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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Der Stein der Weisen

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Der Stein der Weisen
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In der 33. Sitzung des Polizei-Untersuchungsausschusses im Südwest-Landtag geht es um das Dunkelfeld sexuellen Missbrauchs, um zweifelhafte Mechanismen bei Beförderungen. Und noch einmal um den ehemaligen Spitzenpolizisten Andreas Renner – und dessen labilen Zustand nach der Suspendierung.

Uwe Stürmer hatte im Herbst 2021 einen ungewöhnlichen Auftrag erhalten. Auf Bitten des damaligen Landeskriminaldirektors sollte er in den Tagen und Wochen nach Bekanntwerden der Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen Andreas Renner, den damals höchstrangigen Polizisten Baden-Württembergs, Kontakt halten zum langjährigen Kollegen. "Ich hatte schlicht Angst, dass er sich was antut", berichtet der Polizeipräsident von Ravensburg den Landtagsabgeordneten im Untersuchungsausschuss am vergangenen Montag, "wenn sich seine Familie von ihm abwendet". Stürmer sah die Gefahr "nicht nur latent". Regelmäßig hätten Anrufe stattgefunden, sogar nächtens, Renner habe geredet, er zugehört, bis nach etwa einem Vierteljahr eine Stabilisierung eingetreten sei.

Kontakt zum früheren Inspekteur der Polizei (IdP) Renner hat Stürmer heute nicht mehr – trotz einer engen Verbundenheit seit der ersten gemeinsamen Zeit im Innenministerium vor mehr als 20 Jahren. Er hegt aber einen ziemlichen Groll. "Ich bin verärgert", sagt er, weil Renner "unserem Berufsstand schweren Schaden zugefügt hat". Man coache eine junge Kollegin nicht, die weiterkommen will, das sei Machtmissbrauch, "und wir als höherer Dienst waren fast in Sippenhaft". Er habe sich jedenfalls diese Ereignisse "nicht vorstellen können", gerade nach der herausragenden Arbeit, für die Renner bekannt gewesen sei.

Der 62-Jährige war einer von drei Zeugen bei dieser ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Polizeiaffäre im neuen Jahr und der einzige, der noch im Amt ist. In öffentlicher und am frühen Abend auch noch in nichtöffentlicher Sitzung schildert Stürmer die Beförderungspraxis und gerät in einen Wortwechsel mit SPD-Obmann Sascha Binder. Anlass sind dessen Zweifel an der Art und Weise, wie Stellenbesetzungen vorbereitet wurden, damit die Richtigen die richtigen Posten bekämen. "Der Zweck heiligt nicht die Mittel", kontert Binder die Kritik des Zeugen, "so sehr mancher Wunsch nachvollziehbar sein kann". Besetzungsverfahren seien aber "kein Wunschkonzert, und Beurteilungen dürfen nach dem Gesetz nicht den Vorstellungen über eine Besetzung folgen".

An der Grenze zur Günstlingswirtschaft

Seit September 2022 prüft der parlamentarische Untersuchungsausschuss "IdP und Beförderungspraxis", wer, warum und wie in der baden-württembergischen Polizei Karriere gemacht hat. Bis zur Sommerpause will der Ausschuss die Zeugenvernehmungen abgeschlossen haben. Die Liste ist noch lang. Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) oder Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz könnten nochmals geladen werden. Sechs Sitzungen sind noch terminiert. Empfehlungen zu den Besetzungsverfahren werden Teil des obligatorischen Abschlussberichts sein beziehungsweise der Berichte, falls sich die Fraktionen nicht auf eine einzige Fassung einigen können. Alle bisher gehörten Fachleute sehen jedoch erhebliche Schwierigkeiten, tatsächlich zufriedenstellend Beurteilungs- und Beförderungsverfahren zu entwickelt. Denn der Grat zwischen notwendiger Personalentwicklung und Günstlingswirtschaft ist ein schmaler.

Martin Schatz, früher Landespolizeidirektor und Rektor der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg (HfPol) in Villingen-Schwenningen, beleuchtet noch einen ganz anderen Aspekt: Der Aufwand für die Beurteilungen sei riesig und das System "subjektiv belastet", Menschen seien am Werk und versuchten allen gerecht zu werden. Zugleich gehe die Rechtsprechung zu Beförderungen inzwischen "bis in die Kapillargefäße". Julia Goll, die FDP-Obfrau, hebt hervor, Schatz habe "unumwunden geschildert, wie Beurteilungen im höheren Dienst je nach vorgesehenen Beförderungen ausgekungelt wurden", dass es mit seinen Worten "ein kreatives Beurteilungswesen" gebe. Christiane Staab, ihre CDU-Kollegin, fragt nach möglichen Verbesserungen. "Den Stein der Weisen, den kenne ich auch nicht", antwortet Schatz.

