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"Grundwerte mutig verteidigen"

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Es hat nichts mit Ausgewogenheit zu tun, Rassisten eine Bühne zu bieten, sagt der "Monitor"-Moderator Georg Restle im Gespräch mit Kontext. Zum Auftrag als öffentlich-rechtlicher Journalist gehöre es auch, für die Verfassung und die Grundwerte zu streiten.

Herr Restle, Sie werden aktuell stellvertretend für die "Monitor"-Redaktion mit dem Grimmepreis ausgezeichnet. Wegen der "kontinuierlichen und haltungsstarken Berichterstattung über Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus". Haben Sie den Eindruck, dass die Öffentlichkeit inzwischen sensibilisiert für diese Gefahren ist?

Wenn man sich anhört, wie die Reaktionen insbesondere nach Hanau ausgefallen sind, dann scheint ein gewisses Umdenken stattzufinden. Da gab es ja erstaunlich selbstkritische Statements, beispielsweise von Herrn Schäuble, dass die Gefahr durch Rechtsextremismus in diesem Land über Jahre unterschätzt worden sei. Es ist gut, dass das endlich erkannt wird. Allerdings zweifle ich daran, dass daraus auch die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Die da wären?

Ich habe die Sorge, dass die Politik jetzt sehr stark auf repressive Lösungen setzt. Dass sie die Probleme über ein verschärftes Strafrecht angehen will oder mit mehr Befugnissen für den Verfassungsschutz. Ich glaube, das ist nicht das, was in dieser Gesellschaft gerade nottut. Wichtiger ist die Frage, wie wir eine Zivilgesellschaft stärken können, die die Demokratie mutig gegen Angriffe von rechtsaußen verteidigt – insbesondere in den östlichen Bundesländern.

Wer sich exponiert gegen rechts einsetzt, muss damit rechnen, angefeindet zu werden. Sie haben bereits Morddrohungen erhalten. Tut der Staat genug, um Betroffene zu schützen?

Ich habe lange Zeit nicht den Eindruck gehabt, dass die Strafverfolgungsbehörden in Deutschland hier wirklich an Aufklärung interessiert waren. Das ändert sich gerade ein bisschen. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl – und da spreche ich auch von meinem eigenen Fall –, dass eine Sensibilisierung bei den örtlichen Polizeibehörden oder bei den Landeskriminalämtern vorhanden ist, wenn es um den konkreten Schutz von bedrohten Personen geht. Da sind wir wieder bei der Vernachlässigung der Gefahren durch den Rechtsextremismus, die ja schon seit Jahrzehnten evident ist. Das merkt man ja auch am verharmlosenden Umgang mit der AfD, die zwar nach demokratischen Regeln gewählt wurde, in deren Reihen aber mehrheitlich Menschen sitzen, die mit der demokratischen Verfassung dieses Landes wenig am Hut haben.

Durch etliche Tabubrüche ist offenbar ein Gewöhnungseffekt eingetreten, eine Art Normalisierung des Rechtsextremismus: Positionen, die vor ein paar Jahren noch für Empörung gesorgt hätten, regen heute kaum noch jemanden auf. Muss der Journalismus das so hinnehmen?

Ich glaube, da gibt es eine ganz klare Gegenstrategie. Journalisten und Medien, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, dürfen Rassisten und Extremisten keine Bühne bieten. Dafür streite ich schon seit Langem. Ich glaube, es braucht auch unter Kolleginnen und Kollegen ein klares Verständnis dafür, dass es nichts mit Ausgewogenheit und Perspektivenvielfalt zu tun hat, rechtsextreme Positionen zu verbreiten. Das haben wir bei "Monitor" schon 2016 kritisiert, als es um Talkshow-Auftritte von AfD-Politikern ging. Ich habe den Eindruck, dass sich diese Auffassung, wenn auch noch nicht überall, aber doch langsam durchsetzt, und hoffe, dass daraus auch die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.

Schon heute sind krude und menschenfeindliche Ansichten erschreckend verbreitet. Warum ist der Extremismus so viel anschlussfähiger als vor einigen Jahren?

