KONTEXT:Wochenzeitung
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Das Kontext-Jahr 2023

Hoffnungsvoll und solidarisch

Das Kontext-Jahr 2023: Hoffnungsvoll und solidarisch
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Für die Welt war 2023 nicht erfreulich. Es ist immer noch Krieg in der Ukraine, der Nahostkonflikt tobt schlimmer denn je, im Land ergeht sich die Ampel in politischem Gewurschtel und opfert Klimaziele. Und weil das alles so deprimierend ist, haben wir für diesen Rückblick auch Gutes zusammengetragen.

Gleich zu Beginn was fürs Gemüt: Lesen Sie unbedingt unsere Schüler:innen-Ausgabe. Zwischen den Jahren ist bekanntlich viel Zeit. Wir versprechen Ihnen, es lohnt sich. Im Sommer und Herbst 2023 haben wir mit Klassenlehrerin Jennifer Kurrle und ihrer 8b der Bismarckschule in Feuerbach eine eigene Kontext-Ausgabe gemacht. "Ach, das schaffen wir doch eh nicht, wir sind ja nicht auf dem Gymnasium", sagte ein Schüler zu Beginn des Projekts. Ja von wegen. Sieben wunderbare Artikel sind herausgekommen, kritisch und aufmüpfig, so, wie Journalismus sein soll. Oder wollten Sie als Achtklässler:in in der Pause eingesperrt sein auf einem langweiligen Schulhof? Wo drumherum das Leben tobt? Nee, so einfach lässt sich das die 8b nicht gefallen und kämpft für ihre Grundrechte. Wir jedenfalls waren begeistert. Mit solchen jungen Menschen kann die Zukunft doch so schlecht nicht werden.

Im Kontext-Jahr hat sich auch abseits der Schulbank einiges getan. Wir sind umgezogen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge raus aus der Hauptstätter Straße, aus den Räumen, in denen Kontext geboren ist und seine Jugend verbrachte. Im zwölften Jahr der eigenen Geschichte haben wir mit unserer Zeitung die Hermannstraße bezogen, zwischen Allianz und Feuersee, wunderschöne Räume. Und mit so viel Platz, dass unsere Praktikantinnen – mit Luise Mösle (hier eine Kostprobe ihres Schaffens) und Nelly Rommel (hier etwas von ihr) durften wir in diesem Jahr zwei tolle junge Frauen bei uns begrüßen – nicht immer Schreibtisch-Hopping machen müssen. Nicht zu vergessen die beiden formidablen Sofas (grau und ozeangrün), denen wir ein neues Zuhause gegeben haben.

Mit unserem Umzug einher ging auch ein Generationenwechsel bei unserer Zeitung. Fünf Jahre hatte Mitgründerin Susanne Stiefel als Chefredakteurin das Ruder in der Hand und hat es nun, rentenbedingt, abgegeben. Die Redaktion wählte Anna Hunger und Gesa von Leesen zu ihren Nachfolgerinnen. Im April haben sie übernommen, dem Monat des deutschen Atomausstiegs. "Ein erstaunliches Phänomen", meinte damals unser Gastautor Axel Mayer, Anti-Atomkraft-Demonstrant der ersten Stunde. "Seit wann setzen sich in 'a rich man's world' die Vernunft gegen die Macht, die Nachhaltigkeit gegen die Zerstörung und die Kleinen gegen die Großen durch?"

Gute Frage. Manchmal setzen sich die Kleinen nicht durch, hatten aber recht. Bei Stuttgart 21 ist das beinahe Usus, denn fast alle Probleme, die Bahnhofsgegner:innen vorhergesagt hatten, sind eingetreten. In diesem Jahr vermeldete die Bahn gleich mehrere Kostensteigerungen für dieses Unsinnsprojekt, diesen dicken Klotz am Bein der Landeshauptstadt. Dabei wäre Bahnfahrer:innen in der Region schon geholfen, wenn die Bahn nicht dauernd Verspätung hätte. Immerhin hat es die DB geschafft, eine Sprechanlage an einer Haltestelle zu ersetzen. Kontext war daran nicht ganz unschuldig.

An der Bahn-Front gab es für uns auch sehr Trauriges zu verzeichnen: Im Mai haben wir mit Winfried Wolf nicht nur einen der profundesten Bahnkenner verloren, sondern auch einen langjährigen Mitarbeiter und Freund. Mach es gut, Winnie.

Der Tod und das Leben liegen oft nah beieinander. Und so durften wir 2023 eine Vielzahl toller Menschen kennenlernen, denen unser Respekt gehört. Leute wie Ismail Mutlu aus Geislingen, der, gut vernetzt und voller Energie, Spenden gesammelt hat, nachdem im Februar gewaltige Erdbeben in der Türkei Tausende Menschen in Not hinterließen. Einige Zuversichtliche mutmaßten damals, das würde Präsident Erdoğan zur Präsidentschaftswahl im Mai 2023 das Amt kosten. Dem war nicht so, obwohl viele linke Türk:innen dafür gekämpft haben.

