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Perfide Spiele in der SWMH

"Geht man so mit Menschen um?"

Perfide Spiele in der SWMH: "Geht man so mit Menschen um?"
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Das Stuttgarter Pressehaus verschärft den Streit mit seinem langjährigen Betriebsratschef. Über Nacht wird das Türschloss seines Büros ausgewechselt. Samir Alicic reagiert mit einer Strafanzeige gegen die Geschäftsführung. In München werden getarnte Kündigungen verschickt.

34 Jahre und elf Monate ist Samir Alicic ins Stuttgarter Pressehaus gefahren. Er ist einer von denen, die mit ihrer Firma verheiratet sind, Tag und Nacht im Einsatz, und nie auf die Uhr schauen. Das ist bis zum 1. Juni diesen Jahres so. An diesem Tag kommt er später. Erst um 10:30 Uhr. Eigentlich ist er gekündigt und krankgeschrieben, trotzdem ist er da, weil ihm die Schließung des Druckhauses an der Plieninger Straße 150 keine Ruhe lässt.

Hier ist sein zweiter Wohnsitz, wenn nicht sein erster. Die Geschäftsleitung würde wahrscheinlich entgegnen: Hier war er. Sie hat ihn zum 1. April dichtgemacht. Zu alt, zu teuer, zu ineffizient, wird begründet, gedruckt wird nur noch in Esslingen bei der MHS Print, die raus ist aus dem Tarif. "Offiziell", sagt der Betriebsratschef, war der 31. Mai sein letzter Arbeitstag. Mit "offiziell" meint er seine Kündigung und jene aller Kollegen, die vor der Wahl standen, sich abfinden zu lassen oder in Esslingen neu anzufangen – so ihre Bewerbung erfolgreich war.

Wie berichtet, wollte Alicic weder Geld noch eine Bewerbung schreiben. Mit Hilfe der Gewerkschaft Verdi klagt er auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen, im Notfall bis zum Europäischen Gerichtshof, und weil das dauern kann, amtiert er seinem Verständnis nach weiter. Sehr zum Verdruss der Geschäftsleitung, für die er längst zur Persona non grata geworden ist.

Ohne Vorwarnung ausgesperrt – das ist neu

An diesem Ersten im Juni will Alicic an seinen Rechner, um zu sehen, wie die Schichten seiner Kollegen gelaufen sind. Sie würden sich kaputtmachen, fürchtet er. Doch die Tür zum Büro ist zu, das Schloss ist ausgewechselt, der Betriebsratschef ist entgeistert. Am Empfang wird ihm mitgeteilt, er sei kein Mitarbeiter mehr und erhalte keinen Zutritt. Sollte er noch Unterlagen abholen wollen, werde er vom Facility Management begleitet.

Seit 2005 hat der gebürtige Bosnier dieses Amt und vieles erlebt, aber einfach ausgesperrt zu werden, ohne Vorwarnung, das hat er bis dahin nicht für möglich gehalten. "Wer so etwas macht", sagt er, "macht mich zum Berserker". Jene, die er dafür verantwortlich macht, sind für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Die Geschäftsführer Herbert Dachs (Medienholding Süd) und Johannes Degen (MHS Print) seien im Urlaub, lässt ein Sprecher Kontext wissen.

Wenn Alicic, der Dickschädel, den Berserker bringt, ist das eine Drohung. Der 56-Jährige ist kein Betriebsrat fürs Co-Management, nicht käuflich und ein Kämpfer. Als erstes stellt er bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen Dachs und Degen. Sie lautet auf Behinderung der Betriebsratsarbeit und kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden. Als zweites folgt ein Antrag auf Einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht, die einen sofortigen und ungehinderten Zugang zu seinem Büro verlangt.

Danach erzählt er, wie es den Kollegen in Esslingen geht, wo sie unter offenbar abenteuerlichen Bedingungen arbeiten: Eine auf ein Drittel zusammengesparte Belegschaft versucht, auf einem Drittel der bisherigen Maschinen die Zeitungen zu produzieren, im "Dauerstress" von bis zu 12-Stunden-Schichten. Essen gibt es aus Automaten.

