"Wenn wir den Bereitschaftsdienst nicht anpassen, dann fahren wir die Regelversorgung im Land an die Wand", sagt Karsten Braun, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung im Land (KVBW). Ein Satz wie ein Offenbarungseid. Die Mangelverwaltung nimmt dramatische Züge an. An Sonn- oder Feiertagen, nachts, frühmorgens oder spätabends müssen Patient:innen künftig Einschränkungen hinnehmen. Der Grund: Rund tausend Stellen im Land, an denen Mediziner:innen dringend nötig wären, sind unbesetzt.
Bereits im vergangenen Jahr hat die KVBW zudem acht Notfallpraxen in Baden-Württemberg dauerhaft geschlossen. Ab April 2025 sollen 18 weitere folgen. Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne), der die Rechtsaufsicht über die KVBW führt, könnte die Schließungspläne zumindest aufhalten, ist aber – wie er bemerkenswert offen bekennt – daran gar nicht interessiert. Denn "das A und O" sei, dass gerade die Ärzteschaft die neuen Pläne zur Gestaltung des Bereitschaftsdienstes mitträgt. So könne die Versorgung insgesamt und gerade im ländlichen Raum sichergestellt werden.
Laut Lucha müsse den Menschen nun vermittelt werden, dass sich die Versorgungsqualität durch die Schließungen überhaupt nicht verschlechtere. "Fahrzeiten werden bis zu ein paar Minuten größer", räumt er ein – doch bei den verbleibenden Standorten verbessere sich dafür das Angebot.
Ein Niedergang mit vielen Eltern
Fraglich ist, wie sehr die Argumentation zu überzeugen vermag, angesichts der Langzeitentwicklung im Gesundheitswesen: Der Niedergang hat viele Väter und Mütter. Es geht längst nicht nur um stark blutende Schnittwunden am Wochenende oder Insektenstich-Allergien, die auch nach Feierabend heimtückisch bleiben. Es geht längst darum, ob und wo es Hausärzt:innen überhaupt noch gibt, wie weit der Weg ins nächste Krankenhaus ist, ob die Ausstattung der Rettungsdienste ausreicht, um einzuspringen und schnell genug vor Ort zu sein. Wesentliche Teile des Sozialstaats stehen auf dem Spiel, und nötig ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, die mit der Feststellung beginnen müsste, wann eigentlich die Systeme falsch abgebogen sind.
Angefangen hat es schon 1989. Damals wurden alle früheren sogenannten "Kostendämpfungsgesetze" im Gesundheitswesen als untauglich eingeordnet. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) kündigte ein "Jahrhundertwerk" an. Von dem konnte schlussendlich keine Rede sein. "Vorkasse beim Zahnarzt, nur noch Billig-Brillen auf Krankenschein, keine orthopädischen Schuheinlagen und keine Abführmittel mehr", schlug der "Spiegel" Alarm. Das Volk der Versicherten fühle sich um seine Kassenbeiträge geprellt. Nach der Reform war und ist bis heute vor der Reform: Lücken wurden geschlossen und anderswo entstanden neue.
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bedellus
vor 2 Wochen