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AfD-Verbotsverfahren

Fünf vor zwölf ist vorüber

AfD-Verbotsverfahren: Fünf vor zwölf ist vorüber
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Während die Union in ihrem Umgang mit der AfD unentschieden bleibt, stellt der Kieler Landtag entscheidende Weichen. Fraktionsübergreifend wurde ein gestaffeltes Vorgehen beschlossen mit dem Ziel: Verbot oder Teilverbot.

Nur in zwei Landesparlamenten sitzt die "Alternative für Deutschland" derzeit noch nicht: in Schleswig-Holstein und in Bremen. Die Hansestadt ist mindestens eine Studienreise wert, weil hier die Rechtsnationalist:innen so gar keinen Fuß auf den Boden bekommen. Einerseits selbst verschuldet, weil sie so zerstritten waren, dass sie 2023 nicht einmal rechtmäßig zur Bürgerschaftswahl antreten konnten. Aber auch weil die Wählerschaft "irgendwie resilient" ist, wie die "Zeit" dieser Tage feststellte.

Die Nachbar:innen in Kiel wollen sich auf diese Resilienz nicht (mehr) verlassen. 2022 war die AfD, auch dort intern verfeindet, aus dem schleswig-holsteinischen Landtag geflogen. Inzwischen hat sie über verschiedene Kommunen und Kreise an Einfluss zurückgewonnen und liegt landesweit in Umfragen bei 14 Prozent. "Wir sprechen nicht mehr über eine Partei, die sich am Rand bewegt, sondern über eine, die sich in weiten Teilen längst jenseits der demokratischen Grundsätze positioniert hat", sagt CDU-Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.

Deswegen hat der Landtag nun auf Antrag von CDU, SPD, Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) – die FDP enthielt sich – die schwarz-grüne Landesregierung aufgefordert, ein Verfahren vorzubereiten, um herauszufinden, ob die AfD verboten werden kann. Zunächst allerdings muss das Verwaltungsgericht Köln über den Eilantrag der AfD gegen ihre Einstufung als gesichert rechtsextrem entscheiden. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein Gutachten des Bundesverfassungsschutzes über 1.100 Seiten, das im Mai 2025 geleakt und dann wieder unter Verschluss genommen wurde. Viele Details daraus sind bekannt, darunter Informationen über den AfD-Landesverband in Schleswig-Holstein oder über baden-württembergische AfD-Poliker:innen und deren Verwendung eines "ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs".

Der Kieler Antrag verlangt, nach einem entsprechenden Urteil aus Köln unter Federführung des Bundes die konkrete Arbeit gemeinsam in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe voranzutreiben. Und in Punkt zwei heißt es, die Landesregierung werde gebeten, sollte diese Arbeitsgruppe "in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden und externer wissenschaftlicher Expertise zu einem belastbaren Ergebnis kommen, sich auf Bundesebene für die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei 'Alternative für Deutschland' (AfD) einzusetzen". Erstmals liegt ein solcher Beschluss mit CDU-Zustimmung auf dem Tisch. Dieser Weg sei "kein außergewöhnlicher oder willkürlicher, sondern einer, den die Verfassung unseres Staates vorsieht", so Sütterlin-Waack. Ihn zu prüfen und zu beschreiten, bedeute eine große Verantwortung.

Die frühere Kommunalpolitikerin und Bundestagsabgeordnete empfiehlt in diesem Zusammenhang die Herangehensweise im hohen Norden als Modell: "In Schleswig-Holstein haben wir es durch einen respektvollen und konstruktiven Umgang miteinander und eine Politik, die stets nach Lösungen sucht, geschafft, dass die AfD nicht im Landtag vertreten ist." Übersetzt heißt das so viel wie: Durch Verzicht auf das Schlechtreden der jeweils demokratischen Parteien und auf unerfüllbare Versprechungen wurde eine Stimmung vermieden, mit der schwallartig Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen gelenkt wird.

Erstmal einen AfD-Landesverband verbieten

Umfrageergebnisse aus den fünf Bundesländern im Osten von 34 bis 40 Prozent für die AfD zeigen ohnehin, dass fünf vor zwölf vorüber ist. Seit zwei Jahren wirbt der Publizist Heribert Prantl auf etlichen Ebenen, in "Süddeutscher Zeitung" ebenso wie im eigenen Blog oder in TV-Debatten, dafür, "die Instrumente der wehrhaften Demokratie zu entrosten" und ein Verbot der AfD-Landesverbände in Thüringen und Sachsen-Anhalt in die Wege zu leiten, weil die "dort vom Verfassungsschutz als kämpferisch verfassungsfeindlich beschrieben" würden. Immer häufiger verweisen Staatsrechtler:innen zudem auf das zweite Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2017 zu einem NPD-Verbot, das wie das erste den Verbotsantrag verworfen hatte. Der Hauptgrund: Zwar missachte die Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung, jedoch erscheine ein Erreichen "der verfassungswidrigen Ziele mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln" ausgeschlossen.

