die Panoramabahn über einen noch zu bauenden Nordhalt in Richtung Feuerbach und Bad Cannstatt zu verlängern, T-Spange oder Nachverkehrsdreieck genannt.
Eine weitere Idee: Die S-Bahnlinie S1 Richtung Herrenberg soll zuerst bis Rottweil, dann doch nur bis Horb verlängert werden.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) reicht im Juni gegen die Unterbrechung der Gäubahn Klage ein. Im März 2024 tut dies auch der Landesnaturschutzverband (LNV).
Die S-Bahn weicht während der sechswöchigen Sperrung der Stammstrecke im Sommer nicht auf die Panoramabahn aus. Züge verkehren weiter.
2024: Stuttgart 21 wird später fertig als wie geplant Ende 2025. Deshalb verschiebt das Verkehrsministerium die Planungen für den Nordhalt. (dh/os)
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Thomas Rothschild
am 29.04.2024