Diese Einsicht gilt für den zweiten großen Komplex, mit dem sich der Ausschuss zu befassen hat: für den Umgang mit sexuellen Übergriffen und einer erfolgreichen Prävention. Erst die Arbeit der Abgeordneten habe den Druck auf Verantwortliche in Ministerien und Verwaltung derart erhöht, dass es erst kurz vor Weihnachten zu einschlägigen Dienstvereinbarungen kam, wie Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand mitteilt. Solcher Art Vorgaben zum Umgang untereinander und zum Umgang mit Übergriffen könnten den am Montag im Ausschuss geladenen drei Praktikern zufolge aber nur ein Teil der Lösung sein, weil sie gerade präventiv nur dann wirken, wenn sie den Alltag mitbestimmen. Burkhard Metzger, der frühere Polizeipräsident in Ludwigsburg, verlangt ein "gelebtes Selbstverständnis". Menschen in Führungsverantwortung müssten ihr Interesse an dem Thema zeigen und klarmachen, "dass es Belästigungen nicht geben darf, dass nicht das Opfer, sondern der Täter schuldig ist".

Ein Fünftel aller Befragten wurde sexuell belästigt

Metzger und Schatz waren beide auf unterschiedliche Weise mit der Bachelor-Arbeit einer Studentin der HfPol aus dem Jahr 2020 zum möglichen sexuellen Missbrauch bei der Polizei des Landes befasst. Das Präsidium in Ludwigsburg stellte sich – ohne Anlass im eigenen Bereich – in den Dienst der Sache, Beamt:innen wurden befragt. Das Ergebnis sprach und spricht eine völlig andere Sprache als alle Einschätzungen damals und selbst als jede Statistik bis heute. Denn ein Fünftel aller Befragten gab an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Davon wiederum 62 Prozent hatten den Vorfall nach eigenen Angaben aber nicht gemeldet.

Auch in diesem Punkt wird dem Ausschuss nicht leichtfallen, die notwendigen Empfehlungen zu formulieren. Gruppendruck und -dynamik unter eng zusammenarbeitenden Einsatzkräften sind groß. Metzger berichtet, dass ihn die Ergebnisse überrascht hätten, und auch wie schwierig es sei, gerade Frauen zu überzeugen, sich zu offenbaren. Kontakte würden von Betroffenen durchaus unterschiedlich empfunden, etwa danach, ob einem ein Mensch sympathisch sei oder nicht. Dennoch müsse grundsätzlich gelten: "Übergriffe haben keinen Platz bei der Polizei."

In Sonntagsreden ist die Spitze im Innenministerium ebenfalls dieser Meinung. Konkret jedoch lässt die postulierte Werte- und Führungskultur erheblich zu wünschen übrig. Die erwähnte Bachelor-Arbeit wird bis heute zurückgehalten und auf Nachfrage nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Zudem wurde eine zweite, ähnliche Arbeit von vorne herein verhindert, als "kein geeignetes Instrument", um dem Thema zu begegnen.

Hirn auf den Malediven?

Die drei Zeugen sind dieser Meinung nicht. "Es wäre Sache des Innenministeriums gewesen", sagt Metzger in entwaffnender Offenheit, "die Ergebnisse in die entsprechenden Gremien hineinzutragen." Dass im Innenministerium die zweite Arbeit verhindert worden sei, straft aus der Sicht von Julia Goll "die angeblichen Bemühungen des Ministers um das Thema Lügen".

Stürmer wiederum steuert noch einen aktuellen Fall aus seinem Verantwortungsbereich bei, um zu verdeutlichen, wie niedrig die Latte in Fragen einer gedeihlichen Zusammenarbeit liegen müsse: Ein Beamter hatte in einer Besprechung eine gerade aus dem Urlaub zurückgekehrte Kollegin gefragt, ob sie "ihr Gehirn auf den Malediven vergessen" habe. Der Fall wurde verfolgt, "und Sie können sicher sein, das wird sich im höheren Dienst herumsprechen", prophezeit der Ravensburger Polizeichef den Abgeordneten. Gerade junge Kolleginnen dürften nicht mit Angst oder unguten Gefühlen in den Dienst gehen, deshalb müssten Übergriffe "auch gerade in der Sprache" abgestellt werden. Die Geldstrafe für die Beleidigung betrug 1.800 Euro.

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