Warum es technisch keinerlei Problem darstellt, die Gäu- oder Panoramabahn vom Stuttgarter Nordbahnhof trotz Verlegung der S-Bahn-Trasse weiterhin bis zum Hauptbahnhof zu führen: Um diese komplexe Frage begreiflich zu machen, stützte sich der Bahn-Kenner Hans-Jörg Jäkel jüngst beim Gäubahngipfel im Stuttgarter Rathaus auf die große Modelleisenbahnanlage von Wolfgang Frey (siehe Video).
Die räumliche Komplexität dieser Situation lässt sich auf keine andere Weise besser verdeutlichen als an Freys Modell, das seit zwei Jahren im Hindenburgbau steht. Modellbahn oder Stadtmodell, mal bezeichnet als "Stellwerk S", mal als "Miniaturwelten Stuttgart". Was ist es denn nun eigentlich?
Ist es "das bedeutendste Kunstwerk der 70er/80er-Jahre auf der ganzen Welt", wie der emeritierte Ästhetik-Professor Bazon Brock meint? Ob sich der 2012 verstorbene Wolfgang Frey in diesen Worten wiedergefunden hätte, darf bezweifelt werden. Es handelt sich zunächst einmal um eine Modelleisenbahnanlage. Bis zu 2.500 Züge ließ Frey einst an einzelnen Tagen vor einer Handvoll ausgewählter Besucher:innen in einem Nebenraum der S-Bahn-Station Schwabstraße über die Modellschienen rollen.
Allerdings sind Modellbahnen in der Regel reine Fantasiewelten. An den kleinen, fahrenden Zügen entzündet sich die Vorstellungskraft von Kindern und Erwachsenen. Die putzigen, selten mehr als zweigeschossigen Häuschen tragen dazu bei.
Völlig anders bei Frey. Allein der Bahnhof im Maßstab 1:160 ist mehr als einen Meter breit, der Südflügel 1,70 Meter lang. Das sprengt bei Weitem die Dimensionen üblicher Modellbahnanlagen. Aber Frey wollte mehr, nämlich den gesamten Stuttgarter Bahnbetrieb abbilden: vom Vorfeld im Bereich der unteren Königstraße über die Gleisanlagen bis zum Westbahnhof und nach Bad Cannstatt. Dazu gehört auch sein Nachbau der original großen, voll funktionsfähigen Stelltafel.
Viel detailverliebter als andere Stadtmodelle
Rainer Braun, der das Modell 2017 mit dem Modellbahnclub Herrenberg aus den feuchten Räumen an der S-Bahn-Station Schwabstraße ausgebaut hat und nun die Miniaturwelten Stuttgart betreibt, spricht deshalb eher von einem Stadtmodell. Tatsächlich zeigt das Modell detailgetreu einen Teil Stuttgarts: vom Parkhaus der Galeria Kaufhof und dem Schlossgartenhotel bis zum Bahnpostamt und darüber hinaus.
Stadtmodelle gibt es viele, auf der ganzen Welt. Sie stehen im Museum oder auf der Straße und dienen verschiedenen Zwecken: von der Erinnerung an eine frühere Epoche bis zur Planung neuer Stadtteile. Im Maßstab 1:1.000 gibt es solche Modelle auch in Stuttgart: im Stadtpalais, vor der Stiftskirche oder auch das eingelagerte Modell des Architekten Roland Ostertag.
New York, Beijing, Shanghai und Bangkok haben für sechs- bis siebenstellige Summen riesige Stadtmodelle eigens in Auftrag gegeben. Sie zeigen die ganze Stadt und können daher – auch wenn charakteristische Bauten erkennbar sind – mit Freys Liebe zum Detail bei Weitem nicht mithalten.
Historische Modelle in Wien, Prag oder Zürich wurden angefertigt, um in einer Zeit der Umbrüche einen früheren Zustand festzuhalten. Im Maßstab 1:400 oder 1:500 sind zwar viele Einzelheiten erkennbar. Aber immer noch nicht so detailliert wie bei Frey, der eine Umbruchsituation nicht mit nostalgischem Blick zurück in vergangene Zeiten zeigt, sondern moderne, zum Teil ganz neue Bauten wie das Cannstatter Carré.
Völlig einzigartig sind dabei, zumindest in dieser Größe, die Bahnanlagen. Das Washington State Museum etwa zeigt sich stolz auf ein 90 Quadratmeter großes Modell, angefertigt in fünfjähriger Arbeit von einem Club von Bahningenieur:innen, das die Bahnanlagen von Tacoma um 1950 rekonstruiert. Freys Modell ist doppelt so groß, gebaut hat er daran etwa 30 Jahre lang.
Die effizienteste Art des Pendelns
Ein Unikat ist aber nicht nur sein Modell: Auch die Konstruktion, die es darstellt, das sogenannte "Tunnelgebirge" sucht seinesgleichen. Die im Bahnjargon als Überwerfungsbauwerke bezeichneten – also Brücken, Tunnel, Unterführungen oder ähnliches – Gleisgebirge zwischen dem Stuttgarter Haupt- und Nordbahnhof bezeichnete deren Erbauer Karl Schaechterle als "eine in der Geschichte der Eisenbahn-Technik wohl einzig dastehende Anlage". Hans-Peter Münzenmayer, ehemaliger Referent für technische Kulturdenkmale am Denkmalamt, hat dies in einer Broschüre des Vereins zur Förderung und Erhaltung historischer Bauwerke herausgearbeitet. Die Überwerfungsbauten standen unter Denkmalschutz.
Sie sind aber nicht nur ein Denkmal, ein Relikt vergangener Zeiten. Sie stellen die effizienteste Art und Weise dar, wie Bahnfahrende in die Stadt herein und wieder hinaus gebracht werden können. Knapp 100 Meter breit ist das Gleisvorfeld an der schmalsten Stelle in der Nähe des früheren Ufa-Palasts, dem Frey in seinem Modell ebenfalls ein Denkmal gesetzt hat. Auf drei Ebenen überschneiden sich 19 Gleise in Richtung Bad Cannstatt (unten), Feuerbach (Mitte) und zur Gäubahn (oben).
3 Kommentare verfügbar
Jupp
am 09.03.2024Das sind dich Fakenews, oder? Das traue ich jetzt nichtmal Vertretern der ökosozialen Truppe zu.