Oder die israelische Palästinenserin Larissa Abdelhadi, Architektin aus Stuttgart, die ausgerechnet am 9. Oktober, kurz nach dem Hamas-Überfall, in Israel erstmals Freundlichkeit von jüdischer Seite erlebte. Auf dem Flughafen in Tel Aviv saß sie gemeinsam mit mehreren ultraorthodoxen Frauen und wartete, alle in Fassungslosigkeit und Angst verbunden. "Warum muss erst etwas so Schreckliches geschehen, damit wir begreifen, dass wir alle verletzlich sind?"

Samir Alicic, der langjährige Betriebsratschef des Stuttgarter Pressehauses, gehört auch in die Riege der Mutigen, die sich gegen Unrecht wehren. Plötzlich stand er vor seinem verschlossenen Büro: Türschloss ausgewechselt. Und erinnern Sie sich noch an den Schlammmönch? Den Kerl, der im Januar einen Polizisten beim Kampf um Lützerath schubste? Unbedingt sehenswert ist das Video, das wir in die Hymne unserer Kolumnistin Elena Wolf eingebettet haben.

Kontext hatte 2023 einige wirklich große Erfolge zu verzeichnen: Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass wir in diesem Jahr in aller Munde waren. Zumindest in aller Webauftritt. Denn nahezu jede einzelne Zeitung, egal ob groß oder klein, lokal oder überregional, hat Susanne Stiefels Interview mit Christine Prayon, der Kabarettistin, die nicht mehr in der "Heute-Show" auftreten mag, zitiert und diskutiert. Von "Spiegel" bis – wir haben gestaunt – "Bunte"! Kaum ein anderer unserer Texte hatte jemals einen derartigen Impact.

Ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit bekam auch unser Rechtsstreit mit einem Neonazi, den wir seit 2018 ausfechten. Die Redaktion von Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" interessierte sich für unseren Fall und zack – waren wir im Fernsehen! Mittlerweile haben die Sendung und damit unser Logo groß neben "Böhmi" 1,3 Millionen Menschen gesehen. Und nicht nur das: Wir waren in derselben Sendung wie Günter Wallraff! Der Mann, der sich bei "Bild" eingeschlichen hat, Ikone ungezählter Kolleg:innen seit Jahrzehnten. Per Mail erreichten uns denn auch folgende Worte: "Ich darf mich geehrt fühlen, dass wir an diesem Tag Seit an Seit standen. Solidarische und herzliche Grüße aus Köln, Günter Wallraff". Das geht doch runter wie Öl.

Vor Gericht werden wir auch 2024 wieder sein. Gegen den Neonazi auf alle Fälle. Und vielleicht auch gegen Andreas Renner, den mittlerweile suspendierten Inspekteur der Polizei, der keinesfalls "Geschlechtsteil + Berufsbezeichnung" genannt werden möchte und uns unter anderem diesen Begriff gerichtlich hat untersagen lassen.

In beiden Fällen hätten wir ohne Sie ganz schön alt ausgesehen. Ohne die bemerkenswert große Unterstützung mit Spenden hätten wir gegen den Neonazi nicht einmal die erste Runde vor Gericht stemmen können. Gegen Renner hätten wir sofort die Segel streichen müssen. Allen unseren Spender:innen gebührt ein herzlicher Dank!

Natürlich schreiben wir nicht nur Verfängliches. Wir haben 2023 auch über Moore berichtet, die von der Schlammbad-Industrie ausgebeutet werden. Über den Zollbeamten, der die Adresse eines unserer Autoren an einen Neonazi weitergab. Über die Gröner-Group, eine undurchsichtige Immobilienfirma, deren ambitionierte Karlsruher Bauprojekte nach der Benko-Pleite auf Eis liegen. Über Hubert Aiwanger, der einen Sammelbrief an einen Rechtsextremisten unterschrieben hat. Ja, kann passieren bei Sammelbriefen, die Frage ist aber doch: Wie kam die Adresse des langjährigen NPD-Landesvorsitzenden Jürgen Schützinger überhaupt in den Verteiler der Freien Wähler?

Wir schrieben über Öko-Häuser und Mut-Muskeln. Über den weiteren Niedergang des Journalismus. Über die Grünen, die Schwarzen, die SPD, die Linke, die Wagenknecht-Ausscherer:innen und die Rechtsradikalen der AfD im Land. Die AfD, man könnte sie verbieten, ist sich Gastautor Rezzo Schlauch sicher. Vor allem die Rechtsextremen der AfD werden uns auch im kommenden Jahr herausfordern, bei drei Landtagswahlen im Osten, der Kommunal- und der Europa-Wahl. Also gilt es, Kräfte zu bündeln, auch in der Zivilgesellschaft. Unser Kolumnist Joe Bauer hat da mal was vorbereitet.

Damit wünschen wir Ihnen einen gelungenen Start ins Jahr 2024. Bleiben Sie gesund, trotz allem gut gelaunt und solidarisch.

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1 Kommentar verfügbar

  • Philipp Horn
    am 28.12.2023
    Antworten
    Danke für Euer Arbeit & ein erfolgreiches Jahr 2024
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