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"Frankfurter Rundschau" im Widerstand

"Wir sind links, wir sind Idealisten"

"Frankfurter Rundschau" im Widerstand: "Wir sind links, wir sind Idealisten"
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Die "Frankfurter Rundschau" steht, wieder einmal, vor dem offenen Grab. Diesmal läutet das Totenglöcklein, weil die Eigentümer erkennen, dass ein linksliberales Blatt nicht zu ihren Geschäften passt. Sie kündigen und staunen über Journalist:innen, die sich wehren.

So stellt man sich, wenn die Hoffnung nicht gestorben ist, die Zukunft im Journalismus vor: jung, weiblich, engagiert. Wie Jana Ballweber. Sie ist 26, hat am Karlsruher Institut für Technologie studiert, bei dem kritischen Blog "Netzpolitik.org" praktiziert und ist seit März 2022 dort, wo sie schon immer sein wollte: bei der "Frankfurter Rundschau" (FR). Und sie kann wunderbare Texte über einen "Trosthund" schreiben, der nur Nazis und Reichsbürger beißt.

Die Chefetage lobt sie ob ihrer "besonderen Befähigung", sie wird Redakteurin für Netzpolitik und ist glücklich über die "tollsten, kämpferischsten und solidarischsten Kolleg:innen der Welt". Zum Gespräch auf dem Frankfurter Bahnhof kommt sie im schwarzen Sweatshirt. "Wenn wir uns treffen, machen wir halt so Mädchensachen: Wissenschaft, Gewerkschaft, Revolution …" steht drauf. Streik wäre noch hinzuzufügen. Aber dazu später.

Die Tochter aus pädagogischem Haushalt erzählt, dass sie beim Eintritt in die FR ein grünes Buch mit dem Titel "Haltung zählt" bekommen hat. Darin machen sich redaktionelle Führungskräfte und Edelfedern Gedanken darüber, wofür die "Rundschau" steht und wie es mit ihr weitergehen müsste, gebündelt in einer Art Grundgesetz einer linksliberalen Zeitung, die ihren Teil zu einer "besseren Welt" beitragen will. So steht es in dem 134-seitigen Bändchen, und dagegen ist nichts einzuwenden. Es hat ja wirklich mal Zeiten gegeben, in denen die Redaktion zum Betriebsausflug nach Bonn (1981) aufgebrochen ist, zur nationalen Friedensdemo im Hofgarten. In dieser Zeit war es für Linke geradezu Pflicht, die FR zu lesen. (Die Seite "Dokumentation", eine so trostlose wie bedeutende Bleiwüste, wurde archiviert, aber nie gelesen).

Die "Rundschau" ist ein Fass ohne Boden

Die ewige Krise

Die erste Krise datiert von 1976. Die FR hat eine Auflage von 185.000 und schreibt rote Zahlen. Der Axel-Springer-Verlag rettet sie mit Druckaufträgen für "Bild", "Welt" und "Welt am Sonntag". 2003 hält die CDU-Landesregierung das Blatt mit einer Bürgschaft über Wasser. 2004 steigt die SPD mit ihrer Medienholding ddvg ein und schrumpft die Belegschaft in Redaktion, Verlag und Druck von 1.784 auf 750. Zwei Jahre später kommt der Kölner Verlag DuMont an den Main. Unter Chefredakteur Uwe Vorkötter (früher "Stuttgarter Zeitung") wird das Format verkleinert, Kritiker warnen vor einer Boulevardisierung, die Redaktion verzichtet auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. 2012 folgt ein Antrag auf Insolvenz. Mit Abertausenden von Soli-Abos der Leserschaft wird die Pleite abgewendet. Ein Jahr später übernimmt die Fazit-Stiftung, zu der auch die FAZ und die "Frankfurter Neue Presse" gehören. Chefredakteurin wird Bascha Mika von der taz. 2018 wird die FR an die Münchner Ippen-Gruppe verkauft.  (jof)

Nun ist das mit der "Haltung" so eine Sache. Man muss aufpassen, dass man als Friedensfreund:in im "Spiegel" nicht zum "Lumpen-Pazifismus" gezählt wird, oder als Netanjahu-Kritiker:in im Sumpf des Antisemitismus landet. Da ist es hilfreich, ein paar Leitplanken zu haben. Stephan Hebel, ein Urgestein der "Rundschau", zieht sie entlang sozialer Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde, Minderheitenrechte und Gewaltfreiheit, für die es einzutreten gelte. Und in der Tat, das Blatt hält sich im Wesentlichen daran und sieht sich dadurch oft dem Vorwurf ausgesetzt, altbacken zu sein. Im redaktionellen Teil.

