Gleich zu Beginn was fürs Gemüt: Lesen Sie unbedingt unsere Schüler:innen-Ausgabe. Zwischen den Jahren ist bekanntlich viel Zeit. Wir versprechen Ihnen, es lohnt sich. Im Sommer und Herbst 2023 haben wir mit Klassenlehrerin Jennifer Kurrle und ihrer 8b der Bismarckschule in Feuerbach eine eigene Kontext-Ausgabe gemacht. "Ach, das schaffen wir doch eh nicht, wir sind ja nicht auf dem Gymnasium", sagte ein Schüler zu Beginn des Projekts. Ja von wegen. Sieben wunderbare Artikel sind herausgekommen, kritisch und aufmüpfig, so, wie Journalismus sein soll. Oder wollten Sie als Achtklässler:in in der Pause eingesperrt sein auf einem langweiligen Schulhof? Wo drumherum das Leben tobt? Nee, so einfach lässt sich das die 8b nicht gefallen und kämpft für ihre Grundrechte. Wir jedenfalls waren begeistert. Mit solchen jungen Menschen kann die Zukunft doch so schlecht nicht werden.
Im Kontext-Jahr hat sich auch abseits der Schulbank einiges getan. Wir sind umgezogen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge raus aus der Hauptstätter Straße, aus den Räumen, in denen Kontext geboren ist und seine Jugend verbrachte. Im zwölften Jahr der eigenen Geschichte haben wir mit unserer Zeitung die Hermannstraße bezogen, zwischen Allianz und Feuersee, wunderschöne Räume. Und mit so viel Platz, dass unsere Praktikantinnen – mit Luise Mösle (hier eine Kostprobe ihres Schaffens) und Nelly Rommel (hier etwas von ihr) durften wir in diesem Jahr zwei tolle junge Frauen bei uns begrüßen – nicht immer Schreibtisch-Hopping machen müssen. Nicht zu vergessen die beiden formidablen Sofas (grau und ozeangrün), denen wir ein neues Zuhause gegeben haben.
Mit unserem Umzug einher ging auch ein Generationenwechsel bei unserer Zeitung. Fünf Jahre hatte Mitgründerin Susanne Stiefel als Chefredakteurin das Ruder in der Hand und hat es nun, rentenbedingt, abgegeben. Die Redaktion wählte Anna Hunger und Gesa von Leesen zu ihren Nachfolgerinnen. Im April haben sie übernommen, dem Monat des deutschen Atomausstiegs. "Ein erstaunliches Phänomen", meinte damals unser Gastautor Axel Mayer, Anti-Atomkraft-Demonstrant der ersten Stunde. "Seit wann setzen sich in 'a rich man's world' die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?"
Gute Frage. Manchmal setzen sich die Kleinen nicht durch, hatten aber recht. Bei Stuttgart 21 ist das beinahe Usus, denn fast alle Probleme, die Bahnhofsgegner:innen vorhergesagt hatten, sind eingetreten. In diesem Jahr vermeldete die Bahn gleich mehrere Kostensteigerungen für dieses Unsinnsprojekt, diesen dicken Klotz am Bein der Landeshauptstadt. Dabei wäre Bahnfahrer:innen in der Region schon geholfen, wenn die Bahn nicht dauernd Verspätung hätte. Immerhin hat es die DB geschafft, eine Sprechanlage an einer Haltestelle zu ersetzen. Kontext war daran nicht ganz unschuldig.
An der Bahn-Front gab es für uns auch sehr Trauriges zu verzeichnen: Im Mai haben wir mit Winfried Wolf nicht nur einen der profundesten Bahnkenner verloren, sondern auch einen langjährigen Mitarbeiter und Freund. Mach es gut, Winnie.
Der Tod und das Leben liegen oft nah beieinander. Und so durften wir 2023 eine Vielzahl toller Menschen kennenlernen, denen unser Respekt gehört. Leute wie Ismail Mutlu aus Geislingen, der, gut vernetzt und voller Energie, Spenden gesammelt hat, nachdem im Februar gewaltige Erdbeben in der Türkei Tausende Menschen in Not hinterließen. Einige Zuversichtliche mutmaßten damals, das würde Präsident Erdoğan zur Präsidentschaftswahl im Mai 2023 das Amt kosten. Dem war nicht so, obwohl viele linke Türk:innen dafür gekämpft haben.
Oder die israelische Palästinenserin Larissa Abdelhadi, Architektin aus Stuttgart, die ausgerechnet am 9. Oktober, kurz nach dem Hamas-Überfall, in Israel erstmals Freundlichkeit von jüdischer Seite erlebte. Auf dem Flughafen in Tel Aviv saß sie gemeinsam mit mehreren ultraorthodoxen Frauen und wartete, alle in Fassungslosigkeit und Angst verbunden. "Warum muss erst etwas so Schreckliches geschehen, damit wir begreifen, dass wir alle verletzlich sind?"
Samir Alicic, der langjährige Betriebsratschef des Stuttgarter Pressehauses, gehört auch in die Riege der Mutigen, die sich gegen Unrecht wehren. Plötzlich stand er vor seinem verschlossenen Büro: Türschloss ausgewechselt. Und erinnern Sie sich noch an den Schlammmönch? Den Kerl, der im Januar einen Polizisten beim Kampf um Lützerath schubste? Unbedingt sehenswert ist das Video, das wir in die Hymne unserer Kolumnistin Elena Wolf eingebettet haben.
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Philipp Horn
am 28.12.2023