Ein zweiter City-Ring ist geplant, für 27.000 Fahrzeuge täglich, hinüber zur Feinstaub-Rekordmessstelle am Neckartor. Aus den Sünden der Nachkriegszeit hat die Stadt nichts gelernt. Ungerührt setzt sie eine Stadtplanung fort, die bereits vor 40 Jahren als verfehlt kritisiert wurde.
Unmittelbar nach dem Krieg begannen die Planungen: Gleich im Sommer 1945 gründete sich an der Technischen Hochschule eine Arbeitsgruppe Stadtplanung und Verkehr. 1947 gab OB Arnulf Klett bei Walther Hoss, dem Leiter der Zentrale für den Aufbau der Stadt Stuttgart (ZAS), einen Generalbebauungsplan in Auftrag. Ein "Verkehrsgerippeplan" war zuerst fertig, erst danach folgte ein Flächennutzungsplan. "Das Expertengremium vertrat die Ansicht, dass der Aufbau in der Innenstadt zuerst vom Standpunkt des Verkehrs erfolgen müsse", schreibt dazu Andreas Brunold, der die Stuttgarter Verkehrs- und Stadtplanung in seiner Doktorarbeit untersucht hat. Dass große Teile der Innenstadt in Trümmern lagen, war den Planern gerade recht. Wo vorher kleinteilige Bebauung war, sah der Verkehrsgerippeplan 32 bis 40 Meter breite Straßenachsen vor.
Bei allen Bemühungen um einen demonstrativen Neuanfang steckt in den Planungen eine beachtliche Kontinuität. Schon die Nationalsozialisten hatten für "Groß-Stuttgart" einen Ring von Hauptverkehrsachsen vorgesehen. Paul Bonatz schlug 1941 sogar vor, eine Art Autobahn längs durch den Schlossgarten zu legen. Als dann nach dem Krieg allerdings das ausgebrannte Kronprinzenpalais einer autobahnähnlichen "Querspange" über die Planie und den Schlossplatz geopfert werden sollte, schrieb er an den Oberbürgermeister: "Hier widerstreben sich städtebauliche Schönheit und Autoverkehr. Soll der Autoverkehr alle Werte umrennen?" Bonatz betont: "Die alten Kulturwerte sind es, die einer Stadt ihren Charakter, ihre Schönheit und ihren Rang geben, nicht die wechselnden Gesichter der Geschäftshäuser. Diese gibt es überall." Das Kronprinzenpalais wurde trotzdem 1963 abgerissen.
Hier kollidierten zwei Auffassungen: Bonatz ging von Theodor Fischers Lehre einer "bildhaften Stadtbaukunst" aus, die gegenüber den Reißbrett-Planungen der Gründerzeit ortstypische Besonderheiten hervorhob. Die Verkehrs- und Stadtplanungen der Nachkriegszeit orientierten sich dagegen an der 1933 verabschiedeten und 1943 publizierten Charta von Athen. Federführend war der Architekt Le Corbusier, dessen Weißenhof-Häuser als Ikonen moderner Baukunst gelten. 1925 veröffentlichte er eine Schrift zum "Städtebau", die vier Jahre später in der deutschen Übersetzung des Stuttgarter Kunsthistorikers Hans Hildebrandt erschien, sowie einen Plan zur Neugestaltung des Pariser Stadtzentrums. Mittelpunkt seiner Planstadt für drei Millionen Einwohner sollte ein 2,4 mal 1,5 Kilometer großer Platz sein, umgeben von 24 identischen Wolkenkratzern. Über der Erdgeschossebene, die für Fußgänger vorgesehen war, sollten der Autoverkehr fließen und Flugzeuge landen, in drei Untergeschossen U-Bahn, Vorortbahnen und Fernbahnen verkehren. Corbusier war nicht zimperlich: "Der Esel geht im Zickzack, döst ein wenig, blöde vor Hitze und zerstreut, geht im Zickzack", schrieb er zu den verwinkelten Gassen von Altstädten. "Schlagadern" - bis zu 120 Meter breite Autobahnen - sollten mitten ins Herz von Paris führen. Zum Vergleich: eine sechsspurige Autobahn misst 36 Meter.
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 26.06.2019Autogerecht ≠ Managergerecht¹
Daimler, Porsche, VW, BMW und… 28. November 2010 Bosse zu Stuttgart 21
"Alles…