Gehen Sie noch regelmäßig auf Montagsdemos?
Ja, regelmäßig. In zehn Jahren kommen da bei mir mindestens 400 bis 450 Demos zusammen.
Welche Montagsdemo haben Sie besonders in Erinnerung?
Da gibt es mehrere. Zum Beispiel, als nach dem 30. September 2010 so viele Künstler und andere Leute aus sozialen Bewegungen zu uns kamen, um uns aufzurichten und Kraft zu geben. Nach der verlorenen Volkabstimmung 2011 war Paul Schobel, der Betriebsseelsorger, mit einer Trostrede bei uns. Er hat uns wirklich beigestanden, uns versucht, neuen Mut zu geben. Schön war auch der Auftritt des ehemaligen Vorstands der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, Benedikt Weibel, der schlicht und klar sagte, dass die Bahn in der Schweiz nur so gut sein könne, weil die Schweiz keine Automobilindustrie hat.
Zeitweise waren bei Montagsdemos Zehntausende Menschen auf der Straße. Eine Zeitlang schien es, als könnte der Protest das Projekt stoppen. Wann war für Sie der Wendepunkt, ab dem es in eine andere Richtung ging?
Das waren mehrere Ereignisse, die die meisten von uns einfach nicht glauben konnten: dass der Nordflügel und der Südflügel des Bahnhofs wirklich abgerissen werden, der Park in wesentlichen Teilen vernichtet wird. Irgendwann, als die Zerstörungen als Vorbereitung zum Bau alle stattgefunden hatten, hat es uns gedämmert, dass das wirklich eine unendliche Geschichte werden wird. Und die Aufgabe für uns jetzt eher darin bestehen wird, als einzige den Verlauf der Baumaßnahmen "kritisch zu begleiten". Zur 350. Montagsdemo gab es von Uli Stübler gestaltete Einladungskarten, auf denen stand: zum 350. Mal - Der wahre Bahnaufsichtsrat.
Rückblickend nach zehn Jahren: Was haben die Montagsdemos für Stuttgart gebracht und was haben Sie persönlich aus ihnen gelernt?
Ich habe gelernt, dass unsere parlamentarische Demokratie nur dazu dient, die Interessen des Kapitals durchzudrücken. Wie es so oft schon früher in Flugblättern linker Organisationen stand: Sie sind Marionetten das Kapitals. Vor zehn Jahren konnte ich so gar nicht glauben, dass derartige Parolen stimmen. Auch bin ich eine aus der Generation, die glaubte, dass man durch den „Marsch durch die Institutionen" Staatshandeln mitgestalten könnte. Am Ende haben sich die Marschierenden alle selbst verändert und sind angepasster Teil der Institutionen geworden. Persönlich brauche ich den Gedankenaustausch und die Grundsatzüberlegungen von Fachleuten wie Verkehrsplanern und Eisenbahnsachverständigen, die auf den Demos immer wieder sprechen. Wir haben alle viel gelernt über guten Eisenbahnverkehr und Verkehrsplanung allgemein.
Würden Sie es heute genauso machen, nochmals mit dem Demonstrieren beginnen?
Mit dem Schwung von damals schon! Nun sind die meisten von uns etwas müder und auch resignierter geworden. Aber im Prinzip sehe ich es schon so wie auch bei den Schülern von Fridays for Future: Das Leben und die Aktion sind die bessere Schule – und auch nicht so langweilig!!!
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Gerhard Pfeifer, Regionalgeschäftsführer des BUND in Stuttgart, erstmals bei der zweiten Montagsdemo (2. November 2009) dabei. Bereits seit Mitte der 1990er Kritiker von S 21.
Wie sind Sie zu Ihrer ersten Montagsdemo gekommen?
Gangolf Stocker, mit dem ich damals im Aktionsbündnis gegen S 21 eng zusammen arbeitete, bat mich, ob der BUND nicht einen Infostand machen könnte. Die Teilnehmerzahl war mit etwa 50 Leuten noch recht überschaubar, wuchs aber in den Folgewochen rasant.
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Blender
am 08.10.2019