Monatelang bangten die Beschäftigten und die Menschen im Main-Tauber-Kreis um ihre Klinik. Mitte April herrschte dann Gewissheit. Die insolvente Rotkreuzklinik in Wertheim wird in eine private Fachklinik für Amputationsnachsorge und Schmerztherapie umgewandelt. Zuvor hatten die Stadt und der Landkreis erfolglos versucht, das Krankenhaus zu rekommunalisieren und die Grundversorgung zu erhalten. Der Wertheimer Oberbürgermeister Herrera Torrez (SPD) ist enttäuscht und frustriert. "Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Es ist enttäuschend, dass all unsere Bemühungen nicht zum Ziel geführt haben." Die Stadt hatte die Wertheimer Klinik 2008 an das Rote Kreuz verkauft. In den vergangenen Jahren erwirtschaftete das Krankenhaus Defizite von über 30 Millionen Euro. Das Rote Kreuz wollte diese Verluste nicht mehr tragen und führte die Klinik Ende vergangenen Jahres in ein Insolvenzverfahren.
Mit einer "Revolution im System" wollte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dem "unkontrollierten Krankenhaussterben" eigentlich ein Ende setzen. Die Menschen sollten sich darauf verlassen können, dass die Krankenhäuser dort überleben, wo sie gebraucht werden, erklärte Lauterbach als ein Ziel seiner Krankenhausreform. Seit Jahrzehnten erlebt Deutschland ein Kliniksterben. Allein in Baden-Württemberg wurden in den vergangenen 30 Jahren über 100 Krankenhäuser geschlossen. In den vergangenen Monaten mussten zwei weitere Kliniken in Heidelberg und Wertheim Insolvenz anmelden. Darüber hinaus befänden sich 16 baden-württembergische Krankenhäuser in einer ernsten finanziellen Schieflage, erklärt die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die eine Umfrage durchgeführt hat, nach der sich 70 Prozent der Krankenhäuser in ihrer Existenz gefährdet sehen.
"In Baden-Württemberg erwarten vier von fünf Krankenhäusern für das Jahr 2024 rote Zahlen", sagt Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Doch woher kommt die Krise der Krankenhäuser? "Das System führt dazu, dass Kliniken schließen müssen", sagt Simon Wiese, der bei der Gewerkschaft Verdi für Krankenhäuser in Baden-Württemberg zuständig ist. Seit Jahren kämen die Bundesländer ihren Investitionsverpflichtungen nicht ausreichend nach. Viele Krankenhäuser warteten auf dringende Sanierungen. In den Kliniken herrsche ein "Investitionsrückstau".
Zu wenig Geld für alles
Zudem würden mit dem System der Fallpauschalen seit Jahren die falschen Anreize gesetzt, sagt Wiese. Dabei werden unabhängig vom tatsächlichen Umfang der Behandlung für jeden Krankheitsfall festgelegte Sätze ausgezahlt. Geräte und Personal müssen die Kliniken vorhalten, Geld bekommen sie nach dem Prinzip der Fallpauschalen aber nur, wenn eine Behandlung erfolgt ist. Die Abrechnung sei zudem sehr aufwändig, sagt Wiese. Bis zu 15 Prozent der Pflegezeit soll für die Dokumentation der Fallpauschalen notwendig sein. Diese im Jahr 2003 eingeführte Systematik sei für die erzwungene Schließung der Krankenhäuser verantwortlich.
Die baden-württembergische Krankenhausgesellschaft kritisiert dagegen, dass insgesamt zu wenig Geld für die Kliniken da ist. "Das Kliniksterben wird nicht durch das Fallpauschalensystem an sich, sondern durch die unzureichende Finanzierung der überdurchschnittlichen Kosten und der Kostensteigerungen verursacht", sagt Einwag. Die Betriebskosten würden nur unzureichend erstattet, da Tariferhöhungen und Inflationssprünge nicht vollständig finanziert werden. Aufgrund des höheren Lohnniveaus seien baden-württembergische Kliniken durch die bundeseinheitlichen Sätze besonders getroffen.
Trotz der teils großen Kritik soll das Prinzip der Fallpauschalen auch nach der Krankenhausreform erhalten bleiben, künftig aber nur noch 40 Prozent der Gesamtfinanzierung der Kliniken ausmachen. Den Rest der Kosten sollen die Krankenhäuser über eine neue "Vorhaltepauschale" erstattet bekommen. Wie die berechnet werden soll und wann sie kommt, weiß oder sagt Lauterbach nicht. Derzeit liegt nur ein inoffizieller Entwurf zur Krankenhausreform vor, den der Deutsche Gewerkschaftsbund und die DAK deutlich kritisieren. Demnach soll der Umbau der Kliniklandschaft auch mit Geld aus der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden, was bedeutet, dass Privatversicherte und Beamte außen vor bleiben.
1 Kommentar verfügbar
Frank
am 24.04.2024Dann hätte schon Spahn den Job der Vorgänger weitergemacht und wäre dabei sicher "erfolgreicher" gewesen. Lauterbach (who?) wäre den meisten unbekannt und diverse Talkshowsessel weniger durchgewetzt.
Die Nachfolgenden aus dem neoliberalen…