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Stuttgart 21

Hat hier jemand Ausstiegskosten gesagt?

Stuttgart 21: Hat hier jemand Ausstiegskosten gesagt?
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Am 30. März will der DB-Aufsichtsrat über die nächste Kostensteigerung bei Stuttgart 21 entscheiden, aber schon am 28. März wird der fertige Hauptbahnhof eröffnet – wie bitte? Das geht. Es kommt nur auf den Maßstab an.

Nein, damit hätten wir nicht gerechnet, wirklich nicht. Aber am 28. März ist es schon so weit, da wird der komplette, funktionstüchtige, fertige und durchfinanzierte Hauptbahnhof in Stuttgart der Welt präsentiert. Und zwar in seiner alten Pracht, mit Seitenflügeln, kurzen Wegen, unzerdeppertem Dach und ganz ohne Baugrube. Und wenn die geneigten Leserinnen und Leser nun langsam rätseln, welche Drogen bei Kontext im Umlauf sind: Es geht um den Bahnhof im Maßstab 1:160, genauer, um das grandiose Modell des Bahnmitarbeiters Wolfgang Frey. Wobei, dieses Modell ist eigentlich viel mehr als nur eine Modelleisenbahn, es ist ein in dieser Form, Größe und akribischer Planung und Ausführung einzigartiges Stadtmodell, im Grunde ein Kunstwerk, wie Kontext schon 2019 feststellte.

34 Jahre lang hatte Frey an der 190 Quadratmeter großen Anlage sowie einem 1:1-Nachbau der Stelltafel gearbeite. Nach seinem Tod 2012 hatte der Unternehmensberater Rainer Braun die Anlage gemeinsam mit dem Modelleisenbahnclub Herrenberg gerettet, sie in Stuttgart zerlegt und in Herrenberg wieder aufgebaut, "Stellwerk S" nannten sie die Lokalität, in der sie von monatlich bis zu 1.000 Besuchern besichtigt wurde. Nun zieht die Anlage nach rund fünf Jahren wieder zurück nach Stuttgart, und zwar direkt gegenüber dem echten, wegen der S-21-Bauarbeiten zunehmend ramponierten Hauptbahnhof, in Räume des ehemaligen Hindenburgbaus. Diesen Ort hat auch Ferdinand Piëch jr. möglich gemacht, der Eigentümer des Gebäudes, der laut Braun einen fairen Mietpreis angeboten habe.

Am Montag, den 28. März soll die Eröffnung sein, und in den "Miniaturwelten Stuttgart", wie der Ort dann heißen wird, soll es auch tatsächlich mehr zu sehen geben als am früheren Standort: So sind "fast doppelt so viele Strecken in Funktion wie in Herrenberg", sagt Rainer Braun, zudem wird jetzt auch der Nachbau des Nordbahnhofs zu sehen sein, für den in Herrenberg kein Platz war. Und klar, das Ganze wird auch etwas für NostalgikerInnen sein, denn die Anlage dokumentiert einen Stand der Schienenwege und umgebenden Viertel in Stuttgart von Mitte der 1990er, als sogar der alte Güterbahnhof noch stand, das spätere A-1-Areal, wo heute die Stadtbibliothek und das Milaneo-Monster stehen.

Endlich zehn Milliarden!

Von Nostalgie eher wenig berührt ist mutmaßlich die Entscheiderebene der Deutschen Bahn AG, es sei denn es geht um das Trauern über frühere Kontostände. Zwei Tage nach der Eröffnung der Miniaturwelten berät der Aufsichtsrat der Bahn am 30. März über monströse Finanzwelten, genauer gesagt darum, den Kostenrahmen für das Mammutprojekt Stuttgart 21 mal wieder zu erhöhen – seit Ende Januar hatten sich Hinweise darauf schnell konkretisiert. Und die letzte offiziell eingeräumte Kostensteigerung liegt schon wieder vier Jahre zurück, damals, Anfang 2018, sprach man über 8,2 Milliarden Euro. Schon 2016 hatte indes das Münchner Planungsbüro Vieregg & Rössler 9,8 Milliarden geschätzt, 2019 taxierte der Bundesrechnungshof die Gesamtkosten auf 9,5 Milliarden, und Ende 2020 wurden Kontext offizielle Bahnunterlagen zugespielt, die von einer weiteren Kostensteigerung um bis zu 1,4 Milliarden Euro kündeten, also auf 9,6 Milliarden. Auf eine Kontext-Anfrage hin hatte die Bahn damals die Echtheit der Unterlagen nicht einmal dementiert, sie jedoch als "theoretischen Szenarien" abgetan, die "zum üblichen Projektmanagement" gehörten. Is' klar.

