KONTEXT:Wochenzeitung
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Wasserwerfer willkommen?

Wasserwerfer willkommen?
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Vor wem nur hat das Landgericht Stuttgart Angst? Die Einschränkungen für Besucher und Berichterstatter beim gestern begonnenen Wasserwerfer-Verfahren sind so streng wie sonst nur, wenn "rivalisierende Banden oder verfeindete Sippen" vor Gericht stehen. Angeklagt sind aber zwei Polizeibeamte. Die rigiden Anordnungen der Kammervorsitzenden stoßen auf heftige Kritik.

"Als Zuhörer wird nur eingelassen, wer a) sich am Eingang für Zuhörer mit einem zur Feststellung seiner Identität geeigneten Personalausweis oder Reisepass ausweist, b) sich einer Durchsuchung unterzieht, wobei Frauen von weiblichen Bediensteten kontrolliert werden, c) keine Gegenstände bei sich führt, die geeignet sind, die Hauptverhandlung zu gefährden oder zu stören, d) nicht zuvor aus sitzungspolizeilichen Gründen von der Verhandlung ausgeschlossen wurde. Die Durchsuchung erstreckt sich auf Gegenstände im Sinne der Ziffer 4.c. Dazu gehören auch Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Handarbeitsmittel, Plakate, Trillerpfeifen, Mobilfunktelefone, Laptops u. ä., weil das Zuhören allein dem Zweck dient, der Hauptverhandlung zu folgen." 

Diese von Manuela Haußmann, der Vorsitzenden der 18. Großen Strafkammer an Deutschlands zweitgrößtem Landgericht, erlassene Anordnung wurde am 17. Juni auf der Homepage des Gerichts veröffentlicht und erregt seither die Gemüter. Sie ist in Umfang und Detailgenauigkeit (nachzulesen <link http: www.landgericht-stuttgart.de pb startseite _blank>unter diesem Link) wohl ohne Beispiel; jedenfalls können sich erfahrene, von Kontext befragte Prozessbeobachter an dergleichen nicht erinnern. Betroffen von diesen Einschränkungen sind übrigens nicht nur interessierte Besucher, sondern auch professionelle Berichterstatter, die keine Akkreditierung haben. Auch sie müssen neben Laptop und Handy sogar Bleistift und Notizblock abgeben, sobald sie den Gerichtssaal betreten.

= Kontext:Update (25.6.2014,17:30):
Seit dem zweiten Verhandlungstag am Mittwoch dürfen Besucher ihr Schreibzeug mit in den Gerichtssaal nehmen. Vorsitzende Richterin Manuela Haußmann erklärte dazu, ihre Anordnung sei so nicht gemeint gewesen und von den Justizwachtmeistern falsch verstanden worden. Mit verbotenen "Handarbeitsmitteln" sei viel mehr Strick- und Häkelzeug gemeint. Unklar bleibt dann allerdings immer noch, wozu in Punkt 8. der Verfügung eigens erwähnt wurde, dass akkreditierten Medienvertretern "ihr mitgeführtes Schreibzeug nach Überprüfung zu belassen" sei ... =

Das wenig transparente Vergabeverfahren für Akkreditierungen von Medienvertretern (nachzulesen unter <link http: www.landgericht-stuttgart.de pb startseite _blank>diesem Link) hatte Kontext bereits Ende Mai (<link http: www.kontextwochenzeitung.de editorial genuegend-transparent-gemacht-2217.html _blank>"Genügend transparent gemacht") kritisiert. In dieser Verfügung hatte die Kammervorsitzende noch 25 Plätze in den ersten beiden Reihen für Medienvertreter reservieren wollen. Gemeldet haben sich allerdings nur elf, weil viele andere schlichtweg nichts davon wussten und so die Akkreditierungsphase ungenutzt verstreichen ließen. Gegenüber Kontext hatte das Landgericht dieses Verfahren "als genügend transparent" verteidigt. Das Ergebnis spricht allerdings eine andere Sprache.

