Nun ist das mit der "Haltung" so eine Sache. Man muss aufpassen, dass man als Friedensfreund:in im "Spiegel" nicht zum "Lumpen-Pazifismus" gezählt wird, oder als Netanjahu-Kritiker:in im Sumpf des Antisemitismus landet. Da ist es hilfreich, ein paar Leitplanken zu haben. Stephan Hebel, ein Urgestein der "Rundschau", zieht sie entlang sozialer Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde, Minderheitenrechte und Gewaltfreiheit, für die es einzutreten gelte. Und in der Tat, das Blatt hält sich im Wesentlichen daran und sieht sich dadurch oft dem Vorwurf ausgesetzt, altbacken zu sein. Im redaktionellen Teil.
Die ökonomische Seite ist weniger wertebasiert. Oder um es deutlicher zu sagen: Die "Frankfurter Rundschau" ist ein Fass ohne Boden, egal, welcher Verleger regiert. Mehr dazu im Kasten "Die ewige Krise".
Seit 2018 ist der Münchner Ippen-Verlag am Ruder. Er besitzt Dutzende von Heimat- und Regionalzeitungen, vom "Fehmarnschen Tageblatt" bis zum "Münchner Merkur", ist so zur viertgrößten Mediengruppe in der Republik aufgestiegen und hat den Verleger zu einem wohlhabenden Mann gemacht: Dirk Ippen, 83, wird unter den 500 reichsten Deutschen rubriziert. Geschätztes Vermögen: 550 Millionen Euro. Zuletzt bekannt geworden durch die Zensur seines eigenen Rechercheteams "Ippen-Investigativ", das den Machtmissbrauch des "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt gegenüber Frauen offengelegt hatte. Der stramme Konservative unterband die Berichterstattung, weil er dem Springer-Verlag "wirtschaftlich nicht schaden" wollte.
Warum nur kauft Ippen ein linksliberales Blatt?
Dass ausgerechnet er die linksliberale "Rundschau" kaufen sollte, verwunderte doch sehr. Als Kolumnist ("Wie ich es sehe") in den eigenen Blättern, ausgenommen die FR, lässt er selten eine Gelegenheit aus, gegen alles zu wettern, was ihm seine freie Marktwirtschaft zu stören scheint. Die SPD, die Grünen, die Gewerkschaften, die immer weniger Mitglieder haben, weil die Menschen "nicht abhängig", sondern von ihren Arbeitgebern "geschätzt" seien. Kein Wunder, dass der bayrische Ministerpräsident im Ippen-Reich gerne gesehen ist, und Markus Söder gerne kommt. Selbst "widerborstige Redakteure springen auf", lobt der CSU-Politiker, wenn der Verleger den Raum betritt.
In Frankfurt stehen sie eher auf der Straße und halten Schilder hoch. "Haltung zählt auch beim Gehalt", ist zu lesen, "Gerechte Löhne bei der FR? Leider Fake News", oder "Nicht mal Geld für Kippen Herr Ippen". Die Beschäftigten, gerade noch 80 in der Redaktion, wehren sich zu großen Teilen, weil sich FR-Geschäftsführer Max Rempel seit Monaten weigert, einen Haustarifvertrag abzuschließen. Er hält sein Stufenmodell für ausreichend: 3.400 Euro zum Einstieg, nach zwölf Jahren maximal 4.100. Ende. Das Geld müsse erstmal erwirtschaftet werden, begründet er, "dieses Bewusstsein vermisse ich hier". Der Flächentarif liegt bis zu 1.400 Euro höher. Würde er ihn anwenden, warnt Rempel intern, würden 40 Prozent der Jobs verloren gehen. Derlei Drohungen, verlautet aus Gewerkschaftskreisen, seien an der Tagesordnung. Ebenso die Selbstausbeutung.
Mit Rempel zu verhandeln, sei keine Freude, sagt ein Betriebsrat, der ungenannt bleiben will. Die Forderung, Zahlen zu nennen, um zu wissen, ob die Beschäftigten wirklich nicht besser bezahlt werden können, kontere der 44-jährige Rempel mit dem kühlen Hinweis, der Betriebsrat lasse ihn doch auch nicht in seinen Geldbeutel schauen. Das wiederum verweist auf ein grundsätzliches Problem: Zeitungen gelten als Tendenzbetrieb und in einem solchen bekommt ein Betriebsrat keinen Einblick in die Bücher. Läuft der Laden wirklich so schlecht oder stimmt, was Verdi vermutet? Dass der Laden Millionengewinne macht.
Das Gefühl der Ohnmacht tut weh
Das Machtgefälle, die arrogante Attitude, das Gefühl der Ohnmacht, das alles tut weh. Der Betriebsrat kämpft trotzdem weiter. Für eine gerechte Bezahlung, und für "unsere Rundschau", die es nicht wegen der Verleger, sondern wegen der Überzeugung, der hohen Identifikation ihrer Journalist:innen noch gibt. Für Kapitalisten wie Ippen und Rempel, sagt der Betriebsrat, seien das anscheinend keine Kategorien.
Der Zweifel ist berechtigt. Anfang Dezember, knapp eine Woche nach dem Warnstreik, spricht Rempel drei Kündigungen aus. Betroffen sind junge Kolleg:innen, deren Volontariat wegen besonderer Talente verkürzt wurde, um sie im November auf eine feste Redaktionsstelle zu bekommen. Zum Zeitpunkt der Kündigung waren sie durch die neuen Verträge noch in der Probezeit, also leicht rauszuwerfen.
2 Kommentare verfügbar
Alter Frankfurter
am 20.12.2023Übrigens ist nicht Stephan Hebel der Maßstab, sondern Karl Grobe. Der hätte die "Mädchensachen" ganz vorn auf die Titelseite und die Meinungsseite 3 gebracht! Unvergessen, unverzichtbar! Der Niedergang der Medienlandschaft heute…