Es gibt Zeiten, da kommt die Zeitung nicht

Das Ergebnis lässt sich auch im internen Mailverkehr nachlesen, in dem der Chef vom Dienst der Stuttgarter Zeitungsnachrichten (StZN) eine "schwere Störung" meldet und akkurat auflistet, welche Organe am 3. Mai nicht erschienen sind. Es waren derer sechs: von der "Cannstatter Zeitung" bis zur "Leonberger Kreiszeitung" sowie die Fernausgabe der "Stuttgarter Nachrichten". Von Aktualität redet in der Redaktion schon lange niemand mehr, durch die Vorverlegung im Redaktions- und Druckbereich schafft es die Champions League gerade noch in die Stadtausgabe. Nicht funktioniert hat auch der Plan, in solchen Notfällen die Stuttgarter Rotation wieder anzuwerfen. Sie hatte "technische Probleme".

Was immer klappt, ist die Zerknirschung des Managements ("Wir bitten Sie, den Fehler zu entschuldigen"), versehen mit dem Verweis auf das E-Paper, das an diesem Tag kostenlos zu lesen sei.

Vor diesem Hintergrund ist die Jubel-Beilage vom 27. Mai ein echtes Highlight. Unter der Überschrift "Qualitätsjournalismus steht an erster Stelle" feiert das Pressehaus die Renovierung des Druckzentrums in Esslingen. Hier sei "Unglaubliches in kürzester Zeit" geleistet worden, lobt Führungskraft Degen überschwänglich, was in Anbetracht der verbliebenen Restmannschaft nicht falsch ist.

Und wieder wird der Qualitätsjournalismus gepriesen

Sein Kollege Dachs will die gedruckte Zeitung sogar "neu erfinden", wobei es sein Geheimnis bleibt, wie er das bewerkstelligen will. Fest steht für ihn aber, dass sie Informationen "auf hohem Niveau" von Washington bis Esslingen bieten muss. Dazu noch die Haptik, also das Rascheln am Frühstückstisch, und "Print ist unschlagbar". Und weil das alles so super ist, fand sich die Beilage in der "Stuttgarter Zeitung" gleich in zweifacher Ausfertigung wieder.

Samir Alicic glaubt, und damit ist er nicht alleine, an keine dieser Verheißungen. Seit nunmehr 15 Jahren sieht er Inhalte und Auflage im Sturzflug, unterstellt er die Absicht, die gedruckte Zeitung so weit "runter zu rocken", dass der Kundschaft nur noch das Dasein im Digitalen bleibt, und dass sie darauf vorbereitet wird. Mit möglichst vielen Berichten aus der Welt des Weins, des Eros und des schöner Wohnens. Der Satz "lügen wie gedruckt" gewinne so eine neue Bedeutung, sagt Alicic.

Der Vorgang ist inzwischen auch in München angekommen – bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), der großen Mutter, zu deren Reich die Stuttgarter Zeitungsgruppe gehört. In Harald Pürzel steht hier ein Mann dem Konzernbetriebsrat (KBR) seit 2007 vor, der den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit noch definieren kann, viele "Grobheiten" erlebt und überstanden hat. Aber das? Einfach ein Türschloss auswechseln, um einen ungeliebten Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden? Er hat 34 Jahre Gremienarbeit hinter sich, aber das kennt er nicht.

Pürzel fragt sich, wie "gaga" die selbsternannten "Geistesgrößen" sein müssen, wenn sie glaubten, sie könnten damit einen Samir Alicic weichkochen? Intellektuell geradezu unwürdig sei es, anzunehmen, sie könnten ihn damit "übertölpeln". Als wären sie im Sandkasten, die Schäufele in der Hand. Bevor er sich richtig aufregt, schickt er eine Mail an die Geschäftsführer Dachs und Degen, in denen er sie auffordert, seinem Kollegen unverzüglich wieder die Tür zu öffnen, und er belehrt sie, dass sie eine Straftat begangen haben: eben die Behinderung der Betriebsratsarbeit. Den nächsten juristischen Streit behält er sich vor.