Die ökonomische Seite ist weniger wertebasiert. Oder um es deutlicher zu sagen: Die "Frankfurter Rundschau" ist ein Fass ohne Boden, egal, welcher Verleger regiert. Mehr dazu im Kasten "Die ewige Krise".

Seit 2018 ist der Münchner Ippen-Verlag am Ruder. Er besitzt Dutzende von Heimat- und Regionalzeitungen, vom "Fehmarnschen Tageblatt" bis zum "Münchner Merkur", ist so zur viertgrößten Mediengruppe in der Republik aufgestiegen und hat den Verleger zu einem wohlhabenden Mann gemacht: Dirk Ippen, 83, wird unter den 500 reichsten Deutschen rubriziert. Geschätztes Vermögen: 550 Millionen Euro. Zuletzt bekannt geworden durch die Zensur seines eigenen Rechercheteams "Ippen-Investigativ", das den Machtmissbrauch des "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt gegenüber Frauen offengelegt hatte. Der stramme Konservative unterband die Berichterstattung, weil er dem Springer-Verlag "wirtschaftlich nicht schaden" wollte.

Warum nur kauft Ippen ein linksliberales Blatt?

Dass ausgerechnet er die linksliberale "Rundschau" kaufen sollte, verwunderte doch sehr. Als Kolumnist ("Wie ich es sehe") in den eigenen Blättern, ausgenommen die FR, lässt er selten eine Gelegenheit aus, gegen alles zu wettern, was ihm seine freie Marktwirtschaft zu stören scheint. Die SPD, die Grünen, die Gewerkschaften, die immer weniger Mitglieder haben, weil die Menschen "nicht abhängig", sondern von ihren Arbeitgebern "geschätzt" seien. Kein Wunder, dass der bayrische Ministerpräsident im Ippen-Reich gerne gesehen ist, und Markus Söder gerne kommt. Selbst "widerborstige Redakteure springen auf", lobt der CSU-Politiker, wenn der Verleger den Raum betritt.

In Frankfurt stehen sie eher auf der Straße und halten Schilder hoch. "Haltung zählt auch beim Gehalt", ist zu lesen, "Gerechte Löhne bei der FR? Leider Fake News", oder "Nicht mal Geld für Kippen Herr Ippen". Die Beschäftigten, gerade noch 80 in der Redaktion, wehren sich zu großen Teilen, weil sich FR-Geschäftsführer Max Rempel seit Monaten weigert, einen Haustarifvertrag abzuschließen. Er hält sein Stufenmodell für ausreichend: 3.400 Euro zum Einstieg, nach zwölf Jahren maximal 4.100. Ende. Das Geld müsse erstmal erwirtschaftet werden, begründet er, "dieses Bewusstsein vermisse ich hier". Der Flächentarif liegt bis zu 1.400 Euro höher. Würde er ihn anwenden, warnt Rempel intern, würden 40 Prozent der Jobs verloren gehen. Derlei Drohungen, verlautet aus Gewerkschaftskreisen, seien an der Tagesordnung. Ebenso die Selbstausbeutung.

Mit Rempel zu verhandeln, sei keine Freude, sagt ein Betriebsrat, der ungenannt bleiben will. Die Forderung, Zahlen zu nennen, um zu wissen, ob die Beschäftigten wirklich nicht besser bezahlt werden können, kontere der 44-jährige Rempel mit dem kühlen Hinweis, der Betriebsrat lasse ihn doch auch nicht in seinen Geldbeutel schauen. Das wiederum verweist auf ein grundsätzliches Problem: Zeitungen gelten als Tendenzbetrieb und in einem solchen bekommt ein Betriebsrat keinen Einblick in die Bücher. Läuft der Laden wirklich so schlecht oder stimmt, was Verdi vermutet? Dass der Laden Millionengewinne macht.

