Das Land ist vielmehr Teil jenes föderalen Deutschlands, dessen Strukturen gegenwärtig von BesserwisserInnen und BedenkenträgerInnen schlechtgeredet werden. "Bayern geht voran, und Baden-Württemberg hechelt hinterher?", fragen die "Stuttgarter Nachrichten", als Markus Söder (CSU) den Katastrophenfall ausruft. Der bayerische Ministerpräsident darf auf diese Weise Entscheidungen zentralisieren, die sonst auf kommunaler Ebene fallen, oder besondere Befugnisse für sich reklamieren, etwa wenn es um den Einsatz der rund 450.000 ehrenamtlichen HelferInnen geht, für die sich der Freistaat rühmt. Fachleute erklären indes, dass alle niederschwelligen Durchgriffsrechte ohnehin im Infektionsschutzgesetz geregelt sind. Auch Winfried Kretschmann (Grüne) kann nicht verstehen, "was die Bayern anders machen als wir, angesichts der bundesweiten Absprachen".
Kretschmann will besonnen und angemessen reagieren
Und noch eine Botschaft unterstreicht die Herangehensweise: "Wir wollen doch nicht selber eskalieren, sondern besonnen und angemessen reagieren." Erst recht, wenn es um so weitgehende Einschnitte wie – im Katastrophenfall tatsächlich mögliche – "Ausgangssperren" geht.
Das Wort mit Signalwirkung, das für ungezählte Kommentare sorgt im Netz, ist ohnehin einer der am häufigsten falsch verwendeten Begriffe dieser Tage. "Ausgangssperren" sind einst von Nazis verhängt worden, beispielsweise um WiderständlerInnen an konspirativen Treffen zu hindern. Im Deutschland des Jahres 2020 sind Einkaufen, Volltanken und sogar Spazierengehen erlaubt. Selbst im so schwer heimgesuchten Italien sind Supermärkte weiterhin geöffnet, "auch wenn sich lange Schlangen vor den Läden bilden, da die Kunden Abstand zueinander halten sollen", schreibt die ARD-Tagesschau in ihrem "Faktenfinder". Der ist eingerichtet worden, "um den massenhaften Falschmeldungen und Gerüchten über die Corona-Pandemie entgegenzuwirken, die insbesondere über Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram zu Tausenden mit irreführenden oder schlicht falschen Behauptungen weitergeleitet werden."
Denn noch ein wichtiger Windfall-Profit dieser Wochen muss als große Chance begriffen werden: Seriöse Berichterstattung kann in Zeiten wie diesen einen guten Teil ihres verlorengegangenen Ansehens zurückerobern, wenn Medien wieder als diejenigen Instanzen erfahren und anerkannt werden, die trotz aller Mängel und Fehlgriffe am ehesten für Fakten, Fakten, Fakten zuständig sind und für eine verantwortungsvoll genutzte Deutungshoheit. Ein Journalismus, der sauber informiert, intelligent reflektiert und nicht Klickzahlen zum Maßstab macht, wird nach wie vor gebraucht. Vor allem einer mit Vernunft und Augenmaß, der der großen Versuchung widersteht, politische Entscheidungen am Tag X mit dem Wissen des Tages X plus eins, zwei oder drei im Nachhinein zu be- und damit zu entwerten.
Stuttgart ist nicht langsamer als München
Gerade Stuttgart hat als erste Stadt im Land gezeigt, was unterhalb der Schwelle "Katastrophenalarm" alles möglich ist. Schon am vergangenen Freitag wurden mit sofortiger Wirkung und vor allem bis auf Weiteres, um Verlängerungsbeschlüsse überflüssig zu machen, alle Veranstaltungen in Kultur, Bildung, Sport und Freizeit untersagt sowie Clubs, Bars und Tanzlokale geschlossen, ebenso städtische Bibliotheken, das Planetarium, die Musikschule und das Stadtarchiv, die Volkshochschule, alle Museen, Kinos und Bäder – alles Maßnahmen, die Söder erst am Montag, dafür aber mit großer Geste verkündete. "Wir stemmen uns mit allen Kräften gegen die Ausbreitung", begründete Stuttgarts OB Fritz Kuhn die weitgehende Lahmlegung des öffentlichen Lebens. Deshalb gelte es, soziale Kontakte auf das Nötigste zu beschränken, "zum Schutz für den Einzelnen und für die Gemeinschaft".
2 Kommentare verfügbar
Habnix
am 20.03.2020________________________________
Wirtschaft ist Krieg im Frieden. Erst wird der Konkurrent und der mögliche Konkurrent(Arbeitnehmer) bekämpft und falls das Ziel erreicht ist und es nichts mehr zu gewinnen gibt, folgt der Satz: “Krieg ist die Fortsetzung der Politik…