KONTEXT:Wochenzeitung
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Häußlers schwerstes Geschütz

Häußlers schwerstes Geschütz
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Kommende Woche jährt sich zum zweiten Mal die so genannte „Stürmung des Grundwasser-Managements“ im Stuttgarter Schlossgarten. Während sich die juristische Aufarbeitung des von allerhand Ungereimtheiten umrankten Vorfalls verzögert, ist so viel klar: Wie immer, wenn es gegen Demonstranten geht, fährt die Staatsanwaltschaft Stuttgart schwerstes Geschütz auf – koste es (an Steuerzahler-Millionen), was es wolle.

Rückblende: Der 20. Juni 2011 ist ein warmer, sonniger Frühsommertag, an dem sich bis 18 Uhr vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof sechs-, vielleicht siebentausend Menschen (nach Polizeiangaben nur die Hälfte) zur 79. Montags-Demo gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 versammeln. Die Kundgebung verläuft, wie immer, friedlich, und gegen 19 Uhr begibt sich ein nicht geringer Teil der Menge in die benachbarte "Straße am Schlossgarten", die es damals noch gibt, um vor dem Südflügel des Bahnhofs, den es damals noch gibt, einen Vortrag zu hören. Dazu haben die "Architekten gegen Stuttgart 21" eingeladen und es soll um die denkmalschützerische und um die stadtbild-prägende Bedeutung dieses Gebäudeteils gehen, dem der Abriss droht. Doch für den Vortrag interessiert sich plötzlich kaum jemand mehr:

Gegen 19.10 Uhr, als sich etwa 1500 Menschen auf der dafür zu engen Straßenfläche zwischen dem Südflügel und dem Gelände des ehemaligen Zentralen Omnibus-Bahnhofs (ZOB) befinden, kommt Unruhe in die Menge, werden Rufe laut und schnell entspannt sich das Gedränge: Vermummte, fast alle in schwarz, haben den Bauzaun aus den Verankerungen gerissen, der das ZOB-Gelände vor unbefugtem Betreten schützt, und fordern die Menge auf, den Platz zu besetzen. Die Fläche gehört zum benachbarten Grundwasser-Management (GWM) und wird von der Betreiber-Firma Hölscher als Lagerplatz genutzt. Dort liegen die blauen Rohre, die eines Tages das Stadtbild verschandeln sollen, dort stehen Baumaschinen und Lastwagen, lagert sonstiges Baumaterial. "Mehrere hundert, möglicherweise tausend" Menschen, heißt es später im Polizeibericht, betreten daraufhin - widerrechtlich, aber ungehindert - das Gelände, denn der Zaun liegt auf einer Strecke von mehr als hundert Metern flach, und - schauen sich um.

Während Aktivisten das GWM-Gebäude besteigen und Transparente ausrollen, andere mit Spritzdosen die Rohre verschäumen, wieder andere an Fahrzeugenreifen die Luft ablassen, macht die große Mehrheit aus der "Besetzung" eine Party: Musik spielt, es wird gesungen, später am Abend werden Kerzen angezündet und gegen Mitternacht verlassen die letzten freiwillig das Gelände. Ohne je, über fünf Stunden hinweg, von der Polizei aufgefordert worden zu sein, den Ort zu verlassen. Allerdings: Zwei Vorkommnisse werden dafür sorgen, dass Tags darauf bei Polizei und Staatsanwaltschaft, in der Politik, vor allem aber in den Medien von einem "Ausbruch der Gewalt" die Rede sein wird in der sonst so friedfertigen Stuttgarter Protestlandschaft.

