Nein, damit hätten wir nicht gerechnet, wirklich nicht. Aber am 28. März ist es schon so weit, da wird der komplette, funktionstüchtige, fertige und durchfinanzierte Hauptbahnhof in Stuttgart der Welt präsentiert. Und zwar in seiner alten Pracht, mit Seitenflügeln, kurzen Wegen, unzerdeppertem Dach und ganz ohne Baugrube. Und wenn die geneigten Leserinnen und Leser nun langsam rätseln, welche Drogen bei Kontext im Umlauf sind: Es geht um den Bahnhof im Maßstab 1:160, genauer, um das grandiose Modell des Bahnmitarbeiters Wolfgang Frey. Wobei, dieses Modell ist eigentlich viel mehr als nur eine Modelleisenbahn, es ist ein in dieser Form, Größe und akribischer Planung und Ausführung einzigartiges Stadtmodell, im Grunde ein Kunstwerk, wie Kontext schon 2019 feststellte.
34 Jahre lang hatte Frey an der 190 Quadratmeter großen Anlage sowie einem 1:1-Nachbau der Stelltafel gearbeite. Nach seinem Tod 2012 hatte der Unternehmensberater Rainer Braun die Anlage gemeinsam mit dem Modelleisenbahnclub Herrenberg gerettet, sie in Stuttgart zerlegt und in Herrenberg wieder aufgebaut, "Stellwerk S" nannten sie die Lokalität, in der sie von monatlich bis zu 1.000 Besuchern besichtigt wurde. Nun zieht die Anlage nach rund fünf Jahren wieder zurück nach Stuttgart, und zwar direkt gegenüber dem echten, wegen der S-21-Bauarbeiten zunehmend ramponierten Hauptbahnhof, in Räume des ehemaligen Hindenburgbaus. Diesen Ort hat auch Ferdinand Piëch jr. möglich gemacht, der Eigentümer des Gebäudes, der laut Braun einen fairen Mietpreis angeboten habe.
Am Montag, den 28. März soll die Eröffnung sein, und in den "Miniaturwelten Stuttgart", wie der Ort dann heißen wird, soll es auch tatsächlich mehr zu sehen geben als am früheren Standort: So sind "fast doppelt so viele Strecken in Funktion wie in Herrenberg", sagt Rainer Braun, zudem wird jetzt auch der Nachbau des Nordbahnhofs zu sehen sein, für den in Herrenberg kein Platz war. Und klar, das Ganze wird auch etwas für NostalgikerInnen sein, denn die Anlage dokumentiert einen Stand der Schienenwege und umgebenden Viertel in Stuttgart von Mitte der 1990er, als sogar der alte Güterbahnhof noch stand, das spätere A-1-Areal, wo heute die Stadtbibliothek und das Milaneo-Monster stehen.
Endlich zehn Milliarden!
Von Nostalgie eher wenig berührt ist mutmaßlich die Entscheiderebene der Deutschen Bahn AG, es sei denn es geht um das Trauern über frühere Kontostände. Zwei Tage nach der Eröffnung der Miniaturwelten berät der Aufsichtsrat der Bahn am 30. März über monströse Finanzwelten, genauer gesagt darum, den Kostenrahmen für das Mammutprojekt Stuttgart 21 mal wieder zu erhöhen – seit Ende Januar hatten sich Hinweise darauf schnell konkretisiert. Und die letzte offiziell eingeräumte Kostensteigerung liegt schon wieder vier Jahre zurück, damals, Anfang 2018, sprach man über 8,2 Milliarden Euro. Schon 2016 hatte indes das Münchner Planungsbüro Vieregg & Rössler 9,8 Milliarden geschätzt, 2019 taxierte der Bundesrechnungshof die Gesamtkosten auf 9,5 Milliarden, und Ende 2020 wurden Kontext offizielle Bahnunterlagen zugespielt, die von einer weiteren Kostensteigerung um bis zu 1,4 Milliarden Euro kündeten, also auf 9,6 Milliarden. Auf eine Kontext-Anfrage hin hatte die Bahn damals die Echtheit der Unterlagen nicht einmal dementiert, sie jedoch als "theoretischen Szenarien" abgetan, die "zum üblichen Projektmanagement" gehörten. Is' klar.
10 Kommentare verfügbar
Peter Meisel
am 26.03.2022Ich schäme mich für das dumme Volk, das solche…