Die Gesellschaft: Grob gesagt dürfte als allgemein gültig durchgehen, dass sie gespalten ist. Zunächst mal, ganz platt, in Arm und Reich, wobei diese Kluft immer größer und der Prozess der Spaltung beschleunigt wird. Politisch betrachtet, ist sie bei den großen Parteien nur noch zu kleineren Teilen zuhause; Bindungskräfte entfalten Klientelparteien, die kein Tempolimit oder Klimakleber in den Knast stecken wollen. Alice Weidel lässt grüßen. Soziologisch betrachtet, driften die sozialen Gruppen weiter auseinander, auch getrieben durch die sogenannten sozialen Medien, die mit ihrer Blasenwirtschaft die Unübersichtlichkeit der Welt befeuern. Und die Sozialpsycholog:innen erzählen die Geschichte vom "Othering", die eigentlich nichts anderes meint, als dass das Andere ausgegrenzt wird, um das Eigene zu schützen. Aber Achtung, das könnte ernstgemeinte Kapitalismuskritik sein, und damit ist man raus aus dem Spiel, glaubt Prayon. Falsch, entgegnet Max Uthoff von der "Anstalt", denn genau das sei ihr Programm. Siehe dazu den Kasten.
"Geh nicht" schreibt die SZ
Landauf, landab druckten die Redaktionen Prayons Botschaft, versehen mit der Überschrift, die ZDF-Kabarettistin rechne mit der "heute-show" ab. Das kann man so sehen, wenn dem Gesetz der Aufmerksamkeitsökonomie (Klick!), welches die Zuspitzung erfordert, Folge geleistet wird.
Christine Prayons Anliegen war freilich ein anderes: Sie wünscht sich einen offenen Diskurs. Sie will keine Angst haben müssen, sofort als Schwurblerin in die rechte Ecke gestellt zu werden, wenn sie einen "obskuren Kanal" anklickt, wenn sie auch noch dem zuhört, "der für das Letzte gehalten wird".
Verständnis findet sie bei der "Süddeutschen Zeitung" (SZ). Ihre Autor:innen, Oliver Hochkeppel und Susan Vahabzadeh, haben das ganze Interview gelesen und sehen den "wunden Punkt", den die Künstlerin trifft. Die fehlende Meinungsvielfalt, die Lücken beim kritischen Denken, die auch beim Publikum bleiben, und sie erinnern an den öffentlichen Auftrag, der eben diese Vielfalt von ARD und ZDF verlangt. Ihr Text trägt die Überschrift "Geh nicht" und den Untertitel "Christine Prayon hört bei der 'Heute-Show' auf. Aus guten Gründen". Das ist kundig und klug. Arno Frank vom "Spiegel" schreibt, ihr Schritt sei "honorig", ihre Kritik "bedenkenswert".
Verständnis, bis hin zur Bewunderung, äußern auch die Rechten – bei unterschiedlicher Motivlage. AfD-Abgeordnete rufen sogleich zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf. Julian Reichelt, der frühere Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und heutige Rechtsaußen-Blogger ("Achtung Reichelt") feiert die linke Kabarettistin als "Heldin".
In "Tichys Einblick" wird ihr mehrfach "Respekt" gezollt, nicht ohne den Hinweis, dass sie das von ihr Gesagte schon seit Jahren schreiben, aber egal und empathisch, es bleibe ein Einkommensverlust in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Schließlich müssten Miete, der Pizzaservice und der Zahnarzt bezahlt werden. Das klingt, als hätten sie Mitleid, und doch sind sie nur Büchsenspanner, die Patronen im Lauf brauchen, um auf ARD und ZDF zu schießen.
Sprich nicht mit den Schmuddelkindern
Nun wird ja gerne davor gewarnt, Aussagen zu machen, die auch der politische Gegner machen beziehungsweise nutzen könnte, um seine Argumente glaubhafter erscheinen zu lassen. So raten auch gescheite Leute zur Abstinenz wegen des Risikos der Instrumentalisierung und halten Prayon vor, genau gewusst zu haben, was rechtskonservative Onlineportale und Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks daraus stricken. Sie lasse semantische Leerstellen zurück, heißt es düster, die jetzt von Rechtspopulisten mit ihrer Agenda geflutet würden. Nachzulesen sind die kritischen Stimmen, neben lobenden, im "Altpapier", dem Medien-Watchblog des Mitteldeutschen Rundfunks. Sie lassen den Schluss zu, dass eine Unterlassung klüger wäre.
11 Kommentare verfügbar
wallywhoo
am 08.07.2023Verstehe die Aufregung bzgl. Böhmermann nicht wirklich. Die gezeigten Mittelfinger beziehen sich m. W. nach auf die zuvor genannten Wrihnachtsmärkte/Christkindls und das Virus. Die kämen, ob einer dran glaube oder nicht.