Wie nahezu alle Verletzten, die bislang ausführlich als Zeugen vernommen wurden, berichtet beispielsweise Alexander S. von kollektiven Hustenanfällen nach dem Einsatz von Wasserregen. Außerdem sei ihm übel geworden. Dass viele Menschen, die anfangs ja nur mit Wasser "benetzt" wurden, heftig husten mussten, ist auf Polizei-Videos im Gerichtssaal immer wieder zu sehen. Außerdem sind bei Kontext:Wochenzeitung in den vergangenen Wochen neue Hinweise und Aussagen von Betroffenen eingegangen, die vielleicht noch eine Rolle spielen werden. Beispielhaft (auch in manch anderer Hinsicht) ein Auszug aus dem Schreiben von Petra H., die wie ihr Mann Christoph auch zu den bislang behördlich nicht erfassten Personen gehört, die am Kopf getroffenen wurden:
"Als die Durchsage der Polizeilautsprecher uns aufforderte, die Straße freizumachen, kam ich dieser Aufforderung nach und stellte mich in einiger Entfernung auf die Wiese. Als ich nach meinem Mann schaute, traf mich ein wahnsinnig starker Strahl Wasser mitten ins Gesicht, so dass ich zurück taumelte. Ich war so erschrocken und wusste erst nicht, was mir da geschehen war; ich stand doch in der Wiese und war der Aufforderung nachgekommen! Meine Brille war weg. Ich fand sie dann völlig verbogen in der Wiese. Ich musste husten und stellte dann fest, dass die Menschen neben und hinter mir genauso husten mussten. Da wurde mir klar, dass sich im Wasser Reizgas befunden hatte. Daher auch das Brennen meiner Augen. Ich bekam Angst und ging bis zum Biergarten zurück. Die Aufforderungen der Polizei, die Straße zu verlassen, gingen weiter, worauf mich jedoch der Strahl des Wassers immer noch am Rücken und am Hinterkopf traf. Der Wasserstrahl wurde also weiterhin gezielt auch auf die Menschen gerichtet, die die Straße verlassen hatten."
Notarzt erhebt schwere Vorwürfe
Auch Dr. med Markus D. hat sich bei Kontext gemeldet. Der Arbeitsmediziner ist für den Rettungsdienst ausgebildet und war einige Jahre als Notarzt tätig. Als er am 30.9.2010 gegen 14 Uhr im Internet den Aufruf las, dass im Schlossgarten dringend medizinische Hilfe benötigt werde, machte er sich mit seiner Notfallausrüstung auf den Weg. Ab etwa 14.30 Uhr behandelte er zunächst auf der Wiese "hinter der Linie" Verletzte, bis er selbst - an seiner Notarztjacke deutlich als Helfer erkennbar - unter Beschuss des Wasserwerfers geriet und seine Hilfeleistung in das Behelfslazarett beim Biergarten verlegte.
In seiner ausführlichen Schilderung, die Kontext vorliegt, erhebt Markus D. schwere Vorwürfe, weil keine notfallmedizinische Versorgung organisiert gewesen sei, und äußert die Vermutung, bei schneller und professioneller Hilfe hätten Verletzungsfolgen geringer ausfallen können, insbesondere bei schweren Augenverletzungen. D. ist überzeugt, dem Wasser der Wasserwerfer sei CS-Gas beigemischt worden. Auch hierzu verfüge er über frühere Erfahrungen. Als er selbst getroffen wurde, roch er Tränengas, verspürte ein brennendes Gefühl im Mund- und Rachenbereich und hatte tränende Augen.
Bei der Behandlung Verletzter konnte er zwei Gruppen deutlich unterscheiden: Opfer von Pfefferspray mit starker Reizwirkung im Bereich der Augen, die ohne Betäubung der Hornhaut kaum zu öffnen waren, dazu starke Rötungen im Bereich der getroffenen Hautpartien um Augen, Lider und Wangen. Hingegen seien bei CS-Gas-Beimischungen viele Verletzte gleichzeitig zur Behandlung gekommen mit Augenreizungen und Reizungen der Atemwege, jedoch ohne Hautrötungen im Augenbereich.
Der erste Untersuchungsausschuss fragte nicht nach
Dem Vorwurf, dass zumindest zeitweise Reizgas dem Wasser beigemischt gewesen sein könnte, wurde nie gründlich nachgegangen, obwohl er schon früh erhoben wurde. Zum Beispiel von Volker Lösch im ersten Untersuchungsausschuss des Landtags. Der Regisseur, der als einer der wenigen Augenzeugen des Schwarzen Donnerstags im Ausschuss zu Wort kam, hatte ausführlich von ähnlichen Beobachtungen wie weiter oben beschrieben berichtet. Dies gab aber keinerlei Veranlassung zu Nachfragen. Mitglieder der Ausschussmehrheit hatten stattdessen mit Volker Lösch wichtigere Fragen zu klären. Zum Beispiel entspann sich mit der CDU-Abgeordneten Nicole Razavi folgender Dialog, nachdem Lösch berichtet hatte, seine 14-jährige Tochter habe an der Schülerdemo teilgenommen:
Razavi: Da frage ich mich: Was tut Ihre 14-jährige Tochter tagsüber im Park? Ist man mit 14 eigentlich nicht schulpflichtig?
Lösch: Das wissen Sie doch, was sie da getan hat. Es ist - -
Razavi: Ich stelle die Frage nur in den Raum. Ein 14-jähriges Mädchen und schulpflichtig ist - -
Lösch: Wahrscheinlich wären Sie als 14-Jährige nur hingegangen, wenn Ihnen das jemand gesagt hätte. Meine Tochter ist - -
Razavi: Nein, ich wäre als 14-Jährige gar nicht hingegangen, weil ich war damals, genauso wie Ihre Tochter, schulpflichtig. Deswegen wäre ich in der Schule gewesen. Andernfalls hätten mir meine Eltern etwas erzählt.
Lösch: Das haben Sie ja schon so dargelegt, dass Sie autoritär aufgewachsen sind.
Razavi: Aber ich habe Sie etwas gefragt - - Ich bin nicht autoritär aufgewachsen, sondern ich bin als guter Staatsbürger erzogen worden. Lassen wir mal die Fragestellung."
Kein Wunder, dass auch folgender Vorhalt des heutigen Kultusministers Andreas Stoch (SPD) während der Zeugenvernehmung des Polizeipräsidenten Stumpf ohne Konsequenzen in der Aufklärung blieb: "Es gibt einen Punkt, an dem wurde Reizgas eingesetzt, und an dem wurde Wasserwerfer unmittelbar gegen Personen eingesetzt. Es gibt Zitate aus dem Funk. Beispiel: "Die schießen wir aus dem Baum." Das sind für mich Punkte, wo ich für mich nach meiner rechtlichen Wertung nicht mehr die Deckung durch das, was Sie als Rechtsgrundlage im Polizeigesetz genannt haben, sehe."
26 Kommentare verfügbar
Ks
am 08.09.2014Man muß aber auch mal "die Kirschen im Dorf lassen". Das gilt auch gerade für den Koautpr als ehemaligen Richter: Die beteiligten Wasserwerferbesatzungen haben grundsätzlich ein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn sie sich selbst…