KONTEXT:Wochenzeitung
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Kontext im Merlin

Der Ermüdung nicht erliegen

Kontext im Merlin: Der Ermüdung nicht erliegen
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Georg Restle will ein AfD-Verbot und warnt davor, die Partei zu verharmlosen. Bei der Gesprächsreihe "Kontext im Merlin" ging es zuletzt um Rechtsextremismus als Gefahr für die Demokratie. Ein Podiumsgespräch über die Ursachen des Rechtsrucks, aber auch über Mittel gegen Demokratiefeinde.

Es ist ein Satz mit starkem Bild: "Die Demokratie muss mit Zähnen und Klauen verteidigt werden", zitiert Kontext-Gründer Josef-Otto Freudenreich den kürzlich verstorbenen Ex-Daimlervorstand und Kontext-Beirat Edzard Reuter. Damit führt er ins Thema des Gesprächsabends ein, der mit dem Titel überschrieben ist: "Die Demokratie ist in Gefahr – was tun?" Eine Frage, über die lange und ausführlich debattiert werden könnte angesichts der Wahlergebnisse im Osten und einer weiter erstarkenden AfD. Die drei Gäste müssen sich allerdings auf knapp eineinhalb Stunden beschränken.

Neben Moderator Stefan Siller auf der Bühne sitzt die erste Professorin für Rechtsextremismusforschung an einer deutschen Universität, Heike Radvan. Zu ihrer Linken der CDU-Landrat Günther-Martin Pauli aus dem Zollernalbkreis, wo die AfD bei der Europawahl mancherorts fast 40 Prozent der Stimmen erhielt. Das prominenteste Gesicht: Georg Restle, der gebürtige Esslinger, leitet seit 2012 das ARD-Politmagazin "Monitor". Thema und Gäste beweisen ihre Anziehungskraft, der Saal im Kulturzentrum ist voll, selbst auf der Treppe im Eck hat eine Handvoll Zuhörer:innen Platz genommen.

"Demokratie in Gefahr", ohne Ausrufezeichen, wie Moderator Siller betont. Natürlich geht es dabei vor allem um die AfD und den Rechtsextremismus. Dieser werde in fast jeder seiner Sendung thematisiert, auch wenn es dabei nicht immer um die AfD gehe, erzählt Restle. Dennoch, die Partei wurde schon früh zum Schwerpunkt in seinem Magazin. Für seine klare Haltung gilt er als "Haltungsjournalist", ein Wort, mit dem Restle ein Problem hat: Es sei inzwischen ein von Rechten genutzter Kampfbegriff, der impliziere, die Journalist:innen würden Haltung vor Recherche stellen. Darum gehe es dem Monitor-Team um Restle aber nicht. "Am Ende versuchen wir uns sachlich und objektiv nüchtern dem Problem zu nähern", sagt er.

Der Journalist sei auch überrascht gewesen über das Erstaunen in der Bevölkerung nach dem "Correctiv"-Bericht, der das Treffen von Rechtsextremen in Potsdam mit Beteiligung der AfD öffentlich machte. Eigentlich sei da bereits alles bekannt gewesen, "wir berichten kontinuierlich darüber", meint Restle. Es brauche eben ein gewisses Momentum, um Zehntausende auf die Straße bringen.

Restle: Die Partei nicht verharmlosen

Ob die AfD für die Gäste rechtsextrem ist, will Siller wissen. "Ja klar", antwortet Restle kurz, Radvan schließt sich dem an. Allein der CDU-Landrat Pauli holt weiter aus. Auf kommunaler Ebene müsse man das differenziert betrachten, ihm kam ein AfD-Mitglied aus dem Zollernalbkreis in den Sinn, das als rechtsextrem bezeichnet werden könnte. Allerdings seien manche in seiner Heimat "zufällig" in die Partei reingeraten oder eigentlich unpolitisch und am Stammtisch angesprochen worden, damit sich die Wahlliste der Partei fülle. Die neun Kreistagsmitglieder, die die AfD stelle, bezeichnet Pauli als "bunte Mischung". Aber er versichert: Bei der Konstellation werde es gewiss nicht bleiben.

"Wir müssen aufpassen, dass wir über kommunale Gesichter und nützliche Idioten die Partei nicht verharmlosen", entgegnet Restle. "Da gibt es die und da gibt es die" hätte man früher auch über die Nazis sagen können. "Hardcore-Nazis und Extremisten" hätten inzwischen die Partei im Griff. Spätestens seit "der letzten Häutung", dem Austritt von Jörg Meuthen, sei die AfD rechtsextrem.