Ich weiß gar nicht, ob er wirklich anschlussfähiger geworden ist. Ich glaube, das zeigen zumindest unsere Recherchen, dass der Extremismus nur sichtbarer geworden ist. Wir wissen nicht erst seit gestern aus verschiedenen Studien, dass antisemitische Vorurteile und rassistische Stereotypen bis weit in die Mitte der Gesellschaft vertreten werden. Jetzt sehen wir an den Wahlerfolgen der AfD – besonders im Osten, aber durchaus auch im Westen –, dass in weiten Teilen der Gesellschaft ein völkischer Nationalismus offensichtlich sehr populär ist. Aber das war er, wenn wir ehrlich sind, auch schon früher. Nur wollten wir da vielleicht nicht so genau hinschauen. Neu ist, dass sich Leute wieder trauen, solche Dinge öffentlich zu äußern. Auch innerhalb der etablierten Parteien, vor allem in der Union, aber auch bei der FDP und in Teilen der Linken, haben sich rassistische Stereotypen breitgemacht, und sie durchziehen alle Bevölkerungsschichten. Deswegen halte ich es für richtig, hier von einem Extremismus der Mitte zu sprechen.

Bei "Monitor" haben Sie immer wieder die Flüchtlingspolitik der EU und der Bundesregierung kritisiert, ebenso wie das Vorgehen gegen eine Seenotrettung, der eher Steine in den Weg gelegt werden, als dass sie unterstützt wird.

Ja, diese Themen gehören für mich zu den größten Herausforderungen, wenn man die Verfassung und ihre Grundrechte ernst nimmt – und als öffentlich-rechtlicher Journalist nehme ich sie sehr ernst, das ist Teil unseres Rundfunkauftrags und unserer Programmgrundsätze. Vor diesem Hintergrund finde ich es schon sehr bedenklich, wie schnell eine Gesellschaft und die Politik im Stressfall offenbar nicht mehr bereit sind, Grundwerte mutig zu verteidigen. Da geht es ja nicht nur um das Asylrecht, sondern vor allem auch um die Menschenwürde, die für alle, auch für Flüchtlinge in diesem Land, gilt. Dass es hier aber auch eine breit aufgestellte, zivilgesellschaftliche Gegenbewegung gibt, macht mich optimistisch.

Sie haben Rechtswissenschaften und Internationales Recht studiert. Was sagen Sie dazu, wenn es heißt, illegale Grenzübertritte dürfe man nicht dulden? Ist das nicht legitim?

Es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Danach haben Flüchtlinge einen Anspruch darauf, in Europa einen Antrag auf Asyl stellen zu können. Dass Griechenland dieses Grundrecht einfach aussetzt und Menschen, die hier Zuflucht suchen, in eintägigen Schnellverfahren ohne Rechtsbeistand zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, ist der vorläufige Tiefpunkt einer Kette eklatanter Verstöße gegen das Völkerrecht an der EU-Außengrenze.

"Monitor" hat ausführlich über Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten berichtet. Deutschland hat sich bislang nicht als großer Vorreiter hervorgetan, das zu unterbinden. Aktuell läuft eine Befragung von Unternehmen, die in einer freiwilligen Selbstauskunft beantworten dürfen, wie gut sie Menschenrechte respektieren. Inwischen liegen Zwischenergebnisse vor ...

... und die fallen wirklich sehr ernüchternd aus. Da haben Kanzleramt und Wirtschaftsministerium wirklich alles dafür getan, dass die Unternehmen mit Tricksereien an einen Punkt kommen, an dem es heißt: Wir brauchen ja gar keine verpflichtenden Vorgaben, das läuft ja schon alles wunderbar. Man hat denen sozusagen den roten Teppich ausgerollt, um dieses Gesetz zu verhindern. Und dann schaffen es die deutschen Unternehmen nicht einmal, diese niedrigste Schwelle zu überspringen. Also wenn der Gesetzgeber hier jetzt nicht tätig wird, versteh' ich die Welt nicht mehr.


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