Bewaffnete Zivil-Beamte mitten in der Menschenmenge

Zum einen: Geht um 19.15 Uhr in unmittelbarer Nähe zur stark befestigten Umzäunung des GWM-Geländes, hinter dem sich zu diesem Zeitpunkt bereits ein Zug Bereitschaftspolizei in Kampfausrüstung aufgebaut hat, ein Kanonenschlag in die Luft. Ein Knall wie an Silvester, danach steigt etwas Rauch auf. In unmittelbarer Nähe stehen zwei, drei Dutzend Demonstranten. Denen passiert nichts, aber acht behelmte Polizisten, die weiter weg stehen, erleiden - nach Polizeiangaben - ein "Knalltrauma", werden ins Krankenhaus gebracht und sind angeblich dienstunfähig.

Zum anderen: Fällt wenig später der damals 42jährige Harald W. inmitten der Menschenmenge auf, weil er versucht, Leute dingfest zu machen, die Sachbeschädigungen begehen. Der Mann ist Kripobeamter in zivil, einer von - nach Polizeiangaben - einem guten "halben Dutzend", das sich an diesem Abend unter die Demonstranten gemischt hat. Aber optisch ist er ein windiges Bürschchen: kahl rasierter Schädel, billige schwarze Lederjacke, Jeans und unterm T-Shirt überm Hosenbund, das sieht ein Blinder, eine Pistole im Holster. Er wird später behaupten, er habe sich als Polizist zu erkennen gegeben; dass er seine Dienstmarke gezeigt hat, behauptet aber nicht einmal er.

W. kriegt einen Schlag auf den Kopf, später einen gegen den Kehlkopf, weil Menschen versuchen, den potenziellen Gewalttäter zu entwaffnen. W. geht zu Boden, kann sich aus dem Ringkampf befreien und flüchtet in Panik hinter die Reihen seiner uniformierten Kollegen.

Nächste Rückblende: die Tage darauf. Die Lokalzeitungen schäumen; darauf haben sie nur gewartet: Endlich dem angeblich so friedvollen Protest gegen Stuttgart 21, das von ihnen so heiß befürwortete, zuletzt aber unter drastischen Auflagenverlusten leidvoll mitgetragene Bauprojekt, mal so richtig vor den Koffer kacken können! Und die willigen Medien werden<link http: presse.polizei-bwl.de _layouts pressemitteilungen _blank> von der Polizei gefüttert

Neun Beamte seien verletzt worden, einer so schwer, dass man "um sein Leben fürchte", und auf der Baustelle sei Sachschaden in Höhe von 1,5 Millionen Euro entstanden, weil unter anderem "hochwertige Baumaschinen zerstört", "Reifen zerstochen", "Sand und Steine" in Dieseltanks gefüllt wurden. Und die Staatsanwaltschaft Stuttgart, wie immer bei S 21 die "politische" Abteilung 1 unter ihrem berüchtigten Chef Bernhard Häußler, verkündet, sie ermittle im Fall des verletzten Zivilbeamten wegen "versuchten Totschlags" gegen Unbekannt. Die Stuttgarter Lokalblätter, "Zeitung" und "Nachrichten", drucken diese Verlautbarungen ungeprüft ab. Sie verkünden schlichtweg Polizei-Propaganda und damit die Unwahrheit, denn das ist auch zu diesem frühen Zeitpunkt schon längst erwiesen.

Die Polizei-Propaganda fällt in sich zusammen

Da gibt es nämlich schon tags darauf <link http: www.youtube.com _blank>Filme im Internet, die zeigen, wie nah viele Menschen dem Knallkörper standen, ohne Schaden zu nehmen, und wie weit weg davon die "dienstunfähigen" behelmten Beamten. Und vor allem<link http: www.youtube.com _blank> gibt es Filme, die den so schwer verletzten Zivilbeamten Harald W. zeigen, wie er unmittelbar nach erfolgreicher Flucht in einem Polizeiwagen sitzt und telefoniert.

Harald W. hat sich am Morgen darauf selber aus dem Krankenhaus entlassen. Weil ihm - körperlich - nichts fehlte. So wenig übrigens wie den anderen acht "verletzten" Polizisten. Vier davon kehrten nach der Untersuchung im Krankenhaus an ihren Einsatzort zurück, die anderen vier fuhren zurück nach Bruchsal in die Kaserne.

