Eva Graeter lächelt, wie eigentlich immer. Seit dem Sommer 2010 begleitet die Musikerin mit ihrem "Parkorchester Compagnia Sackbahnhof" den Protest gegen Stuttgart 21, am 20. April 2012 auch mal wieder auf der Bühne der Montagsdemo vor dem Rathaus. Graeter singt, allein zum Akkordeon, "In dieser Stadt" von Hildegard Knef. Die erste Strophe ist noch die des Originals, die nächste dann schon umgedichtet mit Bezug zum Schlossgarten, ihre Version endet mit den Zeilen: "Wie scheiße sieht die Stadt jetzt aus, in dieser Stadt war ich mal zu Haus". Das Wort "scheiße" schreit Graeter dabei voller Wut und Bitternis heraus, nicht mehr lächelnd. Und der Applaus legt nahe, dass viele ähnlich empfinden.
Gut zwei Monate zuvor sieht der Teil der Stadt, um den es hier geht, noch fast unwirklich schön aus. Ein weißer Wintertraum, wie er in Stuttgart selten ist. In der ersten Februarhälfte liegt bis in die tiefsten Lagen der Stadt eine Schneedecke, es ist bitterkalt, auch tagsüber mehrere Grade unter Null, und der Mittlere Schlossgarten und seine Baumriesen präsentieren sich noch einmal in einer solchen Pracht, dass der Gedanke schwerfällt, hier könne sich demnächst eine hässliche schlammige Brache ausbreiten.
Am 12. Februar, ein Sonntag, sind besonders viele Menschen im Schlossgarten, scheinen sich von ihm verabschieden zu wollen. Die Sonne strahlt, was das Zeug hält, auf den glitzernden Schnee und die bunten Zelte des Protestcamps, viele kleine Grüppchen stehen verstreut, Bruno Baumann macht Baumführungen. Die macht Baumann, hauptberuflich Gärtner in der Wilhelma und mit seinem Hut voller Buttons zu einer Art Maskottchen des Protests geworden, schon seit eineinhalb Jahren. Aber nun nahen die letzten.
Dass die Räumung des Parks in der Woche vom 13. Februar stattfinden wird, ist seit Anfang Februar bekannt, der genaue Termin sickert etwas später durch. Bis zuletzt haben viele gehofft, dass Räumung und Rodung zumindest vorläufig noch abgesagt beziehungsweise aufgeschoben werden, trotz der Niederlage der Stuttgart-21-GegnerInnen bei der Volksabstimmung im zurückliegenden November.
"Fatales Signal" der Bahn
Ganz unbegründet ist diese Hoffnung nicht. Denn die Bahn ist selbstverschuldet unter Zeitdruck, sie hat viel zu spät Unterlagen beim Eisenbahnbundesamt (Eba) eingereicht, um ein im Oktober 2010 vom Eba erlassenes Fällverbot im Schlossgarten aufheben zu lassen. Erst am 26. Januar erfolgt die Genehmigung des Eba, bis zum 29. Februar darf die Bahn nun fällen.
Doch eigentlich ist das zum jetzigen Zeitpunkt unnötig, viel bauen kann die Bahn momentan gar nicht. Denn der Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) hat im Dezember 2011 die Arbeiten am Grundwassermanagement (GWM) gestoppt, wegen einer rechtswidrigen Planänderung. Und ohne funktionierendes GWM können in diesem Abschnitt keine nennenswerten Bauarbeiten durchgeführt werden. Weswegen am 2. Februar Staatsminister Klaus-Peter Murawski, einer der wenigen grünen S-21-Fans, einen Brief an Bahn-Technikvorstand Volker Kefer schickt: "Sollte im Mittleren Schlossgarten (…) bis Oktober 2012 kein merklicher Baufortschritt stattfinden, hielte die Landesregierung dies für ein fatales Signal. Denn es würde nicht zu Unrecht der Eindruck entstehen, die Deutsche Bahn habe hier ohne sachlichen Grund Fakten schaffen wollen."
Andere Teile der Landesregierung hindert die Wahrscheinlichkeit eines "fatalen Signals" nicht daran, der Bahn weiteres Faktenschaffen zu ermöglichen. Am 5. Februar übergibt das von Nils Schmid (SPD) geführte Finanzministerium, das diesen und viele andere Parks im Land betreut, die Schlossgartenflächen an die Bahn.
Am D-Day steht es 2.500 zu 1.000
Vorbereitet hat sich die Stuttgarter Polizei auf den "D-Day", wie der Tag der Räumung intern heißt, schon lange vorher (Kontext berichtete). Polizeipräsident Thomas Züfle will mit mehreren Tausend Einsatzkräften verhindern, dass es zu einem aus dem Ruder laufenden Einsatz wie am 30. September 2010, dem "Schwarzen Donnerstag", kommt. Im November 2011 geistert die Zahl von 9.000 Beamten durch die Medien, später spricht das Staatsministerium von 5.000. Tatsächlich sind es in den Morgenstunden des 15. Februar laut Polizei-Pressestelle "nur" 2.500 Beamte – und schon damit sind sie den Projektgegnern im Park zahlenmäßig weit überlegen. Sprachlich aufgerüstet hat Züfle vorsorglich wenige Tage zuvor, wittert gegenüber der Presse vermeintliche Aggressionen und betont: "Unsere Beamten werden sich nichts gefallen lassen. Straftaten werden wir nicht hinnehmen und sie konsequent verfolgen."
Am Dienstagabend vor der Räumung scheinen die S-21-GegnerInnen zwischen Trotz und Resignation zu schwanken, aggressive Stimmung sucht man vergebens. Eine Demo gibt es noch am Hauptbahnhof, SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch spricht und der Schriftsteller Heinrich Steinfest hält eine Rede.
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Sybill Constance De Buer
am 15.02.2025Sybill Constance De Buer
Sprecherin "SchwabenstreichBremen/Oldenburg"