Das ist eine demokratietheoretische Debatte. Belege dafür, dass die AfD die demokratische Verfasstheit abschaffen will, da stimmen mir Kolleg:innen aus der Forschung zu, liegen vor; zuletzt beobachtbar im Thüringer Landtag. Juristisch gesehen sind die Aussagen einzelner Personen nicht hinreichend. Es muss die Absicht nachgewiesen werden, das demokratische System umzustürzen. Die entscheidende Frage lautet: Wo stehen wir eigentlich? Und die würde ich aus der Perspektive der Betroffenen beantworten. Aus dieser Perspektive gibt es sehr gute Gründe, die AfD zu verbieten. Weil Menschen bedroht sind, ihnen Gewalt widerfährt, sie sich zurückziehen, nicht mehr politisch teilhaben, und weil es hier klare Antworten braucht im besten Sinne einer wehrhaften Demokratie. Wir sind in der Gesellschaft an einem Punkt angekommen, wo wir nicht nur eine Diskursverschiebung nach rechts haben, sondern auch eine Verschiebung innerhalb des gesamten politischen Gefüges. Es muss eine Zäsur geben. Das wäre meine Hoffnung, die sich mit einem Verbot verbindet.
"Wenn die rechtsextrem sind, warum kann ich die dann wählen, die können nicht so schlimm sein" – das habe ich im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl in Erfurt oft gehört.
Die AfD ist keine Partei wie jede andere und sie ist nicht dadurch demokratisch, dass sie in einem demokratischen System gewählt werden kann. Insofern wäre ein Verbot auch ein gesellschaftliches Signal. Wenn man die Statistiken der Opferberatungsstellen in den drei ostdeutschen Bundesländern anschaut, wo gewählt wurde, sieht man: Im Zuge des Wahlkampfes gab es Orte, in denen Menschen verstärkt rechte Gewalt widerfährt.
Sie sprechen von Geflüchteten, jüdischen und queeren Menschen, von linken Aktivist:innen, die sich einsetzen für eine offene, demokratische Gesellschaft.
Viele dieser Menschen haben Angst rauszugehen. Es gibt diese rechten Dominanzen wieder mehr. Darüber wird zu wenig gesprochen, über die Angriffe wie etwa im vergangenen Sommer, auch auf Einrichtungen der Lebenshilfe.
Eine Organisation für Menschen mit geistiger Behinderung.
Übrigens waren die beiden Angriffe im Westen. In die Geschäftsstelle und in eine Wohneinrichtung der Lebenshilfe in Mönchengladbach wurden Steine geworfen, auf denen stand: "Euthanasie ist die Lösung". Man kann vermuten, dass das rechte Täter:innen waren. Daran sieht man, dass in einer Gesellschaft, in der rechte Mobilisierung Raum greift, rechte Diskurse stärker werden, die Bedrohung vor allem für Betroffene größer wird. Wir sehen das auch bei den massiven Angriffen wie kürzlich in Bautzen beim CSD. Das ist eine massive gesellschaftliche Veränderung. Deshalb sage ich, ich würde die Debatte um ein Verbot aus der Sicht der Betroffenen führen.
Jetzt ist die Professorin aus Cottbus im Süden der Republik angekommen. Haben Sie sich schon vorbereitet auf die Schwaben?
Ich habe gehört, das Essen sei gut, und es sei etwas wärmer als dort, wo ich herkomme. Im Ernst: Hier gibt es dieses Tübinger Institut mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus, an dem jetzt verschiedene Wissenschaftler:innen, unter anderem aus der Politikwissenschaft, der Medienwissenschaft und der Erziehungswissenschaft interdisziplinär forschen und lehren. Derzeit sind wir drei Professorinnen, eine weitere Professur wird noch besetzt. Mit dem Institut wird eine Empfehlung aus dem NSU-Untersuchungsausschuss umgesetzt. Es ist bundesweit das erste Rechtsextremismus-Institut innerhalb einer Universität. Das ist für mich Privileg und Verantwortung zugleich, damit verbinden sich für mich viele Hoffnungen und Chancen auf gesellschaftliche Intervention.
Zum vierten Mal laden wir am Dienstag, 29. Oktober zur Gesprächsreihe „Kontext im Merlin“ ein. Diesmal wollen wir über den Rechtsruck in der Gesellschaft reden. Mit dabei sind Heike Radvan, Georg Restle, Leiter des ARD-Politikmagazins „Monitor“, und Landrat Günther-Martin Pauli aus dem Zollernalbkreis, einem Hotspot der AfD. Beginn ist um 20.00 Uhr im Kulturzentrum Merlin, Augustenstraße 72, 70178 Stuttgart, um eine Anmeldung unter diesem Link wird gebeten. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.
22 Kommentare verfügbar
Peter Nowak
am 29.10.2024Doch im Anschluss bedient sie die heute offizielle Erzählung, in der BRD wäre dann…