Das Gefühl der Ohnmacht tut weh

Das Machtgefälle, die arrogante Attitude, das Gefühl der Ohnmacht, das alles tut weh. Der Betriebsrat kämpft trotzdem weiter. Für eine gerechte Bezahlung, und für "unsere Rundschau", die es nicht wegen der Verleger, sondern wegen der Überzeugung, der hohen Identifikation ihrer Journalist:innen noch gibt. Für Kapitalisten wie Ippen und Rempel, sagt der Betriebsrat, seien das anscheinend keine Kategorien.

Der Zweifel ist berechtigt. Anfang Dezember, knapp eine Woche nach dem Warnstreik, spricht Rempel drei Kündigungen aus. Betroffen sind junge Kolleg:innen, deren Volontariat wegen besonderer Talente verkürzt wurde, um sie im November auf eine feste Redaktionsstelle zu bekommen. Zum Zeitpunkt der Kündigung waren sie durch die neuen Verträge noch in der Probezeit, also leicht rauszuwerfen.

Unter ihnen ist Jana Ballweber. Was sagt sie dazu? "Das bricht mir das Herz. Wenn ich sehe, welches Wissen weg ist, welches Engagement. Wir wollen das Gute. Wir sind links, wir sind Idealisten, wir sind Antifaschisten. In der Tradition der FR".

Die "Frankfurter Rundschau" berichtet über das Desaster im eigenen Haus. Pitt von Bebenburg, auch er ein ewig Daseiender, zitiert Rempel mit dem Satz, die Kündigungen seien aus "wirtschaftlichen Gründen" erfolgt und stünden in keinem Zusammenhang mit dem Streik. Vielmehr hätten der Klima-Podcast "Kipp und klar" sowie die App FR + keine "ausreichende Nutzerbasis" und somit keine redaktionelle Betreuung mehr nötig. Wer weiß, vielleicht erledigt das demnächst die KI, an der bei Ippen eifrig geübt wird, um den Content noch besser automatisieren und standardisieren zu können. Polizeimeldungen, hört man, funktionierten bestens, vor allem wenn man sich den journalistischen Gegencheck spare.

Zu Wort kommt in dem Artikel auch FR-Chefredakteur Thomas Kaspar, ein Digitalexperte. Er ist ein Kurzzeitrundschauer, seit 2019, und spricht von einer "Katastrophe". Den Verursacher nennt er nicht. Es ist eben schwer zu vermitteln, wenn man diese Jungen gefördert hat, die "Repolitisierung der Welt" erkennt und ihr, FR-getreu, mit Gerechtigkeit und Menschenliebe begegnen will. Selbst die alten Linken räumen ein, dass er pazifistische Positionen gestärkt habe, als der mediale Mainstream nach immer mehr Waffen verlangte. Aber Kaspar ist auch ein Ippen-Mann. Vor seiner "Rundschau"-Zeit war der 55-Jährige strategischer Produktchef der Ippen Digital GmbH, und dorthin will er am 1. Februar 2024 auch wieder zurück.

Seine wichtigste Aufgabe sei jetzt, bekundet er auf Anfrage von Kontext, zu deeskalieren. Ein schwieriges Unterfangen. Das Vertrauen ist weg. Die Redaktion tagt bereits ohne ihn, wenn sie, wie am vergangenen Dienstag, zusammensitzt und über die Zukunft berät, die Hoffnung nicht verlierend, dass Ippen ein (investierender) Teil davon ist. Aber das wirklich Einzige, was sie retten könne, sei die Gemeinsamkeit, heißt es, der Kampf für ihre FR. Dazu seien alle bereit.

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2 Kommentare verfügbar

  • Alter Frankfurter
    am 20.12.2023
    Antworten
    Interessant, was da bei der FR läuft, so viele Jahre nach ihrem Tod.

    Übrigens ist nicht Stephan Hebel der Maßstab, sondern Karl Grobe. Der hätte die "Mädchensachen" ganz vorn auf die Titelseite und die Meinungsseite 3 gebracht! Unvergessen, unverzichtbar! Der Niedergang der Medienlandschaft heute…
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