In München wird Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt

Nun ist es nicht so, dass derlei Perfides den Stuttgarter Verlagsmanagern vorbehalten blieben. Seit SWMH-CEO Christian Wegner in München regiert, also seit fünf Jahren, gehört es auch beim ehrwürdigen Süddeutschen Verlag ("Süddeutsche Zeitung") zum Arsenal der Grausamkeiten.

Geholzt wird im Verlagsbereich, in dem sogenannte Versetzungsschreiben die Runde machen, ausgesandt mit der Weihnachtspost 2022. Darin werden Beschäftigte angewiesen, künftig ihren Arbeitsplatz an einem anderen SWMH-Standort anzutreten, wenn die Firma befindet, dass sie dort gebraucht werden. Das könnte sich zu einem regen Pendelverkehr zwischen München, Stuttgart, Landsberg und Hof entwickeln, ist rechtlich umstritten, aber auf jeden Fall rechtswidrig, wenn in einem bestehenden Vertrag der Arbeitsort fixiert ist.

Aktuell betroffen sind die Buchhaltungen und dort die langjährigen, rentennahen Fachkräfte, wie im Betriebsrats-Info des Süddeutschen Verlags nachzulesen ist. "Wir reden hier von Kolleginnen, die Jahrzehnte sehr gute und wertvolle Arbeit geleistet haben", schreibt der Vorsitzende Jens Ehrlinger und fragt: "Warum geht man so mit Menschen um?"

Kurz vor der Rente ab nach Stuttgart

Besonders krass ist der Fall einer 61-jährigen Buchhalterin, den Harald Pürzel schildert. Seit Mai fährt sie zweimal in der Woche von einem Münchner Vorort nach Stuttgart – mit dem Auto zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück, wenn's gut geht. Mit dem Zug wären es mindestens drei Stunden. In ihrem Vertrag steht München als Arbeitsort.

Im Möhringer Pressehaus tut sie nun genau das, was sie in München getan hat: die Honorare der Süddeutschen abrechnen, zusätzlich noch jene der Kleinverlage innerhalb der Stuttgarter Zeitungsgruppe. Das hätte sie, ohne Not, genauso an ihrem angestammten Arbeitsplatz erledigen können, was aber nicht ging, weil die Münchner Honorarabteilung unbedingt aufgelöst werden musste.

Die Kollegin gehört dem Verlag seit 36 Jahren an, die SZ-Chefredaktion hat sich für sie eingesetzt, KBR-Chef Pürzel ist eigens bei Big Boss Wegner vorstellig geworden. Ohne Erfolg. Der promovierte Betriebswirt, der vom Kommerzsender Pro Sieben gekommen war, habe ihm deutlich gemacht, sagt Pürzel, dass ihn das nicht interessiere – "völlig schmerzfrei".

Seitdem denkt er verstärkt darüber nach, was eigentlich dahinter steckt. Dass die Über-Land-Verschickung nur eine schlecht getarnte Kündigung ist und moralisch verwerflich, das liegt auf der Hand. Aber was ist, wenn selbst BWL-Kriterien nicht zählen, wenn es wirtschaftlicher gewesen wäre, die Mitarbeiterin in drei Jahren in Rente gehen zu lassen, was sie vorhatte?

Ist es die Unfähigkeit, mitmenschlich zu denken, die Lust am Quälen, die Angst vor dem Gesichtsverlust, wenn ein Fehler korrigiert wird, oder geht es nur um das eigene Geld? Für Pürzel ist es das einzige Motiv, das er nachvollziehen kann. Es ist der Bonus, den ein Topmanager kriegt, wenn er seine von Eigentümern und Banken diktierte Zielvorgaben erreicht. Je dünner die Belegschaft, desto fetter der Bonus.


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7 Kommentare verfügbar

  • fragender Arbeiter
    am 12.06.2023
    Antworten
    "Doch von den Gewerkschaften hört man zu diesem Problem höchst selten eine allzu laute Stimme"."Mich regt die Tatsache auf, dass sich niemand aufregt.""Das online-Abo der StZ kündigen""Qualitätsjournalismus" braucht sowieso kein Mensch mehr." "Stuttgarter Zeitung-was ist das?"
    Das sind alles…
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