Neun Verletzte? "Um das Leben des Kollegen gefürchtet"? Versuchter Totschlag? Lächerlich. Und der Sachschaden? 1,5 Millionen, wie es auch in der "Stuttgarter Zeitung" stand? Musste ebenfalls - leicht - <link http: cams21.de kleine-faktenkunde-gwm-baustellenbesetzung-20-06-11 _blank>nach unten korrigiert werden. Keine einzige hochwertige Baumaschine war zerstört, kein einziger Reifen zerstochen worden, nicht in einen Tank waren Sand und Steine gefüllt worden. Übrig blieben, laut Staatsanwaltschaft Stuttgart, diesmal allerdings nicht vorlaut in der Presse, sondern kleinlaut in Strafbefehlsanträgen, genau 96.392,22 Euro. Drei Viertel davon Baustoffe, Bauzaunersatz und Lohnkosten.

Einschub, der erste: Die Redaktion von kontext:wochenzeitung will hiermit nicht zum Ausdruck bringen, dass es legitim sein könne, Zäune einzureißen und fremder Leute Eigentum zu besetzen. Im ersten Prozess gegen "Besetzer" vom 20.6.2011 vor dem Stuttgarter Landgericht wurden drei Personen, die gestanden hatten oder denen nachgewiesen wurde, am Einreißen der Zäune beteiligt gewesen sein, zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Die Urteile erschienen dem Autor durch die Bank angemessen und plausibel. (Jedoch lagen sie weit unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Diese legte auch prompt Revision ein.)

Reichlich ungeklärte Fragen

Einschub, der zweite: Die Redaktion von Kontext leistet Verschwörungstheoretikern gewöhnlich keinen Vorschub. Es gibt aber rund um den 20.6.2011 eine Vielzahl besonders ungewöhnlicher und nicht hinreichend erklärter Vorkommnisse, für die uns Belege vorliegen. Wir benennen hier einige, ohne jede Kommentierung:

• Seit Errichtung des GWM-Gebäudes und des Bauzaunes um das ZOB-Gelände hatten Beamte bei jeder Montags-Demo, die vor dem Hauptbahnhof stattfand, das Gelände gesichert, indem sie sich darin aufhielten. Nur an diesem Tag nicht.

• Zeugenaussagen zufolge waren die Befestigungen des Bauzaunes wohl schon in der Nacht auf den 20.6. gelockert oder entfernt worden. Von wem auch immer. Der Bahn war das bereits am Morgen bekannt, der Polizei ebenfalls. Unternommen wurde nichts.

• Zeugenaussagen zufolge war viel mehr Leuten klar als nur den Aktivisten, die ihren Plan umsetzten, dass "an dem Tag etwas passieren würde". Unwahrscheinlich, dass die Polizei nichts davon wusste.

• Die Einsatzleitung der Polizei lag an diesem Tag nicht wie sonst bei Montags-Demos üblich beim Revier Wolframstraße, sondern im Polizeipräsidium in der Hahnemannstraße und hinter der abgesperrten "Linie" in der Straße am Schlossgarten hielt die Polizei - für eine normale Montags-Demo - ungewöhnlich viele Kräfte bereit. Darunter mehrere BFEs (Beweis- und Festnahme-Einheiten) und die Reiter-Staffel.

• Den angekündigten Vortrag vor dem Südflügel wollte sich erstaunlicherweise auch eine ungewöhnlich große Gruppe von führenden S 21-Befürwortern anhören, die durch entsprechende Buttons erkennbar waren. Jedenfalls hielt sich diese Gruppe dort auf, als die "Stürmung" begann. Darunter die CDU-Landtagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Nicole Razavi, Mappus-Freundin und bis heutigen Tags mit die lauteste Befürworterin des Bahnprojekts überhaupt.

