Uwe Stürmer hatte im Herbst 2021 einen ungewöhnlichen Auftrag erhalten. Auf Bitten des damaligen Landeskriminaldirektors sollte er in den Tagen und Wochen nach Bekanntwerden der Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen Andreas Renner, den damals höchstrangigen Polizisten Baden-Württembergs, Kontakt halten zum langjährigen Kollegen. "Ich hatte schlicht Angst, dass er sich was antut", berichtet der Polizeipräsident von Ravensburg den Landtagsabgeordneten im Untersuchungsausschuss am vergangenen Montag, "wenn sich seine Familie von ihm abwendet". Stürmer sah die Gefahr "nicht nur latent". Regelmäßig hätten Anrufe stattgefunden, sogar nächtens, Renner habe geredet, er zugehört, bis nach etwa einem Vierteljahr eine Stabilisierung eingetreten sei.
Kontakt zum früheren Inspekteur der Polizei (IdP) Renner hat Stürmer heute nicht mehr – trotz einer engen Verbundenheit seit der ersten gemeinsamen Zeit im Innenministerium vor mehr als 20 Jahren. Er hegt aber einen ziemlichen Groll. "Ich bin verärgert", sagt er, weil Renner "unserem Berufsstand schweren Schaden zugefügt hat". Man coache eine junge Kollegin nicht, die weiterkommen will, das sei Machtmissbrauch, "und wir als höherer Dienst waren fast in Sippenhaft". Er habe sich jedenfalls diese Ereignisse "nicht vorstellen können", gerade nach der herausragenden Arbeit, für die Renner bekannt gewesen sei.
Der 62-Jährige war einer von drei Zeugen bei dieser ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Polizeiaffäre im neuen Jahr und der einzige, der noch im Amt ist. In öffentlicher und am frühen Abend auch noch in nichtöffentlicher Sitzung schildert Stürmer die Beförderungspraxis und gerät in einen Wortwechsel mit SPD-Obmann Sascha Binder. Anlass sind dessen Zweifel an der Art und Weise, wie Stellenbesetzungen vorbereitet wurden, damit die Richtigen die richtigen Posten bekämen. "Der Zweck heiligt nicht die Mittel", kontert Binder die Kritik des Zeugen, "so sehr mancher Wunsch nachvollziehbar sein kann". Besetzungsverfahren seien aber "kein Wunschkonzert, und Beurteilungen dürfen nach dem Gesetz nicht den Vorstellungen über eine Besetzung folgen".
An der Grenze zur Günstlingswirtschaft
Seit September 2022 prüft der parlamentarische Untersuchungsausschuss "IdP und Beförderungspraxis", wer, warum und wie in der baden-württembergischen Polizei Karriere gemacht hat. Bis zur Sommerpause will der Ausschuss die Zeugenvernehmungen abgeschlossen haben. Die Liste ist noch lang. Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) oder Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz könnten nochmals geladen werden. Sechs Sitzungen sind noch terminiert. Empfehlungen zu den Besetzungsverfahren werden Teil des obligatorischen Abschlussberichts sein beziehungsweise der Berichte, falls sich die Fraktionen nicht auf eine einzige Fassung einigen können. Alle bisher gehörten Fachleute sehen jedoch erhebliche Schwierigkeiten, tatsächlich zufriedenstellend Beurteilungs- und Beförderungsverfahren zu entwickelt. Denn der Grat zwischen notwendiger Personalentwicklung und Günstlingswirtschaft ist ein schmaler.
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