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Im Augenschein des Feldherrnhügels

Im Augenschein des Feldherrnhügels
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Der Wasserwerfer-Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht hält immer mal wieder Überraschungen parat. Verhandlungstag Nummer 15 bot bisher die meisten.

Obwohl, es beginnt wie nicht anders erwartet: Martin H., 52, stellvertretender Leiter der Biberacher Wasserwerfer-Staffel, wird als Zeuge bereits nach zehn Minuten wieder entlassen; er macht von seinem Recht Gebrauch, keine Angaben zu machen, um sich nicht selbst zu belasten.

Alles weitere aber macht Staunen. Es folgt eine Videovorführung. Die Strafkammer hat einiges an Material ausgewertet. Nicht etwa, um zu belegen, was die beiden Angeklagten im Verlauf des Polizeieinsatzes im Schlossgarten unternommen, wo sie sich aufgehalten haben und was sie sehen konnten. Nein, im Mittelpunkt stehen zwei Verletzte, die schon vor der Sommerpause ausgesagt haben. Nun wird minutiös analysiert, was sie vor den Volltreffern des Wasserwerfers getrieben haben. Karin U. hat sich, lange bevor sie erheblich verletzt wurde, einmal für zwei Minuten auf den Weg gesetzt und dann der Aufforderung von Polizisten Folge geleistet, aufzustehen und wegzugehen. Genau wie sie ausgesagt hatte. Um sie herum saßen einige andere Menschen, Hunderte andere standen dabei. Blockiert wurde dabei niemand und nichts. Die Menschen waren einfach da. Kein Beleg für eine strafbare Nötigung, schon nicht wegen der geringen Dauer des Sitzens. Aber vielleicht für die Einstellung, die man im Saal fast greifen kann, wer nicht weggegangen war, habe selbst Schuld an seinen Verletzungen?

Danach regt die Verteidigung an, andere Videosequenzen vorzuführen. Zu welchem Zweck wird nicht klar. Zudem stimmen die Nummerierungen der polizeilichen Aufzeichnungen in verschiedenen Zusammenschnitten nicht überein, Verwirrung vorprogrammiert. Grund genug für einen Nebenklägervertreter, der Anregung entgegen zu treten und eine Begründung für den Wunsch der Verteidigung zu verlangen. Das führt zwar zu einem Geplänkel zwischen Vorsitzender, Verteidigern und Anwälten der Nebenkläger, nicht aber zu einer Klärung, ob eine Vorführung der Wahrheitsfindung dient.

Denn der Vorsitzenden fällt ein, dass man die nötige Stunde zur Videoschau nicht habe. Um 15 Uhr solle nämlich eine Ortsbesichtigung im Schlossgarten stattfinden, Treffpunkt Feldherrenhügel. Und die Zeit bis dahin brauche man zur Vorbereitung. Um 10.15 Uhr ist die Strafkammer entschwunden.

Flatterband und Nervenflattern

Große Verblüffung im Saal, da dem geplanten Ortstermin bis dahin keinerlei Ankündigung voraus gegangen war. Die zahlreichen Zuschauer im Saal wissen nichts über den Ablauf eines "Augenscheins", wie das in der Gerichtssprache heißt. Von Rechtskundigen werden sie aufgeklärt, dass ein Augenschein ebenso wie die Verhandlung im Saal öffentlich ist und sie daher im Schlossgarten teilnehmen können. Rasend schnell verbreitet sich die Nachricht über Telefon, Internet, Facebook und Twitter. Um 15 Uhr hat sich eine stattliche Menge von Zuschauern neben den Prozessbeteiligten, die von Polizei und Gerichtswachmeistern abgeschirmt werden, am Feldherrenhügel eingefunden. Fahnen werden geschwenkt, Plakate aufgehängt, Transparente gezeigt, Fotoapparate und Handys gezückt. Auch ein Fernsehteam ist erschienen. Die Prozessbeteiligten machen sich Punkt 15 Uhr an den Aufstieg auf den Hügel. Wachtmeister bilden unterhalb eine Absperrkette mit Flatterband, hinter dem sich die Zuschauer aufhalten dürfen. Das Band passt gut zu den Angeklagten, deren Nerven ersichtlich auch flattern. Die Kette bewegt sich synchron mit dem Gericht aufwärts, die Zuschauer hinter dem Band auch.

Zu Recht weist die Vorsitzende darauf hin, dass es sich um eine Gerichtsverhandlung handele und deshalb Fotografieren und Filmen verboten sei. Viel zu sehen ist ohnehin nicht. Selbst der Feldherrenhügel ist nicht mehr das, was er am Schwarzen Donnerstag einmal war, erst recht nicht der Schlossgarten, jetzt in unmittelbarer Nähe des Ortstermins nur noch Brache. Dennoch, dass man vom Hügel aus einen guten Überblick über das Geschehen im Park hatte, wird deutlich. Nach kurzer Zeit ist der Termin auch schon zu Ende, Fortsetzung folgt, dann wieder im Saal.