Vielleicht gibt es für all das vernünftige Erklärungen. Einen, der sie geben würde, gibt es nicht. Stattdessen trat Bernhard Häußler auf den Plan. Der nicht erst seit den Protesten gegen Stuttgart 21 umstrittene und der Parteilichkeit geziehene Leitende Oberstaatsanwalt verfügte bereits Tage nach dem 20.6.2011 gegenüber der Stuttgarter Polizei, dass die dort gebildete "Ermittlungsgruppe Grundwasser" seiner Abteilung 1 zuzuarbeiten habe und dass vor allem und gegen alle, die das ZOB-Gelände betreten hatten, wegen Landfriedensbruchs zu ermitteln sei. Während Häußler in anderen Fällen (St. Anna di Stazzema) Verfahren über zehn Jahre hinweg verschleppte oder nie einen Anfangsverdacht erkennen konnte (Mappus, EnBW) oder zum Jagen getragen werden musste, wie bei den anstehenden Prozessen gegen die Wasserwerfer-Besatzungen vom "Schwarzen Donnerstag", wo 13 Monate ins Land gingen, ehe Ermittlungen überhaupt aufgenommen wurden, ging es diesmal ratz-fatz. Und auf die harte Tour: Hausdurchsuchungen zu nachtschlafender Zeit, nicht um Täter festzunehmen, sondern nur um bei Zeugen Beweismittel zu sichern - Videos oder Handy-Fotos. Das ist Häußlers Politik seit dem Sommer 2010: Den Widerstand bekämpfen. Leute, die daran teilnehmen, mindestens einschüchtern, besser noch kriminalisieren. 

Auch das Internet wird ausgespäht

Denn die Polizei, die eine Wohnung durchsucht, sagt den Nachbarn gewöhnlich nicht, dass der Durchsuchte lediglich Zeuge ist und es nur um Beweismittel geht. Und alle Durchsuchten geben an, sie hätten rausgerückt, was Häußler haben wollte, hätte er nur danach gefragt. In mehr als einem Fall wurde außerdem lediglich beschlagnahmt, was jedermann seit Tagen und Wochen im Internet anschauen konnte. Internet-Seiten, auch Facebook beispielsweise, wurden nach Fotos durchforstet, um durch den Abgleich mit eigenen Aufnahmen Verdächtige zu identifizieren. Mehrere hundert Menschen wurden Verhören unterzogen und erkennungsdienstlich behandelt.

Wiederum anders als bei den Wasserwerfer-Besatzungen, wo Häußlers Abteilung sich mit "fahrlässiger Körperverletzung" bei Tätern bescheidet, die über Stunden hinweg mit 16 bar Druck Menschen ins Gesicht gezielt - und getroffen und schwer verletzt - haben, holt er diesmal den Hammer raus: Insgesamt 168 Beschuldigte will er verurteilt sehen, Minimum 90 Tagessätze (also drei Netto-Monatsgehälter) bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen.

Zwar wurde der laut nach außen posaunte Vorwurf des "versuchten Totschlags" stillschweigend fallen gelassen, doch sei am Rande erwähnt, dass erst ein solches Kaliber von Vorwurf - eine so genannte "Katalogstraftat" - den Ermittlern beispielsweise die Auswertung aller Handy-Daten einer bestimmten Funkzelle erlaubt. Nichtsdestotrotz blieb der abstruse Vorwurf des "versuchten schweren Raubes" gegen einen der Männer übrig, die versucht hatten, den windigen Glatzkopf zu entwaffnen, der für niemanden erkennbar ein Zivil-Polizist war. Andernorts würde solchen Leuten eine Tapferkeitsmedaille verliehen. Sind es nicht unsere Politiker, die, wann immer in einer S-Bahn alltägliche Gewalt aufscheint, mehr Zivilcourage von uns einfordern?

