Die Bertelsmann-Stiftung hat wieder einmal zugeschlagen. Seit mehr als 35 Jahren sammelt die Denkfabrik, die sich selbst ein wirtschaftsliberales Profil zuschreibt und den Einfluss des Staates zurückdrängen will, Erfahrungen in Fragen von Engagement und Beteiligung. Jetzt liegt die erste bundesweite Studie zu Chancen, Risiken und Wirkung von direkter Demokratie auf dem Tisch. 38 Euro muss berappen, wer die Langversion lesen will, 60 Seiten Kernergebnisse sind seit der Vorwoche kostenlos zugänglich im Netz. Die zentrale Aussage ist schnell heraus destilliert: Eine moderne Demokratie wird stabiler und attraktiver, wenn sich herkömmliche Politik und Beteiligungselemente gegenseitig stärken.
In der vergleichsweise wenig überraschenden Botschaft stecken Details mit Sprengkraft. Gisela Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und eine der Initiatorinnen der umfangreichen Untersuchung, schreibt Protestbewegungen ein Misstrauen gegenüber Beteiligung zu, genährt von der Sorge, die eigenen Anliegen könnten verwässert und vereinnahmt werden. Erler identifiziert einen paradoxen Grund: "Der Erfolg einer Bewegung misst sich nicht zuletzt daran, wie weit sie von anderen Kräften, auch in Politik und Verwaltung, letztlich zumindest teilweise aufgenommen wird." Viele Protestinhalte seien "zunächst marginal und gewinnen nach und nach Zuspruch". Um den Preis allerdings, dass Inhalte verändert oder "etwas geglättet" würden.
Gut gemeint, ist nicht gut gemacht
Natürlich greifen die Autoren - sechs Professoren und Professorinnen aus der ganzen Republik, unterstützt von gut zwei Dutzend Kollegen - Stuttgart 21 auf. Ihre Bewertung: "Mangelhafte Beteiligung im Vorfeld hat nicht nur die Unzufriedenheit mit dem politischen System und den Entscheidungsverfahren erhöht, sondern die Akzeptanz der daraus resultierenden Entscheidungen und Ergebnisse wird ebenfalls beschädigt." Und sie warnen zugleich - dem alten Grundsatz entsprechend, dass gut gemeint nicht zwangsläufig gut gemacht bedeutet - vor den negativen Effekte von Partizipationsprozessen. Die können deutlich größer sein als die positiven. Als nicht erfolgreich beurteilte Verfahren zerstörten das Vertrauen und erzeuge zusätzliche Unzufriedenheit. Denn der "gefährlichste Akzeptanzkiller" sei die "Showbeteiligung, die als rein symbolische Alibiveranstaltung und Instrumentalisierung wahrgenommen wird".
Daraus könnte Kritik an der Volksabstimmung zum Tiefbahnhof - wegen ihrer nur partiell befriedenden Wirkung -, an den Beteiligungsverfahren zum Nationalpark oder zum Landesjagdgesetz herausgelesen werden. Nicht in diese Kategorie fällt der umstrittene Filderdialog zum neuen Flughafenbahnhof. Denn die Auswertung der Einzelergebnisse aus Filderstadt legt nahe, dass die Bevölkerung die angeleiteten Diskussionen - anders als vor allem CDU und FDP kritisiert hatten - keineswegs als Flop empfand. In der 44.000 Einwohner zählenden Gemeinde ist das Interesse daran, sich einzubringen, ungebrochen hoch. Nur sieben Prozent der Befragten schließen eine Teilnahme an einem Bürgerbegehren für sich aus. Die Hälfte gibt an, "sehr sicher" an weiteren Dialogen oder Versammlungen teilnehmen zu wollen.
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Hans-Peter Piepho
am 14.09.2014