Objektive Ermittlungen Fehlanzeige?

Im Augenschein des Feldherrenhügels und vor allem des Videomaterials der Polizei hätte man von Anfang an Erkenntnisse für die Ermittlungen ziehen können. Schon unmittelbar nach dem misslungenen Polizeieinsatz gab es jede Menge Hinweise, dass manches nicht rechtmäßig gewesen sein könnte. Mit Hunderten von Strafanzeigen wurden das Geschehen insgesamt und die Verantwortung der Polizeiführung und der Politiker thematisiert.

Unbefangene Beobachter könnten nun meinen, diese und andere von Anfang an bekannte Umstände hätten die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen in alle Richtungen veranlassen müssen. Dazu ist sie nach Recht und Gesetz als "Organ der Rechtspflege" verpflichtet. So bestimmt Paragraph 160 der Strafprozessordnung: "Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen." So weit, so schlecht. Denn die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat - im Gegensatz zu vielen Anzeigeerstattern - keinen Verdacht einer Straftat entdeckt und also (von zwei Einzelfällen abgesehen) gar nicht ermittelt.

Oberstaatsanwalt Häußler war es, der - selbst Augenzeuge des Einsatzes, den er dienstlich begleitete - am 4. Oktober 2010 sich persönlich als Sachbearbeiter ein Verfahren gegen Verantwortliche des Polizeipräsidiums Stuttgart wegen Körperverletzung im Amt zugeteilt hatte. Am selben Tag beauftragte er den Polizeipräsidenten, also just den Hauptbeschuldigten, mit der Durchführung der Ermittlungen.

Genau genommen sollte also Polizeipräsident Stumpf, verantwortlicher Polizeiführer am Schwarzen Donnerstag, prüfen, ob er selbst sich strafbar gemacht hatte. Sorgen deswegen musste Stumpf sich jedoch schon deswegen nicht machen, weil Chefermittler Häußler kurz nach diesem Ermittlungsauftrag bereits öffentlich in einem Zeitungsinterview verkündete, alles sei rechtmäßig verlaufen. Allerdings hatte Häußler beim Einsatz den Polizeiführer Stumpf und dessen Führungsstab begleitet, dabei nach der Version des Angeklagten Andreas F. sogar Stumpf beraten.

Staatsanwaltschaft als Herrin der Ermittlungen

Weit verbreitet ist die Meinung, die Staatsanwaltschaft habe eine Ermittlungsgruppe aus Polizeibeamten unter ihrer direkten Leitung installiert, um eine Einflussnahme der Polizeiführung auf ihre ermittelnden Untergebenen zu verhindern. Doch weit gefehlt: Stumpf war es, der das ihm unterstellte Dezernat 3.5 mit den Ermittlungen beauftragte (später als "EG Park" bekannt geworden). Immerhin verabredete Häußler mit dem stellvertretenden Polizeipräsidenten Walz, der selbst wegen seiner Beteiligung am Schwarzen Donnerstag in den Fokus geraten war, er werde mit dem Dezernatsleiter Dorer in regelmäßigem Kontakt stehen.

Als Konsequenz aus dem erwähnten Interview des Oberstaatsanwalts richteten Mitglieder der Landtagsfraktion der Grünen am 13. Dezember 2010 eine Anfrage an die Landesregierung und forderten, die Ermittlungen zu dem Polizeieinsatz einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen. Diese Forderung wurde vom damaligen Justizminister Ulrich Goll (FDP) bereits am 7. Januar 2011 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Stuttgarter Generalstaatsanwalts Klaus Pflieger vom 22.12.2010 abgelehnt. Pflieger hatte beschlossen, dass von der Beauftragung einer anderen Staatsanwaltschaft abgesehen werde. Zur Begründung hatte er ausgeführt: "Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart die entsprechenden Ermittlungen nicht objektiv und sachgerecht führen könnte, bestehen nicht."

Beschuldigte als Powerpointer

Im Nachhinein ist man schlauer: Ebenfalls am 22. Dezember 2010 forderte Häußler jenen Powerpoint-Vortrag als Grundlage für seine Ermittlungen an, den Stumpf und die jetzigen beiden Angeklagten gemeinsam vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags gehalten und hierbei den Polizeieinsatz als rechtmäßig dargestellt hatten. Objektiver und sachgerechter hätte die Staatsanwaltschaft also die Ermittlungen gar nicht führen können. Genau so objektiv und sachgerecht wie die Mehrheit im damaligen U-Ausschuss, deren späteres Votum Häußler zur Begründung seiner Einstellungsverfügungen heranziehen sollte.

Allerdings sahen das zwei Juristen anders: Mit Schreiben vom 25. September 2011 regte Dieter Reicherter, Mitverfasser dieses Berichts, bei Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) ebenfalls an, eine auswärtige Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen zu beauftragen. Stickelberger leitete das Schreiben an Generalstaatsanwalt Pflieger weiter, der darin eine Dienstaufsichtsbeschwerde sah und dem Verfasser am 31. Oktober 2011 mitteilte, zur Ablösung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft sehe er keine Veranlassung.