Bei uns wird das von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Und nur in Baden-Württemberg erscheint es möglich, dass ein einzelner OStA (Oberstaatsanwalt) wie Häußler seine persönlichen politischen Ansichten seiner Abteilung vorgibt. Völlig unabhängig davon, was im Gesetz steht. Die jüngste Rechtverdreherei: Für gewöhnliche Widerstandshandlungen, wie etwa das beinah' allwöchentlich vorkommende Blockieren von Baustellenfahrzeugen, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart jetzt den "Tarif" erhöht und fordert mehr Tagessätze mit der - ausschließlich politischen - Begründung, die Volksabstimmung im Herbst 2011 habe schließlich eine demokratische Mehrheit für den Bau von Stuttgart 21 erbracht und folglich sei Widerstand dagegen verwerflicher als vorher und demnach eben - teurer.

Vor Gericht kriegt Häußler eine Ohrfeige verpasst

Solche Nummern lässt Häußler und seiner Truppe aus der Elite-Abteilung 1 der Staatsanwaltschaft nicht jeder Richter durchgehen. Der erste Prozess in Sachen "Stürmung des GWM", der bisher überhaupt stattgefunden hat, wurde für die Staatsanwaltschaft sogar zum Desaster. "Nur einen Bruchteil dessen, was in der Anklageschrift zugrunde gelegt war", fand das Landgericht Stuttgart des Verurteilens würdig und sprach zwei Angeklagte vom Vorwurf des Landfriedensbruchs frei, denen nichts anderes nachzuweisen war, als dass sie das Gelände betreten und sich umgesehen hatten. Dennoch legte die Staatsanwaltschaft auch dagegen Revision ein - aus gutem Grund. Schließlich verfolgt sie allein 48 Beschuldigte mit Strafbefehlsanträgen von 90 Tagessätzen nur deshalb: dort gewesen, nichts gemacht, aber identifiziert worden.

Einschub, der dritte: Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart zu den Vorkommnissen des 20.6.2011 sind niedergelegt in zwölf "Ermittlungs- und Beweismittel-Aktenordnern", in der 41 Zeugenvernehmungen (überwiegend) von Polizeibeamten veraktet sind sowie - sage und schreibe - 7889 Fotos, 251 Videos und 137 Youtube-Filme. Zugucken, fotografieren und filmen konnte die Polizei also an dem Tag in einem Umfang, wie es unvorbereitet kaum ein Hollywood-Studio könnte, aber eingreifen oder wenigstens über Lautsprecher durchsagen, dass die "Besetzer" schweren Landfriedensbruch begehen und besser heimgehen sollten, konnte sie nicht?

Einschub, der vierte: Bis heute wundern sich eine Menge Menschen in dieser Stadt, die an diesem Abend ebenfalls das fragliche Gelände betreten haben, warum sie nie deswegen verfolgt worden sind. Unter 7889 Fotos, 251 Videos und 137 Youtube-Filmen müssten wohl leicht auch mehrere Abgeordnete von Land- und Bundestag zu identifizieren gewesen sein, eine geraume Menge von Journalisten, durchaus der eine oder andere vormalige und daher polizeibekannte Kundgebungsredner sowie mehr als eine Handvoll sonstiger Prominenter, deren Konterfei wenigstens einer aus einer ganzen "Ermittlungsgruppe Grundwasser" schon mal in der Zeitung gesehen haben müsste. Stattdessen werden nur die "üblichen Verdächtigen" verfolgt. Prominenz, also Öffentlichkeit, so scheint es, schadet den Ermittlungen Häußlers. Vor allem aber wohl seinen politischen Zielen. Dass auch Projektbefürworter das Gelände betraten und nicht verfolgt wurden, wundert dagegen weniger.

