Der Vorgang ist inzwischen auch in München angekommen – bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), der großen Mutter, zu deren Reich die Stuttgarter Zeitungsgruppe gehört. In Harald Pürzel steht hier ein Mann dem Konzernbetriebsrat (KBR) seit 2007 vor, der den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit noch definieren kann, viele "Grobheiten" erlebt und überstanden hat. Aber das? Einfach ein Türschloss auswechseln, um einen ungeliebten Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden? Er hat 34 Jahre Gremienarbeit hinter sich, aber das kennt er nicht.
Pürzel fragt sich, wie "gaga" die selbsternannten "Geistesgrößen" sein müssen, wenn sie glaubten, sie könnten damit einen Samir Alicic weichkochen? Intellektuell geradezu unwürdig sei es, anzunehmen, sie könnten ihn damit "übertölpeln". Als wären sie im Sandkasten, die Schäufele in der Hand. Bevor er sich richtig aufregt, schickt er eine Mail an die Geschäftsführer Dachs und Degen, in denen er sie auffordert, seinem Kollegen unverzüglich wieder die Tür zu öffnen, und er belehrt sie, dass sie eine Straftat begangen haben: eben die Behinderung der Betriebsratsarbeit. Den nächsten juristischen Streit behält er sich vor.
In München wird Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt
Nun ist es nicht so, dass derlei Perfides den Stuttgarter Verlagsmanagern vorbehalten blieben. Seit SWMH-CEO Christian Wegner in München regiert, also seit fünf Jahren, gehört es auch beim ehrwürdigen Süddeutschen Verlag ("Süddeutsche Zeitung") zum Arsenal der Grausamkeiten.
Geholzt wird im Verlagsbereich, in dem sogenannte Versetzungsschreiben die Runde machen, ausgesandt mit der Weihnachtspost 2022. Darin werden Beschäftigte angewiesen, künftig ihren Arbeitsplatz an einem anderen SWMH-Standort anzutreten, wenn die Firma befindet, dass sie dort gebraucht werden. Das könnte sich zu einem regen Pendelverkehr zwischen München, Stuttgart, Landsberg und Hof entwickeln, ist rechtlich umstritten, aber auf jeden Fall rechtswidrig, wenn in einem bestehenden Vertrag der Arbeitsort fixiert ist.
Aktuell betroffen sind die Buchhaltungen und dort die langjährigen, rentennahen Fachkräfte, wie im Betriebsrats-Info des Süddeutschen Verlags nachzulesen ist. "Wir reden hier von Kolleginnen, die Jahrzehnte sehr gute und wertvolle Arbeit geleistet haben", schreibt der Vorsitzende Jens Ehrlinger und fragt: "Warum geht man so mit Menschen um?"
Kurz vor der Rente ab nach Stuttgart
Besonders krass ist der Fall einer 61-jährigen Buchhalterin, den Harald Pürzel schildert. Seit Mai fährt sie zweimal in der Woche von einem Münchner Vorort nach Stuttgart – mit dem Auto zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück, wenn's gut geht. Mit dem Zug wären es mindestens drei Stunden. In ihrem Vertrag steht München als Arbeitsort.
Im Möhringer Pressehaus tut sie nun genau das, was sie in München getan hat: die Honorare der Süddeutschen abrechnen, zusätzlich noch jene der Kleinverlage innerhalb der Stuttgarter Zeitungsgruppe. Das hätte sie, ohne Not, genauso an ihrem angestammten Arbeitsplatz erledigen können, was aber nicht ging, weil die Münchner Honorarabteilung unbedingt aufgelöst werden musste.
Die Kollegin gehört dem Verlag seit 36 Jahren an, die SZ-Chefredaktion hat sich für sie eingesetzt, KBR-Chef Pürzel ist eigens bei Big Boss Wegner vorstellig geworden. Ohne Erfolg. Der promovierte Betriebswirt, der vom Kommerzsender Pro Sieben gekommen war, habe ihm deutlich gemacht, sagt Pürzel, dass ihn das nicht interessiere – "völlig schmerzfrei".
Seitdem denkt er verstärkt darüber nach, was eigentlich dahinter steckt. Dass die Über-Land-Verschickung nur eine schlecht getarnte Kündigung ist und moralisch verwerflich, das liegt auf der Hand. Aber was ist, wenn selbst BWL-Kriterien nicht zählen, wenn es wirtschaftlicher gewesen wäre, die Mitarbeiterin in drei Jahren in Rente gehen zu lassen, was sie vorhatte?
Ist es die Unfähigkeit, mitmenschlich zu denken, die Lust am Quälen, die Angst vor dem Gesichtsverlust, wenn ein Fehler korrigiert wird, oder geht es nur um das eigene Geld? Für Pürzel ist es das einzige Motiv, das er nachvollziehen kann. Es ist der Bonus, den ein Topmanager kriegt, wenn er seine von Eigentümern und Banken diktierte Zielvorgaben erreicht. Je dünner die Belegschaft, desto fetter der Bonus.
7 Kommentare verfügbar
fragender Arbeiter
am 12.06.2023Das sind alles…