Zu denjenigen Journalisten, die nun – falls sie früh genug kommen und einen Zuschauerplatz ergattern – über einen Prozess berichten müssen, ohne sich auch nur die geringste Notiz machen zu können, gehört neben Kontext auch die taz. Nicht minder eingeschränkt sind übrigens die Fotografen. Nach der Verfügung von Richterin Haußmann dürfen diese lediglich zu Prozessbeginn und dann erst wieder vor der Urteilsverkündung für wenige Minuten in den Gerichtssaal und müssen auf Fotos die Gesichter bestimmter Verfahrensbeteiligter so verpixeln, dass diese nicht erkannt werden können. Darüber, was zwischendurch passieren soll, wenn unter Umständen sehr prominente Zeugen – bis hin zu Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus – geladen werden (müssen), schweigt die Verfügung.

Nur beim Prozess gegen "Red Legion" geht es ähnlich zu

Aparterweise erschien am Tag nach der Veröffentlichung der richterlichen Anordnungen in der "Stuttgarter Zeitung" ein Artikel über das gestiegene Sicherheitsbedürfnis im Stuttgarter Landgericht, die einhergeht mit einer vor einem Jahr von der Landesregierung erlassenen neuen Sicherheitskonzeption für die Gerichte und Justizbehörden in Baden-Württemberg. Mit dieser stellte Landesjustizminister Rainer Stickelberger (SPD) vier Millionen Euro für bauliche Sicherheitsmaßnahmen und zusätzlich 50 neue Stellen für Justizwachtmeister zur Verfügung. Auch das Haus an der Olgastraße, das 1982 eingeweiht wurde, also zu heißen RAF-Zeiten, und eigentlich über alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen verfügt, hat nach eigenen Angaben von Stickelbergers Sicherheitszuschlag bereits profitiert.

Dennoch bleibt es den einzelnen Kammern überlassen, welche Maßnahmen – abgestuft "von der Ausweiskontrolle bis zur Leibesvisitation" – sie anordnen. "Verschärfte Visiten", heißt es in dem StZ-Artikel, würden angeordnet, wenn "eine Strafkammer beispielsweise Übergriffe unter rivalisierenden Banden oder verfeindeten Sippen" befürchte. Derzeit seien solche lediglich in einem Verfahren angeordnet, in einem Prozess gegen Mitglieder der rockerähnlichen Vereinigung Red Legion.

Die aufwendigen Identifizierungs- und Durchsuchungsmaßnahmen führten am gestrigen ersten Verhandlungstag übrigens prompt dazu, dass der Prozess mit einer Viertelstunde Verspätung begann.

Kontext hat erfahrene Journalisten und Juristen angefragt, ob sie sich an derlei rigide Vorschriften erinnern können. Hier die Stellungnahmen im Einzelnen:

Bruno Bienzle, Kontext-Mitarbeiter und 25 Jahre lang als Lokalchef der "Stuttgarter Nachrichten" tagtäglich mit Gerichtsberichterstattung befasst: "Derartiges oder irgendwie Vergleichbares ist mir nie untergekommen, obwohl der Landgerichtsbezirk Stuttgart seit jeher für Medien und ihre Vertreter als vermintes Terrain galt. So war Stuttgart bundesweit die letzte Bastion eines umfassenden Fotografier- und Filmverbots, als Filmbeiträge in den TV-Nachrichten, die die Verfahrensbeteiligten unmittelbar vor Sitzungsbeginn (übrigens bis hinauf zu BGH und BVG) zeigten, landauf, landab längst Standard waren. Präzedenz? Doch nicht für Stuttgart!"

Und weiter: "Das Stück, das das LG Stuttgart nun vor dem Wasserwerfer-Prozess aufführt, überfordert meine Vorstellungskraft. Sie haben nicht nur nichts gelernt – aus dem NSU-Prozess und vielem anderen –, nein, nun greifen sie auch noch zu Schikanen, die allen rechtsstaatlichen Normen (Gleichbehandlung, Rechtzeitigkeit und Zugänglichkeit der Bekanntmachung) Hohn sprechen. Deshalb hätte diese Verfahrensweise im Falle einer obergerichtlichen Überprüfung garantiert keinen Bestand. Mehr noch: Diese Verfahrensweise des LG Stuttgart, die in ihrer Ausgestaltung erkennbar auf Behinderung der Berichterstattung angelegt ist, trägt alle Züge der Rechtsmissbräuchlichkeit und ist insofern ein Dokument justizbehördlicher Willkür."