Solche Strafverfolgung ist richtig teuer

Die Redaktion von kontext:wochenzeitung hat erfahrene Strafrechtler gebeten, einmal die Kosten hochzurechnen, die entstehen können, wenn allein nur jene 48 des Landfriedensbruchs Beschuldigten, ohne sonst irgendetwas angestellt zu haben, die Strafbefehle über drei Netto-Monatsgehälter nicht akzeptieren und in die Hauptverhandlung gehen. Angesichts der Schwere des Vorwurfs, also "Landfriedensbruch", und der bereits in den Anträgen formulierten Drohung, bei Nicht-Annahme des Strafbefehls sei vor Gericht sogar "Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall" zu prüfen, wäre dann jedem der Beschuldigten ein Pflichtverteidiger zuzuordnen. Da kein Amts- und auch kein Landgericht gleichzeitig gegen 48 Beschuldigte verhandeln kann, müsste wie üblich aufgeteilt werden in Gruppen von höchstens je fünf Beschuldigten. Jede Verhandlung würde, bei der Aktenlage und bei der Menge von Beweisanträgen, die Verteidiger schon angekündigt haben, nicht unter acht bis zehn Verhandlungstagen abgehen. Gäbe es Freisprüche vor dem Amtsgericht, womit zu rechnen wäre, müsste die Staatsanwaltschaft, um ihr Gesicht zu wahren, Berufung einlegen. Und Revision, wenn es Freisprüche, wie bereits geschehen, vor dem Landgericht gibt.

Nur diese 48 Fälle, sagen uns Experten, kosten den Steuerzahler, wenn die Staatsanwaltschaft nicht Recht bekommt, eine halbe Million Euro. Und dann sind noch 120 andere Fälle offen. Allein zum 20.6.2011.

Einschub, der fünfte: Die Redaktion von kontext:wochenzeitung ist der Überzeugung, dass Strafverfolgung in dieser Gesellschaft keine Frage des Geldes sein darf. Allerdings meinen wir, dass Strafverfolgung auch nicht das Hobby eines einzelnen sein darf. Und eine halbe Million Euro wegen nahezu nichts halten wir für ziemlich viel Geld nur dafür. 

Noch immer sind, beinah exakt zwei Jahre danach, die Strafbefehlsanträge gar nicht erlassen, weil die Häußler-Abteilung zunächst anderthalb Jahre ermittelte, sich dann Amts- und Landgericht über die Zuständigkeit stritten und schließlich die zuständige Richterin wegen erwiesener Befangenheit abgezogen werden musste. Klar ist heute schon, dass alle, falls sie je verurteilt werden sollten, strafmildernde Urteile erwarten können, weil allein die Verfahrensdauer gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt.

Klar ist auch, dass Bernhard Häußler kein Allein-Täter ist. Er ist nicht der Chef der Staatsanwaltschaft Stuttgart, sondern hat als Abteilungsleiter zwei Hierarchie-Stufen über sich. Darüber steht die Generalstaatsanwaltschaft, die ebenfalls in Ordnung findet, was Häußler treibt. Und darüber gibt es den Justizminister, der seit zwei Jahren im Amt ist, Interviews zu Häußler ablehnt und sich, wenn es gar nicht mehr anders geht, gleichzeitig vor, hinter und neben Häußler stellt.

Rainer Stickelberger, heißt der Mann. Hier in kontext:wochenzeitung wurde vor geraumer Zeit eine Redewendung formuliert, die vielfach übernommen und verbreitet wurde. "Die SPD", schrieb Josef-Otto Freudenreich den Grün-Roten zum Einjährigen, sei die beste "Urlaubsvertretung", die sich die CDU nur wünschen könne. Und in tausend kalten Wintern nicht, fügen wir heute hinzu, hätte die Mappus-CDU einen verschlafeneren Justizminister als Stickelberger auf die Beine gebracht.


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11 Kommentare verfügbar

  • Dr. Elvira Weißmann
    am 29.11.2013
    Antworten
    Danke für diesen ausgezeichneten Artikel!
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