Von der Theorie zur Realität dauerte es nun also noch eineinviertel Jahre, und, soviel müssen wir der Bahn lassen, ihr "theoretisches Szenario" war nicht unpräzise. Denn schon am 18. März beriet der DB-Aufsichtsrat über den Kostenrahmen für S 21, und in der Pressemitteilung dazu war zu lesen, dass sich der "Gesamtwertumfang" der Projektkosten auf 9,15 Milliarden Euro erhöhe, dazu komme eine "ergänzende Vorsorge", will sagen, Risikopuffer in Höhe von 640 Millionen Euro. Macht zusammen also rund 9,8 Milliarden. Schon 2018 wurde von einem Gesamtwertumfang von 7,7 Milliarden und einem Risikopuffer von 500 Millionen gesprochen, bereits Mitte 2019 war aber klar, dass die Bahn diesen Puffer würde nutzen müssen. Und hier sollte von der Bahn nun ein bisschen Souveränität gefordert werden, warum in Zeiten von 100-Milliarden-Zusatzbudgets für die Bundeswehr mit so umständlichen Kommastellen hantieren und nicht gleich auf zehn Milliarden runden? Kleiner Scherz zwischendurch: 2011 sprach der damalige Bahnchef Rüdiger Grube davon, dass das Projekt bis 4,8 Milliarden Euro wirtschaftlich sei, nachdem er die "Sollbruchstelle" davor auch schon bei 4,53 Milliarden angesetzt hatte. Ja, köstlich, in der Tat.

Ist der Bau weiterhin "vorteilhaft"?

Dass es hier keinen Deut mehr um Wirtschaftlichkeit geht, sondern nur noch darum, irgendwie fertig zu werden, ließ ja schon der aktuelle Bahnchef Richard Lutz recht unmissverständlich verlauten. Und vielleicht liegt es auch an der immer eklatanteren Unwirtschaftlichkeit, dass die Bahn nun ungefragt nach neun Jahren zum ersten Mal wieder von "Ausstiegskosten" spricht. Natürlich nur, um gleich zu sagen, dass ein Ausstieg nicht ratsam sei, der Weiterbau "weiterhin vorteilhaft". Das war, wir erinnern uns, lustigerweise in jedem Stadium des Projekts so, auch als noch kaum etwas gebaut war. Der Vorteil bei einem Weiterbau sei "relativ, er liegt in der Schadensbegrenzung", hieß es süffisant in der "Stuttgarter Zeitung".

Wobei selbst der relative Vorteil bei der Schadensbegrenzung noch keinesfalls genau beziffert werden kann. Zwar spricht die Bahn aktuell von 3,4 Milliarden Euro Baukostenzuschüssen, die zurückgezahlt werden müssten, und 1,3 Milliarden für die Rückabwicklung von Grundstücksgeschäften. Allerdings kann sie die Kosten, die sie mit dem Projekt noch haben wird, nicht genau taxieren, denn erst muss ja noch gerichtlich die Verteilung der Mehrkosten geklärt werden. Um eine Übernahme derselben hatte die Bahn bereits 2016 gegen die Projektpartner (Land Baden-Württemberg, Stadt Stuttgart, Region Stuttgart) geklagt, dieses Jahr soll nun endlich darüber verhandelt werden – wann genau, steht noch dahin.

Es sei jedenfalls "schon ein Hammer", betont der Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch, dass die Bahn nach Jahren "wieder Kosten für einen Ausstieg aus Stuttgart 21 nennt". Auch wenn sie "die Ausstiegskosten künstlich hochrechnet", wie der Sprecher der Fraktionsgemeinschaft "Die FrAktion" im Stuttgarter Gemeinderat ergänzt. "Uns wäre es lieber gewesen, die Bahn hätte die Kosten nicht nur für den Ausstieg, sondern auch für den Umstieg 21 genannt." So nennt sich ein Konzept der S-21-Gegner, das eine Beibehaltung des Kopfbahnhofs bei gleichzeitiger Umnutzung der bisher für S 21 gebauten Strukturen beinhaltet (Kontext berichtete).

Das wird natürlich nie geschehen. Wobei, "nie" sollte man in Zeiten der 100-Milliarden-Extra-Budgets nie sagen.


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10 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel
    am 26.03.2022
    Antworten
    Toll ! Es war Günter Öttinger CDU MP, der den Finanzierungsvertrag über 4.526 Mrd. Unterschrieben hat! Seine damalige Freundin Friederike wollte das MILANEO am Bahnhof bauen. Das Milaneo ist fertig! Nur die CDU blieibt in Stuttgart an der Macht?
    Ich schäme mich für das dumme Volk, das solche…
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