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Windenergie im Südschwarzwald

Der Blockade-Bürgermeister

Windenergie im Südschwarzwald: Der Blockade-Bürgermeister
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Wie schwierig es ist, mit klimaschonendem Windstrom voranzukommen, zeigt sich exemplarisch im Schwarzwälder Münstertal. Zusammen mit der CDU blockiert ein SPD-Schultes den Ausbau mit großer Kreativität.

Was ist bloß los im beschaulichen Münstertal? Erst die Aufregung um die Putin-Freunde Klaus Mangold und Matthias Warnig, wie in Kontext berichtet, jetzt bringt die Kraft des Windes die Lokalpolitik in Wallung. Konkret am vorvergangenen Montag im Gemeinderat, wo die Verpachtung von kommunalem Grund an die lokale Bürger-Energiegesellschaft anstand. Die will auf dem betreffenden Flurstück am 1.265 Meter hohen Haldenköpfle oberhalb der Gemeinde zwei Windmühlen errichten. Die Rotoren sollen deutlich mehr (Öko-)Strom erzeugen, als in der 5.132 Seelen zählenden Gemeinde rund 20 Kilometer südlich von Freiburg verbraucht wird, und das unter Beteiligung der Bevölkerung. Was in Zeiten von Klimakrise, russischer Energieabhängigkeit und galoppierender Inflation wie das Ei des Kolumbus erscheint, scheiterte an einem Abstimmungswirrwarr, mit dem SPD-Bürgermeister Rüdiger Ahlers gemeinsam mit den Christdemokraten im Rat die lokale Energiewende verhinderte.

Der Eklat dürfte beispielhaft für den schleppenden Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg stehen, befördert gerade auch durch Blockaden auf kommunaler Ebene. Dabei hatte sich die grüngeführte Landesregierung vor gut elf Jahren viel vorgenommen, um dem von CDU-Vorgängern gegängelten Lastpferd der Energiewende mit massivem Zubau die Sporen zu geben. Gemeinsam mit dem damaligen SPD-Koalitionspartner definierte die Kretschmann-Partei das Ziel, bis 2020 zehn Prozent des Stroms im Südwesten mit Windmühlen zu erzeugen. Tatsächlich sind es heute rund 6,6 Prozent. Nach der Landtagswahl im vergangenen Jahr schrieben Grüne und CDU deshalb 1.000 neue Windräder bis zum Jahr 2026 in den Koalitionsvertrag – während in den vergangenen fünf Jahren gerade einmal rund 200 Anlagen zwischen Main und Bodensee neu in Betrieb gingen.

Nach Fukushima 2011 überwältigende Zustimmung

Aber schön der Reihe nach, was da in Münstertal passiert ist: Seit über einem Jahrzehnt ist in der Gemeinde Windkraft immer wieder Thema. Anfangs klar zustimmend: 2011, im Jahr der grünen Machtübernahme im Land und kurz nach der Atomkatastrophe von Fukushima, sprach sich eine überwältigende Mehrheit der Münstertäler:innen (80 Prozent) in einer Befragung für Windmühlen auf dem windreichen Gemeindegebiet aus.

Als danach rund 50 Bürgerinnen und Bürger mit einer Energiegenossenschaft Nägel mit Köpfen machen wollten und zwei Rotoren auf dem Breitnauer Kopf oberhalb der Gemeinde planten, organisierte sich wie woanders auch Widerstand. Windkraftgegner:innen säten Angst und Misstrauen im Dorf – mit absurden Geschichten, wonach eine "profitgierige Windindustrie" nicht nur die Gesundheit der Bewohner, sondern auch deren Trinkwasser gefährden würde. Die Panikmache verfing. Bei einer zweiten, parallel zur Bundestagswahl 2017 durchgeführten Befragung wollten nur noch 52 Prozent der Wähler:innen Windkraft auf den Anhöhen, eine Mehrheit votierte sogar gegen den geplanten Standort auf dem Breitnauer Kopf. Das endgültige Aus kam Anfang 2019, als 54 Prozent der Abstimmenden in einem Bürgerentscheid das Projekt ablehnten. Im Gemeinderat hatte die CDU als stärkste Fraktion die Gegner:innen stets unterstützt, während sich SPD, Freie Wähler und auch Bürgermeister Ahlers stets für das Projekt stark gemacht hatten (Kontext berichtete hier und hier).

