Was da verhandelt wird seit dem 24. Juni im Saal 18 des Landgerichts, ist dennoch "einmalig in der bundesdeutschen Geschichte". So jedenfalls stuft ein unserer Redaktion vorliegender Text, der aus dem Innenministerium eines anderen Bundeslands stammt, jenen Vorgang ein, der sich am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten über Stunden hinweg abgespielt hat: Wasserstöße mit teils maximalem Druck gegen eine Menschenmenge – zum Zweck der Räumung eines Geländes und nicht etwa zur Abwehr von gewalttätigen Angriffen.
Dass die Wasserstöße zur Gefahrenabwehr erforderlich und verhältnismäßig gewesen wären, behaupten nicht einmal die beiden Angeklagten. Denn ihre Verteidigung geht dahin, sie hätten von diesen Regelverstößen und den verursachten Verletzungen nichts mitbekommen. Verräterisch freilich die eine und andere Einlassung der beiden Beamten zu Videos, die im Gerichtssaal abgespielt werden. Der Angeklagte Andreas F. einmal wörtlich: "Hier ist eine große Menschenansammlung, die im Prinzip wegmuss." Und sein Kollege Jürgen von M.-B. ein andermal sinngemäß: Freilich hätten sich da auch Kinder befunden, sogar direkt vor dem Wasserwerfer.
Für ihre Fälle sind diese Aussagen nicht relevant, wohl aber dann, wenn einer den Blick wagt auf den Einsatz als Ganzes. Der ist vor Gericht bisher unterblieben und wird es wohl bleiben, denn die Beschränkung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft allein auf Kopftreffer der Wasserwerfer verstellt genau diesen Blick. Schließlich ging polizeiliche Gewalt am Schwarzen Donnerstag beileibe nicht nur von Wasserwerfern aus, sondern auch von massenhaft versprühtem Pfefferspray, von Schlagstöcken und von in Kampfmonturen steckenden Ellenbogen und Fäusten. Zeugen im Prozess schildern das anschaulich, Polizeivideos belegen die Aussagen – doch das spielt in diesem Verfahren so wenig eine Rolle wie die Tatsache(n), dass einerseits die Reiterstaffel mit ihrem enormen physischen Drohpotenzial sehr früh eingesetzt wurde, das Antikonfliktteam der Polizei dagegen gar nicht.
Auch die Angeklagten wollen den Blick aufs Ganze
Die Betrachtung nur einer Einsatzart (Wasserwerfer) geht daher in der rechtlichen Bewertung des Einsatzes fehl. Das sieht sogar Andreas F. so: "Es geht immer um das Ganze." Man müsse alle Maßnahmen zusammen sehen. Und der damalige Polizeipräsident Siegfried Stumpf hatte kürzlich vor dem Untersuchungsausschuss "SchlossgartenII" des Landtags Zweifel bekundet: "Man muss fragen: Erklärt sich das Geschehen aus sich selbst?"
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Reinhard Gunst
am 19.08.2014