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Eher störend

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Armut – ein ganz wichtiges Thema, finden die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat. Und es sei sehr gut, dass Kontext sich damit beschäftige. Allzeit bereit! Das Lob kam in Form einer Antwort auf die Kontextanfrage, was denn die Stadträtinnen und Stadträte der Landeshauptstadt politisch, aber auch persönlich für die Stuttgarter Tafelläden tun. Angeregt hatte die Idee unser Leser Gerhard Manthey in seinem Kommentar zu der Reportage von Franziska Mayr, "Symbol der Armut", und wir dachten: gute Idee. Also wurden entsprechende Mails verschickt. Die Hälfte der acht Fraktionen hat geantwortet (leider nicht die SPD, die FrAktion, FDP, AfD), und zwar mehr oder weniger ähnlich.

CDU, Freie Wähler, Grüne betonen, wie wichtig das Thema Armutsbekämpfung in der Stadt sei, verweisen auf allerlei Anträge. Beispielsweise dass die Stadt der innerstädtischen Tafel helfen soll, neue Flächen zu finden. CDU-Fraktionschef Alexander Kotz: "Glücklicherweise kann es sich unsere Stadt ja auch leisten, finanziell schwach aufgestellte Menschen besser zu stellen." Wohl wahr. 2021 konnte Stuttgart über 259 Millionen Euro Überschuss verzeichnen.

Für die Grünen steht die Bekämpfung von Armut "ganz oben auf unserer politischen Agenda" und sie freuen sich, dass die Bonuscard, die aktuell etwa 65.000 Stuttgarter:innen nutzen, stetig weiter ausgebaut werde. Und die Freien Wähler kündigen für die kommenden Haushaltsplanungen Anti-Armut-Anträge an.

Wenn sich große Fraktionen so einig sind im Kampf gegen die Armut, stellt sich die Frage, warum die Zahl der Armen in der Stadt dennoch seit Jahren steigt. Mittlerweile seien mehr als 110.000 Stuttgarter:innen berechtigt, eine Bonuscard zu nutzen, schreibt die Fraktionsgemeinschaft Puls. Ein Beleg, "dass in den vergangenen Krisenjahren eine Umverteilung von Ressourcen zugunsten wohlhabender Personen stattgefunden hat". Von privat betriebenen Tafelläden hält sie nicht viel. "Schutz vor Armut ist eine staatliche Aufgabe", schreibt die Fraktionsvorsitzende Verena Hübsch und ignoriert die Frage nach privatem Engagement der Stadträt:innen in den Tafelläden.

Die anderen drei sind nicht so grundsätzlich unterwegs, betonen aber, Spenden sei ebenso wie Mitarbeit Privatangelegenheit jeder und jedes Einzelnen. Eine wichtige Überlegung führen die Freien Wähler an: Angesichts der eingespielten Abläufe bei der Tafel "kann es sein, dass die gutgemeinte Mitarbeit eher störend wirkt".

Denn bekanntlich ist gut gemeint nicht automatisch gut gemacht. Zum Beispiel wird niemand Landeswohnbauministerin Nicole Razavi (CDU) absprechen, dass sie viel mehr Wohnungen bauen will. Aber naja, das Ergebnis ist bislang überschaubar, wie im Interview mit ihr zu lesen ist. Weder gut gemeint noch gut gemacht ist dagegen der Angriff von Razavis Partei auf das Grundrecht auf Asyl. Vielmehr beglückt die CDU so mal wieder die echten Rechtsaußen, auch wenn Friedrich Merz ja die Ursache für die guten Umfragewerte für die AfD woanders sieht. Er glaubt oder sagt zumindest: "Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar Hundert Stimmen mehr zur AfD."

Wir sind keine Nachrichtensendung, sondern eine Zeitung und überzeugt davon, dass unsere Leser:innen zu denen gehören, die nachdenken. Die wissen, dass Sprache den Geist beeinflusst. Und die Geistin.


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1 Kommentar verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 10.06.2023
    Antworten
    Muss Stuttgart den Bodenseekreis sozialpolitisch eingemeinden? Aus sozialen Gründen unbedingt. Die Stuttgarter Bonuscard+Kultur muss künftig landesweit für alle Städte, Kreise und Gemeinden gelten. Armut innerhalb der Landesgrenze ist nicht teilbar und eine Bonuscard nur für Stuttgart das höchste…
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