Vor über zehn Jahren bekundete mit der Bürger-Energie Münstertal eine zweite Gruppe ihr Interesse, vor Ort sauberen Windstrom zu erzeugen. Der bevorzugte Standort war von Anfang an das Haldenköpfle, in der Vergangenheit lehnte die Gemeinde die Verpachtung des Geländes dort aber ab. Die Suche nach einem Alternativstandort scheiterte. Erst nachdem sich die politischen Rahmenbedingungen auf Landesebene geändert hatten, etwa durch zusätzliche Ausweisung von Vorranggebieten für Windenergie, wagte die Bürger-Energie im vergangenen Jahr einen neuen Anlauf. "Die Chancen für eine mittelfristige Genehmigung für die beiden geplanten Windkraftanlagen schätzen wir hoch ein", schrieb Manfred Vohrer im Mai 2021 an Bürgermeister Ahlers. Voraussetzung für dieses "mit Abstand wichtigste Klimaschutzprojekt im Münstertal ist, dass die Gemeinde die Fläche am Haldenköpfle zur Verfügung stellt", so der Geschäftsführer der Gesellschaft, die von Mitgliedern des örtlichen Handels- und Gewerbevereins getragen wird.

Im Gegenzug wollen die Windparkbetreiber der Kommune und den Bewohnern großzügig entgegenkommen, wie Vohrer während der jüngsten Sitzung dem Ratsgremium und rund 30 Zuhörer:innen erläuterte. Man wolle eine marktgerechte Pacht zahlen, die pro Jahr zwischen 50.000 und 100.000 Euro je Anlage betrage, sagte er. Hinzu flössen etwa 60.000 Euro Gewerbesteuereinnahmen jährlich und 30.000 Euro Kommunalabgaben in die Gemeindekasse. Daneben will man auch die Bevölkerung einbinden. Alle Einwohnerinnen und Einwohner könnten sich mit einer Einzahlung ab 1.000 Euro an dem Projekt beteiligen und auf jährliche Gewinnausschüttungen hoffen. Jedem Stromkunden im Ort solle daneben der Bezug von Windstrom angeboten werden, zwei bis drei Cent je Kilowattstunde unter dem aktuellen Marktpreis. Vom Bau der Anlagen solle auch die lokale Wirtschaft profitieren, nicht zuletzt indem man die benötigten Darlehen bei örtlichen Geldinstituten aufnehme.

Plötzlich will der Schultes europaweit ausschreiben

Ein Angebot, das man eigentlich nicht ablehnen kann. Und erst sah es auch nach einer klaren Entscheidung des Münstertäler Rats aus, als Bürgermeister Ahlers den in drei Beschlussanträgen unterteilten Tagesordnungspunkt 4 aufrief. Mit 13 Ja-Stimmen und nur einer Enthaltung votierte das Gremium zunächst "grundsätzlich für die Verpachtung des Flurstücks Nr. 1269, damit dort Windenergieanlagen gebaut und betrieben werden können", wie es in der Beschlussvorlage heißt.

Auf Drängen des Bürgermeisters sollte das Gremium anschließend darüber abstimmen, ob die Verpachtung des Flurstücks im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung vergeben wird, also nicht direkt an die Bürger-Energie aus dem Münstertal. Dies wäre allerdings mit gravierenden Nachteilen verbunden, hatte deren Geschäftsführer zuvor die Gemeinderäte gewarnt. Zum einen könnte sich die Realisierung des Windparks um Jahre verzögern, da "ein anderer Projektierer bei Null anfangen, also Gutachten und Anträge, die wir bereits haben, erst erstellen muss", so Vohrer, der für die FDP von 1972 bis 1983 zunächst im Bundestag und von 1989 bis 1994 im Europaparlament saß. Zudem sei "bei einem maximalen Pachtgebot Bürgerbeteiligung und Bürgerbegünstigung, wie wir es versprechen, nicht machbar". Heißt: Die klamme Gemeinde Münstertal würde bei einer Ausschreibung auf zeitnahe Einnahmen in sechsstelliger Höhe verzichten, und die Hoffnung auf günstige Stromtarife könnte die Kundschaft in den Wind schreiben.