Um das Thema AfD-Verbot kommt die Diskussion nicht herum. "Wenn das nicht ein Anwendungsfall für das Parteiverbot ist, was soll es sonst sein", sagt Restle. Wenig Hoffnung macht er sich jedoch auf eine langfristige Wirkung eines Verbots. Es könne nur wirken, wenn auch die Gesellschaft bereit sei, den Kampf gegen Rechtsextremismus aufzunehmen. Und das sei seine größte Sorge: "Die Gesellschaft ist ermüdet." Die Unionsparteien würden die Brandmauer nicht ernst nehmen und auch den Umgang mit der AfD in den Medien kritisiert der Journalist: In Talkshows würden weniger kritische Fragen gestellt, die AfD würde zum Teil nicht härter behandelt als andere Parteien, um ihre Wähler:innen nicht vor den Kopf zu stoßen. Dabei hätten gerade die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Verpflichtung, Grundwerte und das Grundgesetz zu verteidigen. "Der antifaschistische Auftrag geht gerade baden."

"Ich komme aus einer skeptischen Perspektive, was das Verbot angeht", sagt Heike Radvan. Aber sie sei überzeugt, dass es Daten und Belege gibt, die für ein Verbot sprechen. Nicht nur bei Einzelpersonen, sondern auch strukturell. Mancherorts würden demokratisch gesinnte Menschen wegziehen, weil die AfD dort überhand nehme. Orte, wo es notwendig wäre, eine Zäsur einzuziehen. "In Regionen, in denen die AfD hohe Zustimmung hat, steigen Straf- und Gewalttaten an", weiß die Erziehungswissenschaftlerin. Außerdem seien inzwischen Dinge wieder sagbar, die vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar waren. Als Beispiel nennt sie die Aussage von Alexander Gauland, der Nationalsozialismus sei nur ein "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte. Mit Blick auf die Debatten vor den Landtagswahlen im Osten stellt sie fest, dass auch demokratische Parteien rassistische Positionen übernommen haben.

Keine klare Position zum AfD-Verbot hat CDU-Politiker Pauli. Es sei "das letzte Mittel". Die Expert:innen wie Radvan hätten "andere Flughöhen" als der Kommunalpolitiker und spricht von einer "Angstdebatte", die der AfD nütze. Er erklärt sich die Wahlerfolge der AfD so: Es gebe in der Bevölkerung eine "Vollkasko-Mentalität", dass der Staat alles regeln werde. Viele Menschen würden sich alleingelassen fühlen, meint Pauli und sagt: "Für mich ist die AfD immer noch eine große Protestbewegung." Das will Restle so nicht stehen lassen, die Partei sei längst keine Protestbewegung mehr. "Damit werden völkisch-nationalistische Ideen verharmlost." Nicht alle, aber ein relevanter Teil der Wähler:innen seien überzeugte Anhänger der Ideologie der Partei. Dass die AfD-Landesverbände im Osten laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextrem sind, habe die Wähler:innen nicht abgeschreckt, im Gegenteil.

Doch Pauli erfährt an diesem Abend nicht nur Widerrede, sondern auch Worte des Lobes. Dafür, dass er sich nicht scheut, das Gespräch vor Ort zu suchen. Für ihn gewiss nicht immer ein Vergnügen. Beispielsweise als er im 600-Seelendorf Killer 40 Geflüchtete unterbringen wollte. Auf einer Infoveranstaltung wurde er dafür niedergeschrien. Tags zuvor tauchte er uneingeladen bei einem Infoabend des Ortsvorstehers auf. "Der Landrat muss gehen", habe das Publikum laut Pauli gefordert. "Wenn ich geblieben wäre, wäre das eskaliert."

Baseballschläger-Nazis sind Eltern junger Rechte

Wie kommt es überhaupt, dass vor allem unter jungen Menschen die AfD so beliebt ist, will Siller wissen. Die Pädagogin Radvan nennt zum einen die "historische Genese" und "Primärsozialisation": Diejenigen, die in den 1990ern als junge Rechte in den Baseballschlägerjahren agierten, seien heute die Eltern der jungen AfD-Wählerschaft. Und auch die Nazis aus den 90er-Jahren seien nicht "aus dem Off" gekommen. West- wie Ostdeutschland seien postnationalsozialistische Gesellschaften und auch im Osten habe es Nazis gegeben, die nicht – wie oft behauptet – erst nach der Wende aus dem Westen gekommen seien. Darüber hinaus wurden als Grund die sozialen Medien genannt. Die Corona-Jahre habe die Jugend in diesen verbracht, ohne dass es dort ein Korrektiv oder Bildungsangebote gegeben habe. Wenn da rechtes Gedankengut in "Dauerfeuer" eindrischt, habe das Folgen für Seele und Köpfe der Jungen. Dass nun beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gekürzt werden soll, sei laut Radvan ein "fatales Signal."

Was also tun? Selbst mitmachen, sagt Pauli, also aktiv werden in einer Partei und der Jugendarbeit. Außerdem würden Politiker:innen an Stammtischen und Bürgertreffen fehlen. Ein Ventil werde gebraucht, wenn es in den Menschen kocht, Dampf ablassen gehöre dazu. Restle nennt das Stichwort "Counterspeech", also dagegenhalten. Rechte hätten Erfolg durch Lautstärke und Scheinmasse, im Netz noch viel stärker als in der realen Welt. Und er appelliert: dem "Versuch der Ermüdung nicht erliegen".

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