Wer mit dem ÖPNV unterwegs ist, hat oft Fragen. Wer mit der S-Bahn im Verkehrsverbund Stuttgart unterwegs ist, ganz besonders. Doch an der S-Bahn-Haltestelle "Stuttgart Hauptbahnhof" haben Fragende, Ratlose, Suchende eine Anlaufstelle. Auf dem Bahnsteig steht ein kleiner, ringsum verglaster Pavillon. Fahrgastinformation. Eine Säule ragt ein paar Zentimeter daneben aus dem Boden, mit Sprechanlage und – Klingel. Wenn man draufdrückt, hört die Servicekraft im Glashäuschen einen Signalton. Beziehungsweise: Sollte sie hören. Denn die Klingel ist kaputt. Kein Ton. Seit fast zwei Jahren. Ein laminiertes Papier weist daraufhin, bitte an die Scheibe zu klopfen "bei Wunsch einer Auskunft. Dankeschön". Papier und Text wechselt immer mal, manchmal heißt es auch ganz nüchtern: "Knopf der Sprechanlage ist kaputt. Bitte an die Scheibe klopfen."
Wenn alles gut geht, meldet sich auf das Klopfen die Person, die im Glaskasten sitzt über die Sprechanlage in der Säule. An diesem Tag ist aus der Sprechanlage zu hören, diese defekte Klingel sei schon einigermaßen ungeschickt. Denn wer am Computer auf der einen Seite des Häuschens arbeite, müsse mit einem Augenwinkel an der Scheibe auf der anderen Seite sein, falls jemand klopft.
Anfrage bei der Deutschen Bahn, die die S-Bahn betreibt, warum die Klingel nicht repariert wird. Antwort: Zu kompliziert. "Die Beschaffung einer neuen Klingelanlage ... gestaltet sich wegen der umfangreichen technischen Anforderungen als äußerst schwierig." Die Sprechanlage müsse Hintergrundlärm filtrieren, barrierefrei und vandalismussicher sein und zudem Brandschutznormen in Tunnelanlagen entsprechen.
Hm.
Nachfrage: "Da ist doch nur die Klingel kaputt, die Sprechanlage funktioniert ja. Warum ist diese Klingel nicht reparierbar?" Theoretisch müsste da doch einfach ein Kabel von der Klingel durch die Säule durch den Bahnsteig-Boden in den Glaskasten verlaufen. Da müsste halt mal ein Elektriker kommen. Oder nicht?
Wie einfach sich Laien doch manchmal die Welt vorstellen. Antwort der Bahn: "Für die vorhandene Technik gibt es weder Ersatzteile noch Firmen, die sie reparieren könnten." Deshalb habe sich die Deutsche Bahn für eine modernere Anlage entschieden. Aber "trotz intensiven Bemühens haben wir bislang am Markt keine vergleichbare Anlage wie die bisherige erwerben können." Die Beschaffung gestalte sich aufgrund der technischen Anforderungen "äußerst schwierig", heißt es. "Mehrere Unternehmen hatten auf eine Beauftragung wegen der Komplexität verzichtet." Man bitte um Nachsicht. "Die Deutsche Bahn bemüht sich weiter mit Hochdruck um Ersatz."
Vor bald drei Jahren gab der Bund grünes Licht für das Pilotprojekt "Digitaler Knoten Stuttgart". Bis 2030 soll das gesamte S-Bahn-Netz dazugehören. Thomas Bopp, Vorsitzender des Verbands Region Stuttgart, versprach dazu am 24. April 2020: "Damit stellen wir die Weichen ins digitale Zeitalter der S-Bahn, und die Region Stuttgart wird auch im Bereich der Eisenbahntechnologie zum innovativen Schaufenster der Republik". Oje.
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Dieter Reicherter
am 24.01.2023