Justitia ist die Frau mit der Waage in der einen Hand und dem Schwert in der anderen. Sie ist die Verkörperung der Gerechtigkeit. Weil diese ohn' Ansehen der Person am besten zu finden sei, wurden der Jungfrau Justitia auch noch die Augen verbunden. Doch seit den Zeiten der alten Römer ist viel Wasser den Neckar hinuntergelaufen. Und in der Neckarstraße 145 in Stuttgart, wo die Staatsanwaltschaft residiert, sitzen weder Jungfrauen, noch hat dort jemand die Augen verbunden – zumindest nicht beide.
Vor allem aber ist Deutschlands fünftgrößte Ermittlungsbehörde alles andere als eine "Verkörperung der Gerechtigkeit". Sie polarisiere anstatt auszugleichen, schrieb dieser Tage sogar die "Stuttgarter Zeitung" in einem Leitartikel und konstatierte einen "Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung", den im Geleit der Ankläger auch so manches Gericht erlitten habe. Justitia am Pranger.
Das hat sie in erster Linie einem Mann zu verdanken, der nun seinen vorzeitigen Abschied eingereicht hat: Bernhard Häußler, dem seit Jahren umstrittenen Leiter der "politischen" Abteilung 1 der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Der 63-Jährige macht im September Schluss – aus familiären Gründen, wie es heißt. Es heißt allerdings auch, Häußlers Rückzug sei Teil eines Deals gewesen, den innerhalb der Landesregierung die Grünen dem roten Justizminister abgezwungen hätten. Der hatte – unsensibler geht es wohl kaum – für die Neubesetzung des übergeordneten Generalstaatsanwaltes einen bekennenden S-21-Befürworter vorgeschlagen. Und dabei völlig ignoriert, dass jener "Vertrauensverlust" eben aus dem Vorwurf rührt, die Staatsanwaltschaft ermittle in S-21-Angelegenheiten einseitig. Am Ende wurde Achim Brauneisen doch Generalstaatsanwalt, Bernhard Häußler wird Pensionär, und Justizminister Stickelberger glaubt, sein Gesicht gewahrt zu haben. Justitia als Objekt eines Kuhhandels.
Und mit Häußlers Abgang allein ist das Problem auch keineswegs gelöst. Bald drei Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag ist der Prozess gegen verantwortliche Polizeibeamte noch immer nicht einmal terminiert. Dafür finden Prozesse gegen Demonstranten statt, wie in dieser Woche jener gegen einen 46 Jahre alten Maschinenbauer, der wegen versuchten schweren Raubes angeklagt war und zwei Jahre lang mit der Bedrohung einer mehrjährigen Haftstrafe hatte leben müssen (siehe unseren Artikel von vergangener Woche "Kurz vorm Schusswaffengebrauch"). Am Ende war es auch da wieder einmal nach der Verurteilung zu einer glimpflichen Bewährungsstrafe – so der O-Ton des Schöffenrichters – "sehr wenig, was übrig bleibt" von der schweren Keule der Anklageschrift. Justitia, die Einäugige.
Noch eine Kontext-Geschichte: das SS-Massaker in Sant'Anna di Stazzema. Zehn Jahre lang hatte Bernhard Häußler gegen zehn in Italien bereits verurteilte, ehemalige SS-Angehörige ermittelt und das Verfahren schließlich eingestellt. Fünf der Männer leben noch immer. Dieser Tage wurde vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe ein 349 Seiten starker Antrag auf Anklageerzwingung gestellt. Es wird noch Jahre dauern, bis Häußlers Hinterlassenschaften aufgeräumt sind. Justitia als Putzfrau.
Den Job wird seine Nachfolgerin übernehmen. Christiane Arndt war bisher schon Abteilungsleiterin bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart, sie gilt als unaufgeregt und unverbissen. Mit dem neuen Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen verbinden sie dennoch zwei Gemeinsamkeiten: Auch sie wohnt in Nürtingen, und auch sie bekennt sich zur Bahn. Allerdings als tägliche Nutzerin auf der Fahrt ins Büro.
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adabei
am 14.07.2013