Mein neuer persönlicher Tiefpunkt wurde jüngst mit der Porno-Influencerin Bonnie Blue erreicht. In der Gegenteilwelt ist sie Feministin. Das sind heute bekanntlich viele Influencer:innen, die Worte gehijackt haben und unter falscher Flagge neoliberalen Schwachsinn als Emanzipation verkaufen. Aber Bonnie Blue schießt den Vogel einer Marketingstrategie, die sich "Selbstbestimmung" und "Empowerment" auf die Fahne geschrieben hat, wirklich ab. Tut mir mal wieder nicht leid, dass Sie von dieser Figur vielleicht hier in meiner Kolumne zum ersten Mal erfahren. Aber so langsam sollte sich rumgesprochen haben, dass die Autorin dieser Zeilen ein Trash-Trüffelschwein und nicht die beste Ansprechpartnerin für Feel-Good-Content ist. Bonnie Blue also. Eine britische Porno-Influencerin ist das derzeit lauteste und wohl auch verstörendste Beispiel der Gaga-Ga-Gegenwart.
Mit Slogans wie "Empowerment", "Selbstbestimmung" und "Sex-Positivity" bewirbt die Content-Creatorin ihre Inhalte – Videos, in denen sie beispielsweise ihre Pornoseiten mit "Challenges" bewirbt, in denen sie mit über 1.000 Männern innerhalb von 12 Stunden Sex hat. Weitere Highlights ihres feministischen Portfolios: Gratis-Sex für gerade mal volljährige Studenten, bei dem das Filmmaterial später gegen Geld auf ihrer OnlyFans-Seite verwertet wird. Das alles wird verpackt in ein angeblich modernes Frauenbild: selbstbestimmt, frei, unerschrocken. Ihre Familie unterstütze sie. Ihr Vater sei stolz auf sie. Und das Publikum – größtenteils männlich – steigt voll drauf ein und freut sich, dass es seinen (internalisierten) Sexismus als Support bezeichnen kann.
Selbstausbeutung ist keine Emanzipation
Dabei muss man keine politisch sonderlich gebildete Person sein, um diesen Feminismus als komplett pervertierten, neoliberalen Müll zu erkennen. Denn offensichtlich ist Bonnie Blues Content nicht feministisch. Es ist ein Geschäftsmodell, das vor allem jungen Frauen ein vollkommen entpolitisiertes Bild von Emanzipation vermittelt: Deine Freiheit ist das, was du zu Geld machen kannst. Dein Körper ist dein Kapital. Deine Sexualität ist eine Dienstleistung – und wenn du sie freiwillig verkaufst, ist das feministisch und emanzipiert. Doch genau hier beginnt ein Problem, das sich seit Jahren als "Sexwork" durch die digitale wie analoge Welt in die Gehirne junger Menschen gemogelt hat: Wenn sich Feminismus und Emanzipation nur noch daran misst, ob eine Frau "freiwillig" etwas tut, ignoriert er die gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Strukturen, in denen diese Entscheidungen getroffen werden. Kritisiert man die "Sexwork"-Bubble, gilt das meist als moralischer Angriff auf die "Sexworkerin" selbst. Wer den Pornokapitalismus verachtet, gilt als prüde. Wer die selbstbestimmte Verkapitalisierung von Sexualität für eine der größten Lügen des Patriarchats hält, wird selbst zur patriarchalen Aggressorin gemacht.
In der Folge wird es für junge Frauen immer schwieriger, zwischen echter Selbstbestimmung und internalisierter Objektivierung zu unterscheiden. Mädchen lernen schon in jungen Jahren über Pornfluencer wie Bonnie Blue, die richtlinienkonformen Content für Werbung auf Social Media posten, sich selbst als Ware zu betrachten – und bekommen erzählt, dass das Empowerment sei. Bonnie Blue ist aktuell die extremste Form dieser Entwicklung. Aber sie ist längst nicht allein und steht exemplarisch für eine Generation von Influencerinnen, die ihre sexuelle Verfügbarkeit und Objektifizierung als Erfolgserzählung verkaufen – und sich dabei auf feministische Begriffe stützen, die sie komplett entleeren. Ihr Feminismus ist kein Kollektivprojekt für die sexuelle Befreiung der Frau. Er stellt keine Machtfrage, kennt keine Solidarität. Es steht allein das Individuum im Mittelpunkt, das sich maximal gut verkaufen will – in einem Markt, der weiblich gelesene Körper noch immer nach Verfügbarkeit bewertet und Gleichberechtigung mit einer möglichst paritätischen Beteiligung am Ausbeutungssystem verwechselt. Wer sich freiwillig ausbeutet, ist frei – so will es der Content-Gott. Bietet mir abends im falschen Viertel der Stadt ein Mann 50 Euro für Sex an, ist das in der Bonnie-Blue-Logik keine Belästigung mehr, sondern ein lukratives Jobangebot. Problem damit?
Abstieg in einen neuen digitalen Höllenkreis
Dass die ganzen kaputten Männer, die hundertfach Schlange stehen, um Bonnie Blue gratis für ein paar Sekunden penetrieren zu können, blaue Skimasken aufhaben, ist vielleicht das ehrlichste Symbol dieser hirnerweichenden, pseudo-emanzipativen Vorhölle. Denn offenbar wissen sie genau, dass das, was sie da tun, keine Unterstützung eines feministischen Projekts ist.
Was Bonnie Blue auf die Spitze treibt, hat längst Auswirkungen auf die Popkultur – nur auf subtile Art. Jüngstes Beispiel: Sängerin und Disney-Star Sabrina Carpenter. Das Cover ihres kommenden Albums "Man's Best Friend" zeigt das 26-jährige Vorbild vieler junger Mädchen kniend im Minikleid, während ein angedeuteter Mann im Anzug an ihren Haaren zerrt, als wolle er sie für – ja für was wohl – vor ihm auf den Boden zwingen. Klar, sexistische Darstellungen sind jetzt nicht neu im Popzirkus. Und auch wenn die Provokation natürlich intendiert ist: Warum zur Hölle werden im Jahr 2025 Frauenbilder von vorgestern im Pop reproduziert – und diese als feministisch verkauft? So dumm, will man glauben, kann doch wirklich niemand sein, das zu kaufen. Und dann wache ich morgens auf, öffne TikTok, Instagram und Co. und lerne, dass die menschliche Dummheit wirklich keine Grenzen kennt, wenn sie wieder in einen neuen digitalen Höllenkreis hinabgestiegen ist. Dann hat sich Bonnie Blue mit Männer-Influencer Andrew Tate getroffen und einen gemeinsamen Podcast angekündigt. Also einen Podcast mit dem frauenhassenden Ex-Kickboxer und geistigen Führer junger Männer, denen der wegen Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagte Tate seit Jahren erklärt, warum Frauen unterdrückt und ausgebeutet gehören. Auf dem Ankündigungsbild auf ihrem Instagram-Profil kniet Blue mit offenem Mund vor ihm. "Wir bringen den Feminismus 1.057 Jahre nach vorne", schreibt sie dazu und verweist so auf die Anzahl von Männern, mit denen sie bei ihrer super-emanzipierten Challenge in zwölf Stunden Sex gehabt haben will.
Ich bin gespannt, wie dieser Wahnsinn in den kommenden Monaten getoppt wird. Denn das wird er.
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nesenbacher
vor 5 Stunden