"The Blues Brothers" sind ein Klassiker, entstanden in den späten 70er-Jahren, endgültig zum Kult geworden Anfang der 80er als Roadmovie von John Landis. Die Heidenheimer spielen das ganz hübsch. Die Musik, die Band mit guten Musikern, die Performance der Akteure, die feine Choreographie mit viel Bewegung, Farbe und lustigen Szenen. Kurz: Es hätte ein wirklich schöner Theatersommerabend werden können. Hätte, hätte, hätte ...
In der ersten Hälfte tauchen plötzlich "Neonazis" auf, die, von rechts kommend, im Gleichschritt und in alten gelb-beigen Landespolizeiuniformen das Lied "Im Frühtau zu Berge ..." grölen. Hoppla, denke ich, die werden doch nicht ausgerechnet dieses Lied als typisches "Neonazi-Lied" singen wollen. Oh doch, die wollten. Die sangen, als ob sie keine Ahnung von der Geschichte des Liedes hätten, vehement und unbedarft und gerade so, als ob der Regie entgangen wäre, dass die Inszenierung damit auf Stammtischniveau landete. Es sei denn, der Regie ist gar nichts entgangen, es sei denn, das war Absicht.
"Im Frühtau zu Berge": Das seit Mitte der 1920er-Jahre populäre Wanderlied stammt aus Schweden. Den ursprünglichen Text des Liedes ("Vi gå över daggstänkta berg") schuf der Maler und Dichter Olof Thunman im Jahr 1900 zu einer traditionellen schwedischen Melodie. Das Lied findet sich bis heute vor allem im Repertoire von Jugend- und Wanderliederbüchern, missbraucht haben es die Nazis, so, wie sie das Volkslied überhaupt missbraucht haben. In dem Lied steckt aber die Wahrheit des Urhebers, die es zu respektieren gilt. Immer. Und die hat mit NS-Gedankengut rein gar nichts gemein, dafür gibt es haufenweise Lieder, die typisch für alte und neue Nazis sind. Da muss nicht "Im Frühtau zu Berge" für eine erneute Demütigung herhalten.
Die Heidenheimer Formel: Volkslied = bieder = doof = Nazikram
Offenbar doch. Ich muss es erleben. In Block C , Reihe 8, Platz 56. Bühnennazis im Gleichschritt grölen "ihr" Kulturgut und singen "natürlich" deutsche Volkslieder. Und indem man deutsche Volkslieder lächerlich macht, drückt man seine "entschiedene politische Gegnerschaft gegen die Neonazis" aus. Eben nicht. Das ist ein konservativer Spießbürger-Irrtum.
Auch das Lied "Auf einem Baum ein Kuckuck saß ..." wird braun eingefärbt, und das ist noch grotesker. Auch hier die Formel für das Publikum: Volkslied = bieder = doof = Nazikram. Die Regie haut der braunen Bande nicht etwa aufs Maul und lässt sie tatsächlichen Nazischeiß singen, sondern verknüpft vergewaltigte Lieder wieder mit den einstigen und neuen Vergewaltigern und macht so die eigentlichen Opfer, die Lieder nämlich, zu Mittätern.
12 Kommentare verfügbar
Lowandorder
am 03.08.2014Zu seiner Beobachtung und der Reaktion eines Mitwirkenden hier paßt es - als feine Ironie der Geschichte -
daß unser meckelnbörger Präsi Gauck de Jauch* -
die Freiheit so lauthals im Munde führt - aber ebenso lauthals für Kriegseinsätze die…