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Gäubahn-Variante Guido Wolf

"Warum keine S-Bahn Stuttgart–Zürich?"

Gäubahn-Variante Guido Wolf: "Warum keine S-Bahn Stuttgart–Zürich?"
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Guido Wolf, ehemals Justiz- und Tourismus-Minister für Baden-Württemberg, ist bekannt für Selbstgedichtetes. Und er ist mit unserem Autor verwandt. Der nutzt das Chaos um die Gäubahn für ein paar persönliche Worte. Von Vetter zu Vetter.

Na, sowas, Guido! Jetzt mal von Vetter zu Vetter!

Du bist jetzt seit drei Jahren ohne einen richtigen Job im Landtag. Und das mit dem Minister für Justiz ist ja längst vergangen und vergessen. Ich fand es dann schon bösartig, als Kontext die Karikatur von Kostas Koufogiorgos veröffentlichte, auf denen Kretschmann und Strobl an einem Kabinettstisch sitzen und Du bist unten in so einem Kleinkinder-Gestell eingesperrt.

Doch zur Sache. Einen Job hast Du ja noch. Du bist Vorsitzender des Gäubahn-Interessenverbandes. Jetzt, wo bei dem Thema Gäubahn die Wogen so hoch gehen und der Pfaffensteig-Tunnel noch so weit weg ist, da ist das doch deine ganze große Chance, in der großen Politik noch mal eine Runde zu drehen. Vielleicht sogar die letzte Chance überhaupt!

Und die Bahn ist immer eine Angelegenheit, bei der den Leuten das Herz blutet. Das war bereits 1959 so, als sie in Ravensburg 's Bähnle (die örtliche Straßenbahn) eingestellt hatten und meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich nicht mehr mit dem Bähnle nach Weingarten zu Deiner Familie fahren konnten. Aber das kannst Du gar nicht wissen, Du kamst ja erst zwei Jahre später auf die Welt.

Jetzt trafen sich am vergangenen Freitag die Bürgermeister der Gäubahn-Städte. Es gab einen Faktencheck – mit einer großen Zahl von Top-Managern der Bahn und noch mehr Powerpoint. Und dann gaben sie alle ihren Senf dazu. Nobber (OB von Stuttgart) haute ein Statement heraus, in dem es heißt: "Ein kurzer Umstieg in Vaihingen ist besser als ein langer und beschwerlicher Weg am Hauptbahnhof." Er plädiere für einen "Übergangsumstieg in Vaihingen".

Da müssen am Stuttgarter Hauptbahnhof 15 Jahre lang Hunderttausende Menschen Tag für Tag lange Umwege gehen – und dann kommt der Nopper, spricht sich gegen lange Umwege aus, aber eben erst ab dem Jahr 2026 und nur mit Blick auf die Gäubahn-Fahrgäste, und plädiert für einen kurzen Umstieg oben auf dem Berg, in Vaihingen. Das ist schon heftig.

Und was hast Du dort gesagt? Man möge – so Dein Vorschlag – doch eine "S-Bahn-Verbindung von Stuttgart bis Singen prüfen".

Das wären dann – von Stuttgart Hauptbahnhof tief bis Singen – 166 Kilometer und damit zumindest in The Länd die längste S-Bahn überhaupt. Auf die Idee muss man erst mal kommen! Meine Frage an Dich: Warum dann nicht gleich eine S-Bahn Stuttgart–Zürich? Schließlich reden sie in Zürich doch recht ähnlich wie bei uns, nur nicht ganz so schön.

Über eine Sache solltest Du aber schon noch mal nachdenken: Allein von Stuttgart bis Singen sind das zweidreiviertel Stunden S-Bahn-Fahrt. Ich habe den Eindruck, dass Du schon lange nicht mehr in einer S-Bahn gesessen bist. Schließlich gibt es da keine Toilette. Das ist ja bereits für Normalos ein Problem. Jetzt stell Dir aber mal die folgende Situation vor: Da war einer aus Horb oder Tuttlingen in Stuttgart oder Bad Cannstatt. Und die betreffende Person trank dort drei Viertel Liter Suser (frisch vergorener Wein). Bei der Fahrt zurück verspürt er ein Bedürfnis. Soll der dann an einem Bahnhof die Notbremse ziehen? Und selbst wenn! Bei allen Gäubahn-Bahnhöfen – aber auch anderswo – sieht es düster aus: Toiletten gibt es dort keine mehr. Sogar in Tuttlingen, in Deinem Wahlkreis, wo wir uns zuletzt vor fünf Jahren trafen, gibt es kein stilles Örtchen mehr. Da kann man nur zwei Stunden lang die Arschbacken zusammenkneifen.

Das aber jetzt ganz unter uns. Die Menschen denken ja nicht so weit, bevor es nicht so weit ist. Und Dein Vorschlag mit einer S-Bahn bis Singen oder auch meiner mit einer S-Bahn gleich bis Zürich hat schon was. Denn wenn Du das sagst – "eine S-Bahn Stuttgart–Zürich" – dann hast Du gleich drei Fliegen mit einer Klatsche: Erstens wäre das mit gut zweihundert Kilometer die längste S-Bahn auf der Welt. Zweitens bräuchten dann auf der Gäubahn nur noch S-Bahnen verkehren und gar keine klassischen Eisenbahnen mehr. Die Schweizer haben ohnehin bereits angekündigt, dass sie ab 2026 die Gäubahn-Strecke nicht mehr mit der SBB bedienen wollen. Weil dann in Vaihingen Schluss ist.

Und – besonders wichtig – drittens: Dann bist Du wieder in aller Munde! So wie im Dezember 2015, als Du der Kanzlerin auf dem Parteitag in Karlsruhe einen Stoff-Wolf Marke Steiff überreicht hast.

Was ich allerdings überhaupt nicht verstehe: Warum müssen die Gäubahn-Züge 2026 in Vaihingen enden? Selbst wenn das Monsterprojekt Stuttgart 21 dann in Betrieb genommen werden würde, dauerte es noch ein paar Jahre, bis die Schienen auf dem jetzigen Gleisvorfeld (des Kopfbahnhofs) abgebaut werden können.

Oder geht es schlicht darum, dass man vollendete Tatsachen schaffen und alle Gleise, die (der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident) Oettinger mal als "Hüttengerümpel" bezeichnet hat, möglichst sofort beseitigen will? Damit bloß niemand auf die Idee kommt, man könne den Kopfbahnhof doch bestehen lassen. Ja, man müsse dessen Existenz sogar sichern, weil es unten mit den acht Gleisen schlicht zu eng ist.

All das sagt und schreibt Dir Dein Vetter Winnie


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1 Kommentar verfügbar

  • Jonas
    am 09.12.2022
    Antworten
    Einen Schritt zurück.
    S-Bahnen können auch Toiletten besitzen, wenn man als Betreiber die 'richtigen' Züge bestellt (siehe Transdev mit den Stadler Flirt 3XL). Eine Regelung dazu gibt es meines Wissens nach nicht. Übrigens, auch auf dezentralen Bahnhöfen sind Toiletten keine Norm.
    Außerdem- wo…
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