Kontext hat erfahrene Journalisten und Juristen angefragt, ob sie sich an derlei rigide Vorschriften erinnern können. Hier die Stellungnahmen im Einzelnen:
Bruno Bienzle, Kontext-Mitarbeiter und 25 Jahre lang als Lokalchef der "Stuttgarter Nachrichten" tagtäglich mit Gerichtsberichterstattung befasst: "Derartiges oder irgendwie Vergleichbares ist mir nie untergekommen, obwohl der Landgerichtsbezirk Stuttgart seit jeher für Medien und ihre Vertreter als vermintes Terrain galt. So war Stuttgart bundesweit die letzte Bastion eines umfassenden Fotografier- und Filmverbots, als Filmbeiträge in den TV-Nachrichten, die die Verfahrensbeteiligten unmittelbar vor Sitzungsbeginn (übrigens bis hinauf zu BGH und BVG) zeigten, landauf, landab längst Standard waren. Präzedenz? Doch nicht für Stuttgart!"
Und weiter: "Das Stück, das das LG Stuttgart nun vor dem Wasserwerfer-Prozess aufführt, überfordert meine Vorstellungskraft. Sie haben nicht nur nichts gelernt – aus dem NSU-Prozess und vielem anderen –, nein, nun greifen sie auch noch zu Schikanen, die allen rechtsstaatlichen Normen (Gleichbehandlung, Rechtzeitigkeit und Zugänglichkeit der Bekanntmachung) Hohn sprechen. Deshalb hätte diese Verfahrensweise im Falle einer obergerichtlichen Überprüfung garantiert keinen Bestand. Mehr noch: Diese Verfahrensweise des LG Stuttgart, die in ihrer Ausgestaltung erkennbar auf Behinderung der Berichterstattung angelegt ist, trägt alle Züge der Rechtsmissbräuchlichkeit und ist insofern ein Dokument justizbehördlicher Willkür."
Gerhard Manthey, Mediensekretär der Gewerkschaft Verdi: "Wem nützt es, wenn die Medien zu einem für den Stuttgarter Raum brisanten Prozess-Thema nur über ein zeitlich befristetes Ausschreibe-Verfahren die Zulassung über eine Website des Gerichts in Anspruch nehmen können? Wer denkt sich solche, die breite Berichterstattung ignorierende Verfahren aus? Wer möchte, dass nur eingeschränkt über einen Prozess berichtet werden kann? Diese Fragen muss sich eine Pressestelle und das dahinterstehende Landgericht stellen lassen. Der Demokratie und der Erfüllung der Chronisten-Pflicht der Medien bestimmt nicht. Hat man und frau nichts über die 'Auslese der Berichterstatter' beim NSU-Prozess in München gelernt? Es ist schmählich und absurd, dass man im Jahre 2014 ein deutsches Gericht an den Stellenwert der bürgerlichen Pressefreiheit von 1848 erinnern muss. Vielleicht kann Londons Oberbürgermeister mit einem Wasserwerfer-Probelauf etwas Platz schaffen – oder besinnt sich das Landgericht noch, die ursprünglich 25 Berichterstatter-Plätze aufzufüllen und weitere 14 JournalistInnen zuzulassen?"
Jörg Lang, Stuttgarter Anwalt und Herausgeber des Kontext-Buches "Politische Justiz in unserem Land": "Vergleichbare Sicherheitsverfügungen sind bisher eigentlich nur im Zusammenhang mit Verfahren gegen Terroristen und Gewalttäter oder gegen Angeklagte der organisierten Schwerkriminalität bekannt. Da im vorstehenden Fall die Angeklagten diesen Zielgruppen nicht zugeordnet werden können, wird mit der Verfügung indirekt die teilnehmende Öffentlichkeit und Presse ihrerseits unter einen diesen Zielgruppen vergleichbaren Generalverdacht unterstellt. Dies scheint, sofern nicht etwa konkrete Anhaltspunkte für besondere Gefahren, die vom Sitzungspublikum ausgehen können, vorliegen, vom Ansatz her politisch bedenklich und rechtstaatlich unverhältnismäßig und fehlerhaft."
Und weiter: "Dass Medienvertreter während der Sitzung weder Mobiltelefone noch Laptops mit sich führen dürfen, erscheint als eine unverhältnismäßige Einschränkung der Öffentlichkeit und vor allem als unzulässige Beschränkung der Pressefreiheit. Zu der Arbeit von Massenmedien gehört heute auch der ständig mögliche Kontakt zur Außenwelt einschließlich des Internets. Dies muss auch in öffentlichen Gerichtsverhandlungen möglich sein, solange dadurch nicht die Ordnung in der Sitzung und deren Ablauf im Sinne des § 176 GVG gestört wird. Es ist deshalb nicht einzusehen, warum Medienvertreter – abgesehen von störenden Telefongesprächen – ihre Mobiltelefone auch im Übrigen nicht sollten nutzen dürfen. Dasselbe gilt besonders auch für Laptops. Es ist kein Grund erkennbar, warum selbst akkreditierte Medienvertreter während der Sitzung nur handschriftliche Notizen machen dürften, was ihnen ihre Arbeit und auch die Schnelligkeit ihrer Berichterstattung empfindlich erschwert."
Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter a. D. am selben Landgericht Stuttgart und Berichterstatter für Kontext aus dem Prozess: "Weder in meiner dienstlichen Tätigkeit als Staatsanwalt noch als Richter, immerhin insgesamt 33 Jahre, zuletzt elf Jahre lang Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart, habe ich derartige Sicherheitsmaßnahmen erlebt oder gar selbst angeordnet. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine von mir geleitete Hauptverhandlung gegen einen Leugner der Judenermordungen in KZs (sogenannte Auschwitzlüge), an der Oberstaatsanwalt Häußler als Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnahm. Da füllte sich der Saal zur Hälfte mit Anhängern des Angeklagten (vereinfachend würde man sie Nazis nennen) und zur anderen Hälfte mit Verfolgten des Naziregimes, meist sehr alte Menschen. Diese spannungsgeladene Verhandlung habe ich ohne jegliche Sicherungsmaßnahmen geführt. Hätte ich derartige Maßnahmen angeordnet, wären die Emotionen sicher hochgekocht."
Und weiter: "Ich verkenne nicht, dass in Einzelfällen (NSU-Prozess, Rockermilieu usw.) Sicherheitsmaßnahmen sein müssen. Auch dabei muss aber immer abgewogen werden, welche Eingriffe in Grundrechte der Zuhörer erforderlich und angemessen sind. Dass Gegner von Stuttgart 21 mit Nazis und Kriminellen gleichgestellt werden, gibt mir zu denken. Der belehrende Hinweis, das Zuhören diene allein dem Zweck, der Hauptverhandlung zu folgen, würde überspitzt bedeuten, dass Zuhörer Augenbinden anlegen müssen (was ganz nett wäre, aber sicher als Vermummung beanstandet würde). Zur vollkommenen Sicherheit würde ich zusätzlich den Einsatz eines Polizeihubschraubers wie bei der Sonderzugfahrt 'Stuttgarter Stern' sowie die Bereitstellung von Wasserwerfern empfehlen."
Albrecht Götz von Olenhusen, Lehrbeauftragter an den Unis Düsseldorf und Freiburg für Medienrecht: "Ähnliche Anordnungen für eine Verhandlung habe ich noch nie erlebt. Über Hintergründe solcher repressiver Maßnahmen kann man spekulieren. Sie scheinen sich in merkwürdig scharfer Form an den Maßnahmen des Gerichts in München im NSU-Prozess zu orientieren. Ob die Durchsuchungsanordnungen in dieser doch recht eingreifenden Weise zulässig sind, müsste man sehr genau prüfen. Dass 'das Zuhören allein dem Zweck dient, der Hauptverhandlung zu folgen', erscheint jedenfalls als Einschränkungsbegründung kaum überzeugend. Ein Zuhörer wird jedenfalls nicht gehindert sein dürfen, sich Notizen zu machen. Die Wegnahme von Laptops, Handys, Blocks und Bleistiften halte ich nicht für zulässig. Eine Gefährdung kann von ihnen nicht ausgehen. Die Einschränkungen der Presse- und Medienfreiheit sind hier nicht zulässig."
Und weiter: "Es verwundert, dass das Gericht oder die Vorsitzende anscheinend in der Anordnung das Mitführen von Wasserwerfern nicht untersagt hat. Medienvertreter und Zuhörer sind nach dieser Verfügung rechtlich schwer zu hindern, Wasserwerfer oder ähnliche Geräte mitzuführen, solange diese nur genutzt werden, die Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen. Wird die Verfügung darauf erstreckt, was auch denkbar ist, dann werden in analoger Anwendung als Wasserwerfer auch solche verdächtigen Personen zu gelten haben, die erfahrungsgemäß schon als Wasserwerfer aufgetreten sind und vor allem auch solche Teilnehmer, die mit Wasser kochen. Die Entvölkerung von Gerichtssälen von Öffentlichkeit ist auf diese Weise geordnet und gesichert."
21 Kommentare verfügbar
Thomas A
am 02.07.2014Es gab rivalisierende Gangs. Teufel,Mappus vs Oettinger,Hauk. Die letzte Amtshandlung Oettingers ohne die er nicht gegangen wäre , war ein "politischer Erfolg" den Teufel nicht einfahren konnte. Unterschrift unter S21. Runtergebrochen wäre das dann Kotz vs Schradinger…