Man hätte auch so reagieren können, wie Bernhard Ilg, der Oberbürgermeister der Stadt Heidenheim. Der CDU-Politiker schreibt: "Ich habe Ihren Beitrag in Kontext gelesen und kann Ihren Ärger über den gedankenlosen Umgang mit dem Volkslied gut verstehen. Mir selbst ist bei der Premiere der von Ihnen aufdeckte Zusammenhang zwar nicht aufgefallen, was aber nichts daran ändert, dass der achtlose Umgang mit Volksliedern zu bedauern ist. Ich könnte mir vorstellen, dass die Verantwortlichen im Naturtheater daran interessiert sind, Ihren Expertenrat zu hören."
Bei Letzterem irrt Herr Ilg. Das Naturtheater will nichts wissen, nicht nachdenken. Und die örtliche SPD, in Gestalt ihres Geschäftsführers Stefan Oetzel, meint, das Stück gehe zwar mit dem Thema Nazismus "zu salopp" um, aber gewiss "ohne Absicht - zum Glück". Diese Absicht ist aber vorhanden. Mit Vorsatz. Gut getarnt als "Stilmittel" der Freizeit-Unterhaltung und vordergründig, dem Laientheater geschuldet, eben "unpolitisch". Aber was heißt schon unpolitisch? Und was sagt die Heidenheimer Presse dazu? Sie schweigt. Das Naturtheater ist ihr Highlight.
Wenn gute Geschichte für ein paar billige Lacher vergewaltigt und durch den Dreck gezogen wird, wie in Heidenheim passiert, ist das zweifellos eine politische Äußerung, die so nicht unkommentiert stehen bleiben kann.
Ist es nicht gerade in letzter Ausprägung auch eine Art Nazimentalität, die eben mit genau solchen populistischen Halbwahrheiten immer wieder versucht, Leute für ihre Ziele hinter die Fichte zu führen? Begibt man sich damit nicht aus purer Dummheit in höchst gefährliche Nähe zu eben jenen Charakteren, die Geschichte schon immer für ihre Zwecke "inszenierten", gegen die man vorgibt letztlich dagegen vorzugehen? Nazis raus aus Heidenheim?
Was ist mit dem Respekt gegenüber der eigenen Geschichte? Warum ist es nicht möglich, in diesem Lande aufrecht das Wertvolle unserer Geschichte zu bewahren? Sind das die Auswirkungen einer privatisierten Medienlandschaft, die seit nun mehr als drei Jahrzehnten uns glauben machen will, dass die Vielfalt wächst. Ist nicht nur die Vielfalt in der Einfalt massiv gewachsen, vor der heutzutage jeder öffentlich-rechtliche Programmmacher wie vorm Gott der Quote vorauseilig einknickt? Erleben wir die Freie Republik der Dummheit durch ganz legale Wahlen? Versinkt unser Geschichte letztlich im gierigen Schlund des immer geilen Konsumenten, der im Laufe der Zeit vor lauter Wachstumswahn vom Dichter und Denker zum aggressiven Schnäppchenjäger mutiert ist?
Wir dürfen unsere Geschichte nicht für uncool halten
Wenn wir unsere Geschichte nicht mehr verstehen, sie gar nicht mehr verstehen wollen, so frei sind, sie für uncool und doof zu halten, sie vernebeln, aus Bequemlichkeit oder Unvermögen, dann gibt es keine Identität mehr. Man ist verdammt als Imitator, fremdbestimmt durchs armselige Leben zu stolpern. Ideen gibt es auch keine mehr, das war gestern. Erfindungen bleiben aus. Man ist auf andere angewiesen. Abhängig. Wirtschaftlich wie kulturell. Im Eimer. Dabei weiß doch jeder, dass es ohne Vergangenheit keine Zukunft gibt.
Wo sind die Ideale geblieben? Gerechtigkeit, Solidarität, Friedfertigkeit. Ideale, deren Funktion ja noch nie darin bestand, sie sofort zu erfüllen, sondern darin, ihnen zu folgen! Warum, in aller Welt, ist es heute so schwierig geworden, einen Fehler einzugestehen und mit der entsprechenden Korrektur wieder aus der Welt zu schaffen? Warum ist das Recht-haben-müssen so immens bedeutungsvoll? In dieser Welt braucht es keine Geschichte und keine Traditionen mehr - und keine Freiheitslieder. Willkommen im "Land of the Free".
Anmerkung der Redaktion: Jenseits der Ostalb ist Schmeckenbechers Kritik auf Zuspruch gestoßen. Der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski (Badenweiler) gratulierte ihm zu dem "fundierten, sorgfältigen und leidenschaftlichen Artikel". Safranski hat einst zusammen mit Peter Sloterdijk das "Philosophische Quartett" im ZDF moderiert.
3 Kommentare verfügbar
hju
am 04.09.2014Worin unterscheidet sich dieses kulturpessimistische Geheule eigtl. von dem…