Gerhard Manthey, Mediensekretär der Gewerkschaft Verdi: "Wem nützt es, wenn die Medien zu einem für den Stuttgarter Raum brisanten Prozess-Thema nur über ein zeitlich befristetes Ausschreibe-Verfahren die Zulassung über eine Website des Gerichts in Anspruch nehmen können? Wer denkt sich solche, die breite Berichterstattung ignorierende Verfahren aus? Wer möchte, dass nur eingeschränkt über einen Prozess berichtet werden kann? Diese Fragen muss sich eine Pressestelle und das dahinterstehende Landgericht stellen lassen. Der Demokratie und der Erfüllung der Chronisten-Pflicht der Medien bestimmt nicht. Hat man und frau nichts über die 'Auslese der Berichterstatter' beim NSU-Prozess in München gelernt? Es ist schmählich und absurd, dass man im Jahre 2014 ein deutsches Gericht an den Stellenwert der bürgerlichen Pressefreiheit von 1848 erinnern muss. Vielleicht kann Londons Oberbürgermeister mit einem Wasserwerfer-Probelauf etwas Platz schaffen – oder besinnt sich das Landgericht noch, die ursprünglich 25 Berichterstatter-Plätze aufzufüllen und weitere 14 JournalistInnen zuzulassen?"

Jörg Lang, Stuttgarter Anwalt und Herausgeber des Kontext-Buches "Politische Justiz in unserem Land": "Vergleichbare Sicherheitsverfügungen sind bisher eigentlich nur im Zusammenhang mit Verfahren gegen Terroristen und Gewalttäter oder gegen Angeklagte der organisierten Schwerkriminalität bekannt. Da im vorstehenden Fall die Angeklagten diesen Zielgruppen nicht zugeordnet werden können, wird mit der Verfügung indirekt die teilnehmende Öffentlichkeit und Presse ihrerseits unter einen diesen Zielgruppen vergleichbaren Generalverdacht unterstellt. Dies scheint, sofern nicht etwa konkrete Anhaltspunkte für besondere Gefahren, die vom Sitzungspublikum ausgehen können, vorliegen, vom Ansatz her politisch bedenklich und rechtstaatlich unverhältnismäßig und fehlerhaft."

Und weiter: "Dass Medienvertreter während der Sitzung weder Mobiltelefone noch Laptops mit sich führen dürfen, erscheint als eine unverhältnismäßige Einschränkung der Öffentlichkeit und vor allem als unzulässige Beschränkung der Pressefreiheit. Zu der Arbeit von Massenmedien gehört heute auch der ständig mögliche Kontakt zur Außenwelt einschließlich des Internets. Dies muss auch in öffentlichen Gerichtsverhandlungen möglich sein, solange dadurch nicht die Ordnung in der Sitzung und deren Ablauf im Sinne des § 176 GVG gestört wird. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum Medienvertreter – abgesehen von störenden Telefongesprächen – ihre Mobiltelefone auch im Übrigen nicht sollten nutzen dürfen. Dasselbe gilt besonders auch für Laptops. Es ist kein Grund erkennbar, warum selbst akkreditierte Medienvertreter während der Sitzung nur handschriftliche Notizen machen dürften, was ihnen ihre Arbeit und auch die Schnelligkeit ihrer Berichterstattung empfindlich erschwert."

Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter a. D. am selben Landgericht Stuttgart und Berichterstatter für Kontext aus dem Prozess: "Weder in meiner dienstlichen Tätigkeit als Staatsanwalt noch als Richter, immerhin insgesamt 33 Jahre, zuletzt elf Jahre lang Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, habe ich derartige Sicherheitsmaßnahmen erlebt oder gar selbst angeordnet. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine von mir geleitete Hauptverhandlung gegen einen Leugner der Judenermordungen in KZs (sogenannte Auschwitzlüge), an der Oberstaatsanwalt Häußler als Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnahm. Da füllte sich der Saal zur Hälfte mit Anhängern des Angeklagten (vereinfachend würde man sie Nazis nennen) und zur anderen Hälfte mit Verfolgten des Naziregimes, meist sehr alte Menschen. Diese spannungsgeladene Verhandlung habe ich ohne jegliche Sicherungsmaßnahmen geführt. Hätte ich derartige Maßnahmen angeordnet, wären die Emotionen sicher hochgekocht."

Und weiter: "Ich verkenne nicht, dass in Einzelfällen (NSU-Prozess, Rockermilieu usw.) Sicherheitsmaßnahmen sein müssen. Auch dabei muss aber immer abgewogen werden, welche Eingriffe in Grundrechte der Zuhörer erforderlich und angemessen sind. Dass Gegner von Stuttgart 21 mit Nazis und Kriminellen gleichgestellt werden, gibt mir zu denken. Der belehrende Hinweis, das Zuhören diene allein dem Zweck, der Hauptverhandlung zu folgen, würde überspitzt bedeuten, dass Zuhörer Augenbinden anlegen müssen (was ganz nett wäre, aber sicher als Vermummung beanstandet würde). Zur vollkommenen Sicherheit würde ich zusätzlich den Einsatz eines Polizeihubschraubers wie bei der Sonderzugfahrt 'Stuttgarter Stern' sowie die Bereitstellung von Wasserwerfern empfehlen."

Albrecht Götz von Olenhusen, Lehrbeauftragter an den Unis Düsseldorf und Freiburg für Medienrecht: "Ähnliche Anordnungen für eine Verhandlung habe ich noch nie erlebt. Über Hintergründe solcher repressiver Maßnahmen kann man spekulieren. Sie scheinen sich in merkwürdig scharfer Form an den Maßnahmen des Gerichts in München im NSU-Prozess zu orientieren. Ob die Durchsuchungsanordnungen in dieser doch recht eingreifenden Weise zulässig sind, müsste man sehr genau prüfen. Dass 'das Zuhören allein dem Zweck dient, der Hauptverhandlung zu folgen', erscheint jedenfalls als Einschränkungsbegründung kaum überzeugend. Ein Zuhörer wird jedenfalls nicht gehindert sein dürfen, sich Notizen zu machen. Die Wegnahme von Laptops, Handys, Blocks und Bleistiften halte ich nicht für zulässig. Eine Gefährdung kann von ihnen nicht ausgehen. Die Einschränkungen der Presse- und Medienfreiheit sind hier nicht zulässig." 

Und weiter: "Es verwundert, dass das Gericht oder die Vorsitzende anscheinend in der Anordnung das Mitführen von Wasserwerfern nicht untersagt hat. Medienvertreter und Zuhörer sind nach dieser Verfügung rechtlich schwer zu hindern, Wasserwerfer oder ähnliche Geräte mitzuführen, solange diese nur genutzt werden, die Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen. Wird die Verfügung darauf erstreckt, was auch denkbar ist, dann werden in analoger Anwendung als Wasserwerfer auch solche verdächtigen Personen zu gelten haben, die erfahrungsgemäß schon als Wasserwerfer aufgetreten sind und vor allem auch solche Teilnehmer, die mit Wasser kochen. Die Entvölkerung von Gerichtssälen von Öffentlichkeit ist auf diese Weise geordnet und gesichert."


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21 Kommentare verfügbar

  • Thomas A
    am 02.07.2014
    Antworten
    Zur Ergänzung von@Tillup
    Es gab rivalisierende Gangs. Teufel,Mappus vs Oettinger,Hauk. Die letzte Amtshandlung Oettingers ohne die er nicht gegangen wäre , war ein "politischer Erfolg" den Teufel nicht einfahren konnte. Unterschrift unter S21. Runtergebrochen wäre das dann Kotz vs Schradinger…
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