Nach Aussagen von Gemeinderäten hatte Bürgermeister Ahlers argumentiert, dass die Gemeindeordnung verlange, die Verpachtung kommunaler Flächen auszuschreiben. Eine vom Münstertaler Rathaus selbst beauftragte Prüfung hatte dies allerdings verneint. "Im Ergebnis ist ein Pachtvertrag nicht förmlich auszuschreiben", heißt es im fünfseitigen Gutachten des Freiburger Verwaltungsrechtlers Dario Mock, das Kontext vorliegt. Ahlers setzte den Beschlussantrag dennoch auf die Tagesordnung – für den die sechs CDU-Räte und er selbst stimmten, während SPD und Freie Wähler dagegen waren.

Aufgrund des Patts galt der Antrag als mehrheitlich abgelehnt. Damit stand aus Sicht Letzterer der Verpachtung an den lokalen Projektanbieter nichts mehr im Wege. Doch bei der dritten Abstimmung kam es anders. Den betreffenden Beschlussantrag hatte Ahlers kurzfristig am Freitagabend in Absprache mit Fraktionen geändert, ohne dass die Öffentlichkeit Kenntnis davon bekam. Er sah jetzt eine Bürgerinformation über den geplanten Windpark vor. Doch während der Sitzung rief Ahlers nicht diesen, sondern den ursprünglich vorgesehenen Beschlussantrag auf, der folgenden Wortlaut hatte: "Sollte der Gemeinderat keine Ausschreibung für notwendig erachten, erfolgt die Direktvergabe an die Bürgerenergie Münstertal GmbH & Co. KG."

Dies erwies sich als folgenschwer: Die Abstimmung endete wiederum im Patt – SPD und Freie Wähler votierten dafür, CDU und der Bürgermeister dagegen. Damit seien sowohl eine Ausschreibung als auch eine direkte Vergabe an die Bürger-Energie gescheitert, stellte Ahlers nüchtern fest. Laut "Badische Zeitung" folgte "ein minutenlanges Chaos mit gegenseitigen Vorwürfen, dass die jeweilige Gegenpartei nicht kompromissbereit gewesen sei und man nun den gleichen Streit im Ort habe, den man doch eigentlich hatte vermeiden wollen."

Wutentbrannt verließen einzelne Ratsmitglieder nach dem Eklat den Sitzungssaal.

Bei Mangolds Jagd ging's ganz schnell

Bis heute hat sich die Aufregung im Tal nicht gelegt. Viele rätseln, warum Bürgermeister Ahlers es auf ein Scheitern angelegt hat. Obwohl der Schultes mit SPD-Parteibuch sich früher klar pro Windenergie positioniert hatte. "Einen wirklichen Beitrag zur Energiewende können wir nur unter Einbeziehung der Windkraft leisten", hatte er vor dem Windkraft-Bürgerentscheid 2019 geworben. Weil im nächsten Jahr Bürgermeisterwahlen anstehen, wie manche vermuten, reicht kaum als Erklärung. Schließlich riskiert Ahlers, der in 2015 mit 84,9 Prozent der Stimmen in die zweite Amtszeit gewählt wurde, das Wohlwollen der halben Bürgerschaft. "Das ist eine dubiose Geschichte, in der viele Fäden im Hintergrund gezogen werden", raunt ein Gemeinderat gegenüber Kontext. Ahlers befindet sich gerade im Urlaub und war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

In anderen Pachtfällen entschieden Bürgermeister und Gemeinderat freihändiger. Im Januar beschloss man einmütig die Neuverpachtung der Münstertäler Jagdbezirke – ohne Ausschreibung. So vergab man etwa den mit 688 Hektar größten Jagdbezirk Branden freihändig an den prominentesten Mitbürger im Tal: an den einstigen Daimler-Vorstand, Ex-Ostbeauftragten der Deutschen Wirtschaft und Ex-Honorarkonsul Klaus Mangold. Keine Rolle spielte dabei, dass Mangold langjährige Kontakte zum russischen Staatschef Putin sowie dessen Oligarchen pflegte. Das Gremium stört es auch nicht, dass der passionierte Jäger selbst nach Beginn des Ukraine-Kriegs weiter in russischen Diensten steht, wie Kontext enthüllte.

Mittlerweile hat die SPD-Fraktion das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald als kommunale Aufsichtsbehörde eingeschaltet, um das von ihrem Parteigenossen ausgelöste Abstimmungschaos zu prüfen. Das Ergebnis steht noch aus. Das letzte Wort zur Windenergie im Münstertal scheint noch nicht gesprochen.


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