Erhört wurden diese und viele andere Stimmen bisher nicht. Monstranzartig tragen gerade Unionspolitiker:innen südlich von Kiel die Aufforderung vor sich her, die AfD politisch zu bekämpfen. So als würden die Mitglieder demokratischer Parteien im Netz und in Fußgängerzonen, in Räten und Parlamenten nicht genau das seit Jahren engagiert versuchen. Der Bundeskanzler hat die Partei mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen gerade sogar zum Hauptgegner erklärt. Friedrich Merz (CDU) habe sie klein- oder wegregieren wollen, schreibt Ulrich Reitz im "Focus", was "allerdings bisher nicht geklappt" habe. Und in den Nachrichtenkanälen bemängeln Politikprofessor:innen unisono die am Wochenende auf der CDU-Klausur ausgesprochene Kampfansage an die AfD im besten Fall als unkonkret und im schlechten als diesem Motto gehorchend: "Augen zu und durch."

Dem würde sich die Südwest-SPD widersetzen und stattdessen den Antrag aus Schleswig-Holstein unterstützen. Der sei "getragen von einem breiten demokratischen Bündnis und mit einem klaren Auftrag an die Landesregierung und wäre sicher auch in Baden-Württemberg ein gutes Signal", sagt Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch auf Kontext-Anfrage. Und: "An uns würde das nicht scheitern." Denn die AfD sei mindestens in weiten Teilen gesichert rechtsextremistisch, sie radikalisiere sich weiter, stehe für eine verfassungsfeindliche Agenda und unterstütze staatsfeindliche Netzwerke. Der Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl im März 2026 findet: "Wenn immer mehr Rechtspolitiker aus dem gesamten demokratischen Spektrum einen Verbotsantrag für erfolgversprechend halten, sollten wir diesen Antrag stellen."

Vor der Wahl passiert hier wohl nichts

Die SPD hat sich bereits per Bundesparteitagsbeschluss für eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ausgesprochen. Führende Unionspolitiker:innen aber blockieren. Allen voran Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), der seit Wochen immer wieder beteuert, sich an einen solchen Vorstoß des Koalitionspartners nicht gebunden zu sehen. Sein Stuttgarter Kollege Thomas Strobl (CDU) verweist immerhin auf seine eigenen Äußerungen, "etwa in der Innenministerkonferenz von Anfang an", wonach alle Verantwortlichen zumindest das Ziel haben müssten, eine einheitliche Linie zu finden: "Da müssen Demokraten zusammenbleiben, da gibt es keinen Platz für Frau Maier oder Herrn Schulze, sich parteipolitisch zu profilieren." Konkreter wird er nicht. Süttlerin-Waack erinnert an das Schicksal der "Weimarer Republik, die den Angriffen auf die Demokratie am Ende schutzlos gegenüberstand". Deshalb sei es "unsere Pflicht, sorgfältig zu prüfen, ob ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten ist".

Wer, wie auch die Grünen-Bundestagsfraktion, ein parteiübergreifendes Vorgehen befürwortet, muss also auf Schleswig-Holstein und die dortige CDU hoffen. Und auf deren Strahlkraft hinein in andere schwarze Landesverbände. Für Baden-Württembergs Grünen-Spitze ist Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) Vorbild. Denn er sei ein "wehrhafter Demokrat", so Landeschef Pascal Haggenmüller, "der sich traut, entschlossen zu Maßnahmen zu greifen, wenn es darum geht, Schaden von der Demokratie abzuwenden. Und das AfD-Verbotsverfahren ist eine solche Maßnahme." Die CDU hingegen sei insgesamt "als Partei unentschieden".

Die Erwartungen, vor der Landtagswahl im März hierzulande noch einen Konsens zu finden, sind dementsprechend gering. Was an Winfried Kretschmanns Konfliktvermeidungsstrategien und Regierungsverständnis liegt. Dabei müsste sich der grüne Ministerpräsident nur an Hannah Arendt halten, an ihr Verständnis von Macht und deren Interpretation, wonach Macht entsteht, "wenn Menschen sich um eine Idee versammeln und gemeinsam handeln". Im vorliegenden Falle hinter der, einen Verbotsantrag anzugehen – ohne Schielen auf tatsächliche oder vermeintliche eigene politische Vorteile.

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1 Kommentar verfügbar

  • Thomas
    am
    Antworten
    Heilmittel gegen die AFD:
    - Sorge für weniger Prekariat.
    - Arbeite die Wiedervereinigung und die Taten der Treuhand auf.
    -Sorge für für alle bezahlbare Lebensgrundlagen wie Wohnen, Bildung und Mobilität, etwa indem der Giniindex hier wieder weiter weg von 1 (totale Ungleichheit) geht.
    - Sorge…
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