Nicht besser erging es dem Freiburger Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann, der am 29. September 2011 namens eines Mandanten bei Stickelberger einen förmlichen Antrag auf Beauftragung einer anderen Staatsanwaltschaft gestellt hatte. Dieser Antrag wurde von Stickelberger am 15.11.2011 mit derselben Begründung förmlich zurück gewiesen.

Sicher ist es nur Zufall, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart nur einen Tag zuvor offiziell mitgeteilt hatte, sie habe nun doch Anhaltspunkte für unverhältnismäßige Wasserwerfer-Einsätze entdeckt und Ermittlungen gegen einzelne Polizeibeamte eingeleitet. Diese Ermittlungen führten dann zur Beantragung von Strafbefehlen gegen einzelne Mitglieder der Wasserwerfer-Staffel (wir berichteten) und zur Anklageerhebung beim Landgericht Stuttgart gegen Jürgen von M-B. und Andreas F.

Mit der Bekanntgabe, gegen einzelne Polizeibeamte werde wegen der Wasserwerfer-Einsätze ermittelt, war der Weg frei zum Persilschein für alles und alle anderen. Immerhin beurteilte nicht Häußler, der in die Kritik geraten war, sondern seine Untergebene Hiltrud H. die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes insgesamt. In ihrer Verfügung vom 15. Dezember 2011 fand die Erste Staatsanwältin nichts Verdächtiges an Art und Weise der Einsatzplanung und Durchführung. Auch den Einsatz der Maßnahmen unmittelbaren Zwangs fand sie völlig in Ordnung, weshalb sie von der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens gegen Ex-Polizeipräsident Siegfried Stumpf, Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus, Ex-Innenminister Heribert Rech, Ex-Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner, OB Wolfgang Schuster (inzwischen auch Ex), Bahnchef Rüdiger Grube (noch im Amt), Ex-Projektleiter Hany Azer und weitere Personen absah. Mit dem Einsatz von Wasserwerfern befasste sich die Staatsanwältin nur insoweit, als sie ausführte, Stumpf sei von möglicherweise unverhältnismäßigen einzelnen Einsätzen nicht unterrichtet gewesen und dafür nicht verantwortlich. Gegen einzelne Polizeibeamte werde deswegen getrennt ermittelt.

Unter den Teppich gekehrt

Damit hatte die Staatsanwaltschaft die Problematik anderer Rechtsverstöße und anderer Verantwortlicher vom Hals. Das änderte sich erst durch den jetzigen Prozess beim Landgericht. Doch das jahrelange Nichtstun rächt sich jetzt. Zwar kommen im Prozess immer mehr Merkwürdigkeiten zutage und bringen die Konstruktion der Anklage ins Wanken.

Nicht die Staatsanwaltschaft spielt aber vor der Strafkammer die aufklärende Rolle. Nein, das Gericht, die Angeklagten mit ihren Verteidigern, die gehörten Zeugen wie jetzt auch Staffelführer H., die Nebenklägervertreter und jüngst der Sachverständige für Wasserwerfer bringen allmählich Licht ins Dunkel. Aufschlussreich sind auch die vielen Stunden Bildmaterial, auf denen Staatsanwaltschaft und Ermittlungsgruppe der Polizei noch nicht einmal den Polizeipräsidenten und den Oberstaatsanwalt in traulicher Gemeinschaft erkannt hatten. Gefilmt zu einer Uhrzeit, als sie angeblich nicht im Park waren und vom "robusten Einsatz" deswegen nichts mitbekommen konnten. Wie weit sich das Dunkel jetzt noch aufhellen lässt angesichts der Erinnerungslücken, auf die sich Zeugen und Beteiligte berufen, ist unsicher.

Der jüngst vernommene Staffelführer H. konnte sich weder erinnern, wer den Einsatzbefehl für die Wasserwerfer erteilt hatte, noch an dessen Einzelheiten. Er wusste noch nicht einmal, wer überhaupt für diese Anordnung zuständig war. In seiner Gedächtnisleistung - sollten die massiven Ausfälle nicht nur vorgegeben sein - darf er sich messen lassen mit Stumpf, der sich neulich als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags nicht mehr erinnern konnte, wer die Mitglieder seines Führungsstabs waren. Auf das Erinnerungsvermögen derartiger Zeugen wird man aber bei nachzuholenden Ermittlungen bauen müssen. Immerhin, das Bildmaterial und die Aussagen der Angeklagten in der Hauptverhandlung haben dazu geführt, dass nach bald vier Jahren gegen Stumpf ein Verfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet wurde.


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20 Kommentare verfügbar

  • dichtbert
    am 20.09.2014
    Antworten
    @Wolle, 15.09.2014 07:00 na das es Ihre IG Bürger nicht mehr gibt ist zumindest bewiesen. Ist da die geordnete Vereinsauflösung schon erfolgt, oder braucht man diesen Tarnverein noch zum Kanalisieren von Steuergeldern?
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